Heft 1
Retzer, Arnold & Fritz B. Simon (1996): Editorial: Familie und Familientherapie in Europa. In: Familiendynamik, 21 (1), S. 1-6.
Cooklin, Alan & Gill Gorell Barnes (1996): Familientherapie in Großbritannien – Tatsachen und Bedeutungen. In: Familiendynamik, 21 (1), S. 7–22.
Abstract: Es wird ein historischer Überblick über die Entwicklung der Familien in Großbritannien gegeben. Hierbei wird besonders auf die Rolle der Frauen und die ethnische und multikulturelle Perspektive fokussiert. Nachdem die Geschichte der Familientherapie und die wichtigsten familientherapeutischen Institute in Großbritannien in großen Zügen dargestellt sind, geben beide Autoren getrennt voneinander ihre Wertung des Beschriebenen ab. Den Schluß bildet ein Appell, sich der familientherapeutischen Wurzel zu erinnern und das Bemühen um eine Veränderung der Psychiatrie nicht aufzugeben.
Holmgren, Allan (1996): Neuigkeiten aus dem Norden. Familie und Familientherapie in Skandinavien. In: Familiendynamik, 21 (1), S. 23–34.
Abstract: Es wird ein allgemeiner Überblick über die Situation und die Entwicklungstendenzen der Familien in Skandinavien gegeben. Die Entwicklung und die Schwerpunkte der Familientherapie und die jeweiligen Ausbildungsbedingungen werden getrennt für Norwegen, Schweden und Dänemark dargestellt.
Lenartowicz, Hanna & Ewa Stankowska (1996): Familie und Familientherapie in Polen. In: Familiendynamik, 21 (1), S. 35–41.
Abstract: Zunächst werden die Auswirkungen des wirtschaftlich-politischen Umbruchs auf die Situation der Familien in Polen diskutiert. Während zu Beginn der achtziger Jahre die Krise zu einer Steigerung der familiären Solidarität und Bindung führte, sind nun zunehmend Desintegration und Entwicklung von Multi-Problem-Familien zu beobachten. Im zweiten Teil wird die Situation der Familientherapie diskutiert, die weitgehend von westlichen Modellen bestimmt wird.
Zissis, Anastasios Z. (1996): Familien und Familientherapie in Griechenland. In: Familiendynamik, 21 (1), S. 42–50.
Abstract: Die tiefe Krise, in der sich die griechische Familie und die moderne griechische Gesellschaft befindet, wird beschrieben und als eine unausweichliche und schmerzliche Phase grundlegender Veränderungen dargestellt. Es handelt sich bei dieser Krise um die Infragestellung vieler grundlegender Werte. Diese Phase der Familienentwicklung bestimmt auch die Rolle der Familientherapie in Griechenland. Abschließend wird ein kurzer Überblick über die Situation der Familientherapie in Griechenland gegeben.
Loriedo, Camillo (1996): Familie und Familientherapie in Italien. In: Familiendynamik, 21 (1), S. 51–59.
Abstract: Der Wichtigkeit der Institution Familie innerhalb der italienischen Gesellschaft entspricht eine hohe Akzeptanz und Verbreitung der Familientherapie. Verstärkt wurde dies durch eine Gesetzgebung, welche zum einen die Neuaufnahme von Patienten in psychiatrische Anstalten untersagte, und zum anderen die Ausbildung der Psychotherapeuten regelte. Es wird eine Übersicht über die wichtigsten Institute und ihre Arbeitsschwerpunkte gegeben.
Linares, Juan L. & Joana Alegret (1996): Familientherapie in Spanien. Zwischen historischer Einzigartigkeit und der Annäherung an Europa. In: Familiendynamik, 21 (1), S. 60–69.
Abstract: Es wird ein Überblick über die jüngste politisch-kulturelle Entwicklung der spanischen Gesellschaft gegeben; worin auch die Entwicklung der spanischen Familie dargestellt und eingeordnet wird. Ausgehend von der kulturanthropologischen Unterscheidung Moderne/Postmoderne wird diese Unterscheidung auf Familienstrukturen und Pathologie angewandt. Nach einer kurzen Darstellung der Entwicklung dar spanischen Familientherapie werden einige Zukunftsaufgaben der Familientherapie entworfen.
Miermont, Jacques & Robert Neuburger (1996): Kurzer historischer Abriss der Familientherapie in Frankreich. In: Familiendynamik, 21 (1), S. 70–74.
Abstract: Es wird ein kurzer historischer Überblick über die Geschichte der französischen Familientherapie gegeben. Hierbei werden sowohl einzelne Persönlichkeiten als auch die besondere Ideengeschichte der französischen Psychotherapie gewürdigt.
Willi, Jürg (1996): Familie und Familientherapie in der Schweiz. In: Familiendynamik, 21 (1), S. 75–84.
Abstract: Die Situation der Schweizer Familie wird sowohl statistisch-quantitativ als auch intuitiv-qualitativ dargestellt. Die Geschichte der Familientherapie wird auf dem Hintergrund der liberalen Geschichte der Psychiatrie und Psychotherapie in der Schweiz nachgezeichnet. Ein hypothetischer Blick in die Zukunft der Schweizer Familientherapie schließt die Arbeit ab.
Wanschura, Esther (1996): Zur Situation der Familie und der Familientherapie in Österreich. Ein höchst subjektiver Bericht fußend auf höchst objektiven Daten und Beobachtungen aus der Therapie, Supervision und dem fachlichen Austausch mit KollegInnen. In: Familiendynamik, 21 (1), S. 85–94.
Abstract: Es wird ein Überblick gegeben über familienrelevante Daten, wie sie in der statistischen Literatur zur Entwicklung in Österreich zu finden sind. Die Autorin hebt ihr relevant erscheinende Entwicklungen hervor und bewertet sie aus einer familientherapeutischen Perspektive. Anschließend wird die Situation der Familientherapie in Österreich dargestellt. Besonders eingegangen wird auf die Vor- und Nachteile des neuen österreichischen Psychotherapiegesetzes.
Ludewig, Kurt (1996): Systemische Therapie in Deutschland. Ein Überblick. In: Familiendynamik, 21 (1), S. 95–115.
Abstract: Nach einem Rückblick auf die Geschichte der Familientherapie in Deutschland wird der gegenwärtige Stand der Theorieentwicklung und Forschung im erweiterten Bereich der systemischen Therapie dargestellt und kritisch bewertet. Als Fazit ergibt sich für die Zukunft die Notwendigkeit, die systemische Therapie theoretisch und empirisch als wissenschaftliche Disziplin zu etablieren, wenn sie sozialpolitische Akzeptanz gewinnen will.
Rohmann, Josef A. (1996): Rezension – Norbert Bischof (1995): Struktur und Bedeutung. Eine Einführung in die Systemtheorie für Psychologen zum Selbststudium und für den Gruppenunterricht. Bern (Huber). In: Familiendynamik, 21 (1), S. 116-116.
Stierlin, Helm (1996): Rezension – Alfred Drees (1995): Freie Phantasien in der Psychotherapie und in Balintgruppen. Göttingen/Zürich (Vandenhoeck & Ruprecht). In: Familiendynamik, 21 (1), S. 116-117.
Seide, Lilli (1996): Rezension – Elsa Jones (1995): Systemische Familientherapie. Dortmund (modernes lernen). In: Familiendynamik, 21 (1), S. 117-118.
Schlippe, Arist von (1996): Rezension – Gerhard Lenz, Gisela Osterholz & Heiner Ellebracht (1995): Erstarrte Beziehung – heilendes Chaos. Einführung in die systemische Paartherapie und -beratung. Freiburg (Herder). In: Familiendynamik, 21 (1), S. 118-119.
Textor, Martin R. (1996): Rezension – Hans Goldbrunner (1994): Masken der Partnerschaft. Wie Paare ihre Wirklichkeit konstruieren. Mainz (Matthias-Grünewald-Verlag). In: Familiendynamik, 21 (1), S. 119-120.
Heft 2
Retzer, Arnold & Fritz B. Simon (1996): Editorial: Zeit, Raum und Psychotherapie. In: Familiendynamik, 21 (2), S. 133-135.
Retzer, Arnold (1996): Zeit und Psychotherapie. In: Familiendynamik, 21 (2), S. 136–159.
Abstract: Der Zusammenhang von Zeit und Psychotherapie wird in drei Bereichen untersucht: 1. Im Bereich des Zeitbedarfes von Psychotherapien und der Unterschiede von Kurz- und Langzeitpsychotherapien, 2. Im Bereich der Konzeptualisierung von Zeit am Beispiel der Psychoanalyse und der systemischen Therapie und 3. Im Bereich der psychotherapeutischen Praxis und der Anwendung von »Zeitinterventionen«.
Fraenkel, Peter (1996): Zeit und Rhythmus in Paarbeziehungen. In: Familiendynamik, 21 (2), S. 160–182.
Abstract: Der vorliegende Artikel stellt Ideen zur Rolle der Zeit in funktionierenden und gestörten Paarbeziehungen vor. Entscheidend ist dabei, welche individuell unterschiedliche Bedeutung Paare den zeitlichen Mustern in ihrer Beziehung geben. Ihre Darstellung der Entstehung und Aufrechterhaltung solcher Muster kann viel darüber aussagen, wie die Partner ihre Beziehung im Hinblick auf Nähe und Macht erleben. Es wird eine vorläufige Taxonomie von Zeitproblemen bei Paaren vorgestellt, die als Orientierungsrahmen dienen kann. Es folgen zwei klinische Vignetten, die veranschaulichen, wie sich diese Ideen in der Paartherapie anwenden lassen.
Penn, Peggy & Marylin Frankfurt (1996): Dialogische Räume. Schreiben, Vielstimmigkeit, narrative Vielfalt und Teilnehmertexte. In: Familiendynamik, 21 (2), S. 183–202.
Abstract: Es soll auf der Grundlage des sozialen Konstruktivismus untersucht werden, wie die Reaktion auf andere zunächst in einem inneren Gespräch mit uns selbst geformt wird. Interaktion bewegt sich zwischen innerem Gespräch und Gespräch mit anderen hin und her, wechselt vom Monolog zum Dialog. Sprache steht insofern im Mittelpunkt, als wir feststellen, wie durch die schriftliche Äußerung im Therapiegespräch ein »Teilnehmertext« entsteht, der sich aus den Stimmen der Familie und des Therapeuten zusammensetzt. Mit Hilfe dieser oftmals neu entdeckten oder erfundenen Stimmen läßt sich der narrative Diskurs erweitern und ausdehnen.
Watzlawick, Paul (1996): Neues und Vergessenes. In: Familiendynamik, 21 (2), S. 203–210.
Abstract: Vom Philosophen George Santayana stammt der Ausspruch: »Es gibt nichts Neues unter der Sonne – außer das Vergessene«. Gibt es also überhaupt nichts Neues? Diese Behauptung dürfte vielen von uns unannehmbar sein. Wer aber den Beginn und die Entwicklung der Familientherapie mitverfolgt hat, dürfte Santayana in so mancher Hinsicht recht geben. Als von etwas Neuem konnte man wohl in den Fünfzigerjahren sprechen, als Gregory Bateson von Bertalanffys Allgemeine Systemtheorie (1950) auf psychiatrische Phänomene anzuwenden begann. Bateson versuchte nicht, sogenanntes psychotisches Verhalten durch Ergründung der dafür verantwortlichen Ursachen in der Vergangenheit des Patienten zu erfassen. Als Anthropologe und Teilnehmer an den berühmten Jociah Macy-Konferenzen (die weitgehend auf von Bertalanffys Systemtheorie beruhten und zur Formulierung der Kybernetik entscheidend beitrugen) fragte Bateson sich vielmehr: In welchem menschlichen Beziehungssystem ist dieses Verhalten sinnvoll, in welches System paßt es? Und auf Grund dieser, dem klassischen psychiatrischen Vorgehen vollkommen verschiedenen Perspektive begann er seine Arbeiten mit dem sogenannten Indexpatienten und seiner Familie. Dies führte unter anderem zur Formulierung der Doppelbindungs-Theorie und zur Zusammenarbeit mit dem Psychiater Don D. Jackson, der einige Jahre später das Mental Research Institute (M.R.I.) in Palo Alto (eines der ersten drei Familien-Therapie-Zentren in den Vereinigten Staaten) gründete.
Elkaïm, Mony (1996): Psvchotherapie und soziokulturelle Zusammenhänge: Vorschlag einer Wissenschaft des Einzigartigen. In: Familiendynamik, 21 (2), S. 211–218.
Abstract: Ich hatte das Glück, in einem Land – Marokko – aufzuwachsen, in dem die Grenze zwischen der Welt der »objektiven Realität« und der Welt der inneren Vorstellungen sehr verschwommen war. Die Geisteskranken lebten in der Stadt, sie waren Bestandteil unserer täglichen Umgebung und waren abwechselnd die Objekte unserer Zuneigung und unserer kindlichen Ängste. Ich erinnere mich an den Landvermesser, der die Außenfläche von Häusern mittels einer gefalteten Zeitung vermaß, an »Semana«, über die Gerüchte umgingen, sie sei an dem Tag verrückt geworden, an dem ihr Gatte seiner zweiten Frau sieben goldene Armbänder (eine semana, eine Woche) schenkte, an den »General«, der, die Brust mit Orden bestückt, eine imaginäre Kavallerie zum Angriff auf bestimmte Ziele herbeirief. Fast alle Menschen um mich herum könnten Erlebnisse bezeugen, die man heute als auf natürliche Weise unerklärbar beschreiben würde.
Rücker-Embden-Jonasch, Ingeborg (1996): Rezension – Monika Schimpf (1995): Selbstheilung von Eßstörungen für langjährig Betroffene – Ein Arbeitshandbuch. Dortmund (borgmann publishing). In: Familiendynamik, 21 (2), S. 219-220.
Linsenhoff, Arndt (1996): Rezension – Stephen Gilligan & Reese E. Price (Hrsg.) (1993): Therapeutic Conversations. New York (Norton & Company). In: Familiendynamik, 21 (2), S. 220-221.
Hargens, Jürgen (1996): Rezension – Ernest L. Rossi (Hrsg.) (1995): Gesammelte Schriften von Milton H. Erickson (Bd. 1) Vom Wesen der Hypnose. Heidelberg (Carl-Auer). In: Familiendynamik, 21 (2), S. 221-222.
Ebbers, Franz (1996): Rezension – Martin R. Textor & Peter K. Warndorf (Hrsg.) (1995): Familienpflege. Forschung, Vermittlung, Beratung. Freiburg (Lambertus). In: Familiendynamik, 21 (2), S. 223-223.
Hargens, Jürgen (1996): Rezension – Richard R. Kopp (1995): Metaphor Therapy. Using Client-Generated Metaphors in Psychotherapy. New York (Brunner/Mazel). In: Familiendynamik, 21 (2), S. 223-223.
Heft 3
Retzer, Arnold & Fritz B. Simon (1996): Editorial: Familiensoziologie. In: Familiendynamik, 21 (3), S. 235–238.
König, Oliver (1996): Die Rolle der Familie in der Soziologie unter besonderer Berücksichtigung der Familiensoziologie René Königs. In: Familiendynamik, 21 (3), S. 239–267.
Abstract: Der Familie als Bindeglied zwischen Individuum und Gesellschaft kommt innerhalb der Soziologie besondere Bedeutung zu. Der Artikel beschreibt die Entwicklung der deutschsprachigen Familiensoziologie von der Nachkriegszeit bis heute. Mit dem Wandel der Familie verändern sich auch die Themen der Familiensoziologie bzw. die Bedeutung der Familiensoziologie für die Soziologie insgesamt. Ausgangs- und wiederholter Bezugspunkt sind die familiensoziologischen Arbeiten René Königs, einem der Gründungsväter der Soziologie nach 1945 – und Vater des Autors dieses Artikels. Der Artikel beginnt und schließt daher mit einigen Reflexionen über die eigene Familie bzw. die Familie des Vaters.
Moch, Matthias (1996): Geschiedene Väter und ihre Eltern: Zur sozialen Bedeutung der Herkunftsfamilie im Scheidungsfall. In: Familiendynamik, 21 (3), S. 268–283.
Abstract: Die Beziehungen geschiedener Eltern zu ihren Herkunftsfamilien sind sowohl für die Bewältigung der Scheidung als auch für die Konstitution einer »Nachscheidungsfamilie« relevant. Im Gegensatz zu geschiedenen Müttern läßt sich bei geschiedenen Vätern kein dominantes Beziehungsmuster in Abhängigkeit vom Sorgerecht nachweisen. Sinnvoll erweist sich ein Modell, nach dem unterschiedliche Rekonstruktionen der Beziehungen zur Herkunftsfamilie nach institutionellen und interaktionalen Gesichtspunkten differenziert und hinsichtlich ihrer Konsequenzen für die Drei-Generationen-Beziehungen nach der Scheidung untersucht werden.
Beck-Gernsheim, Elisabeth (1996): Nur der Wandel ist stabil. Zur Dynamik der Familienentwicklung. In: Familiendynamik, 21 (3), S. 284–304.
Abstract: Der Beitrag analysiert, welche Dynamik in der aktuellen Familienentwicklung angelegt ist. Er zeigt, wie die Lebens- und Beziehungsformen heute zunehmend einer individualistischen Logik folgen, die sich – über Lern-, Normalisierungs-, Gewöhnungseffekte – in der Generationenfolge weiter verstärkt. Die Brüchigkeit des traditionellen Familienmodells, die sich heute andeutet, wird demnach zukünftig weitere Brüche erzeugen, mehr auch die bislang stabilen Gruppen erreichen. Was in anderen Bereichen zu beobachten ist, gilt auch für die Familie: Selbstverständliche Vorgaben verlieren an handlungsleitender Kraft, lebenslange Bindungen treten zurück, mehr Wechsel und Zwischenformen entstehen. Pointiert zusammengefaßt: Wo ein Wandel von der Normalbiographie zur »Bastelbiographie« stattfindet, da wird die Familie zur »transistorischen Phase«, zur »Teilzeitgemeinschaft«.
Simon, Fritz B. (1996): Virtuelle Realitäten, Cyberspace und die neuen Medien. In: Familiendynamik, 21 (3), S. 305–310.
Abstract: Allerorten wird uns verkündet, eine neue Zeit habe begonnen: das »Informationszeitalter«. Man kann den Fernsehapparat nicht einschalten, ohne daß vom begeistert scheinenden Talkmaster verkündet wird: »Wir sind jetzt im Internet!« Zeitschriftenredaktionen erklären stolz, ihre Produkte seien jetzt auch »onine« erhältlich. »Surfen« im »Cyberspace« scheint längst zur olympischen Disziplin erklärt: Dabeisein ist wichtiger als zu gewinnen. Doch nicht allein Computer-Freaks sind durch diese Entwicklung betroffen: Kinder laufen – wie Notärzte – mit Piepern (»Scall«) durch die Straßen, um allzeit erreichbar zu sein. Und der durchschnittliche Passant hofft verzweifelt, irgendjemand möge doch endlich das Telefongeheimnis durchsetzen, wenn er an jeder Ecke durch die intimen Telefongespräche seiner Mitmenschen belästigt wird (öffentliche Toiletten haben doch auch Türen …). Es ist – trotz aller Bemühungen – nicht zu leugnen, daß sich im Bereich unserer Kommunikationsmedien etwas tut, das unseren Alltag verändert. Grund genug für einen Versuch, sich unter einer systemischen Perspektive diesen Phänomenen ein wenig anzunähern und die Frage zu stellen, wie »virtuell« diese Veränderungen sind und welche Folgen sie für die Organisation unseres täglichen Lebens haben könnten.
Sluzki, Carlos E. (1996): Das Rückfordern von Worten, das Rückfordern von Welten. In: Familiendynamik, 21 (3), S. 311–316.
Abstract: Vor ungefähr zehn Jahren ging ich zur Nachsaisonzeit an einem weiten, leeren Strand in Cancun, Mexiko, spazieren und stieß dort auf einen alten Freund und Kollegen, der ebenfalls in seinen Ferien dieses Land besuchte. Es war ein reines Zufallstreffen, ein glückliches Ereignis, das uns beide überraschte und überglücklich machte, da wir recht gute Freunde gewesen waren, uns aber in den letzten Jahren nicht gesehen hatten. Er lebte – wie sein ganzes Leben lang – in einem Land, in dem in den vergangenen fünf Jahren politischer Terrorismus unter einem äußerst gewaltsamen, repressiven Regime, das neben anderen Schreckensgeschehnissen eine totale Kontrolle der Medien, willkürliche Festnahmen, Folter und das Verschwinden von Menschen mit sich brachte, herrschte. Wir gingen dann gemeinsam an diesem verlassenen Strand und erzählten uns im einzelnen was sich in unseren Leben ereignet hatte. Nach einer Weile fragte ich ihn: »Wieviel machen in Deinem Leben die politische Gewalt, die Todeskommandos, aus?« Er schaute über seine rechte Schulter, dann über seine linke, starrte mich dann aufmerksam, überrascht und mißbilligend an und sagte mit leiser Stimme: »Wir sprechen jetzt besser nicht darüber«. Ziemlich belustigt sagte ich dann zu ihm: »Ach, komm, schau’ Dich um, sieh, wo wir sind!« Er antwortete verärgert: »Später, später, nicht jetzt«.
Limacher, Bernhard (1996): Rezension – Barry Dym & Michael L. Glenn (1994): Liebe, Lust und Langeweile: Die Zyklen intimer Paarbeziehungen. Stuttgart (Trias). In: Familiendynamik, 21 (3), S. 317-317.
Rohmann, Josef A. (1996): Rezension – Bernhard Nauck, Norbert Schneider & Angelika Tölke (Hrsg.)(1995): Familie und Lebensverlauf im gesellschaftlichen Umbruch. Stuttgart (Enke). In: Familiendynamik, 21 (3), S. 317-318.
Otte, Hilka (1996): Rezension – Peter Heinl (1994): «Maikäfer flieg, dein Vater ist im Krieg …«. Seelische Wunden aus der Kriegskindheit. München (Kösel). In: Familiendynamik, 21 (3), S. 318-320.
Burchert, M. (1996): Rezension – Gabriele Fürst (1994): Familiäre Lebensbedingungen und die subjektive Bedeutsamkeit der Medien. Fernsehen und Videospiel für 12- bis 14jährige Kinder. Frankfurt am Main/Berlin/Bern/New York/Paris/Wien (Peter Lang). In: Familiendynamik, 21 (3), S. 320-320.
Heft 4
Retzer, Arnold & Fritz B. Simon (1996): Editorial: Familientherapie: Konzeptuelles und Moralisches. In: Familiendynamik, 21 (4), S. 327-330.
Klein, Rudolf (1996): Der Onkel als Familientherapeut – der Familientherapeut als Onkel – Alexanders Spuckgedanke. In: Familiendynamik, 21 (4), S. 331–345.
Abstract: Der Autor stellt sein therapeutisches Vorgehen bei einer Symptombildung des fünfjährigen Neffen Alexander dar. Im Anschluß diskutiert er die Vor- und Nachteile dieses Vorgehens und hinterfragt das Tabu psychotherapeutischen Handelns bei Symptomen im Rahmen der eigenen Familie.
Rosenbaum, Robert & John Dyckman (1996): Die Integration von Selbst und System: Eine leere Schnittstelle? In: Familiendynamik, 21 (4), S. 346–382.
Abstract: Die Integration individual- und familientherapeutischer Ansätze kann scheitern, wenn epistemologische Konzeptionen des »Selbst« außer Acht gelassen werden. Die meisten individualtherapeutischen Ansätze setzen ein Selbst als relativ stabile Entität voraus. Ein »Selbst«, das Erfahrungen speichert und Persönlichkeitsmerkmale, Erinnerungen usw. mittels interner Schemata organisiert. Eine solche Konzeption läuft Gefahr, das Selbst zu verdinglichen. Darüberhinaus wird impliziert, daß psychische Probleme das Ergebnis innerer Defizite oder Konflikte sind. Dies kann in der Therapie zu Schwierigkeiten führen. Im Gegensatz dazu stützen sich ökosystemische Betrachtungsweisen auf konstruktivistische und kontextualistische Ansätze. Insofern aber, als die ökosystemische Epistemologie die autopoietische Organisation des Selbst auf Sprache gründet, trennt sie immer noch Subjekt und Objekt. Eine Konzeption, in der das Selbst keine stabilen, unterscheidbaren Merkmale besitzt, kann solche Schwierigkeiten überwinden helfen und einen dimensionslosen Ort schaffen, an dem Selbst und System, Individuum und Familie, Therapeut und Klient einander ungehindert begegnen können.
Spengler, Christian (1996): Auf der Suche nach der verlorenen Realität. In: Familiendynamik, 21 (4), S. 383–407.
Abstract: Die psychiatrische Wissenschaft befindet sich in einem traurigen, einschläfernden Zustand. Sie wird immer noch von dem antiquierten biologischen Krankheitsmodell dominiert, das meist in naivem Realismus genutzt wird, und einer unangemessenen Orientierung an der experimentellen Forschung. Andererseits wird die Rezeption systemischer Therapie durch die komplizierte Epistemologie behindert, die daran scheitert, Konzepte für Realität jenseits der Erfindung oder Konstruktion von Wirklichkeiten zur Verfügung zu stellen. Gegenwärtige Reflexionen zum Zustand der Wissenschaften legen nahe, eine Vielfalt von Wissensformen und Realitätskonzepten anzuerkennen. Die Begriffe Realität und Irrealität von Jean-Paul Sartre werden neu gelesen, analysiert und illustriert. Sie sind nicht allein für Psychiatrie und Psychotherapie nutzbar zu machen, sondern erlauben auch, selbst harte und grausame Realitäten wie die von Gewalt und Krieg in den Blick zu bekommen. Die Organisation des Holocaust, die Situation der Opfer und Überlebenden wird thematisiert, auch um das Bedürfnis nach einem erweiterten Spektrum von Realitätskonzepten zu unterstreichen.
Schwertl, Walter & Günther Emlein (1996): Moralische Probleme systemischer Therapie. In: Familiendynamik, 21 (4), S. 409–423.
Abstract: Die Autoren untersuchen moralische Implikationen der systemischen Therapie. In Teil 1 betrachten sie Moral aus systemtheoretischer Sicht und bestimmen in Anlehnung an Luhmann Ethik als Reflexionstheorie der Moral: Moral ist eine spezifische Weise, Unterscheidungen zu treffen. Dieser Teil endet mit der Formulierung eines »kategorischen Imperativs« für Kommunikation. In Teil 2 nehmen die Autoren zu verschiedenen Aspekten systemischer Therapie Stellung.