Wenn der bayerische Ministerpräsident sich seinen Weg nach oben nicht selbst mit zahllosen Intrigen gebahnt hätte: der Mann könnte einem Leid tun. Wie weiland Herr Honecker und anderes Politpersonal wird er nun nach allen Regeln der Kunst abserviert und merkt es selbst nicht richtig – so schnell geht das alles. So geht es halt in der Politik zu. Und was fällt einem dazu ein? Ein Zitat von Karl Kraus aus dem ersten Heft des ersten Jahrgangs der„Fackel“ im Jahre 1899:
„Die Verworrenheit unserer politischen Zustände hat einen großen Vortheil; sie erleichtert die Beurtheilung der führenden Männer. Unter minder schwierigen Umständen konnte sich ein Minister jahrelang der Feststellung seines Wertes entziehen. Selbst der Geschichte fehlen die Anhaltspunkte zur Beurtheilung einzelner Staatsmänner. Aber dieses historische Dämmerlicht ist vorüber. Heute ist die Beleuchtung so grell, dass man die Umrisse politischer Unfähigkeit weithin erkennt. Unsere Zeit richtet jeden Minister binnen ein paar Tagen standrechtlich. Auch auf die Abstufungen der Mittelmäßigkeit lässt sie sich nicht mehr ein.
Schwierigkeiten gibt es nur für den, der sie nicht überblickt. Der Mann, an dessen Intelligenz gemessen, die Conflicte unserer Politik klein erscheinen würden, ist aber noch nicht gefunden. Hat die individualistische Auffassung in der Geschichte Unrecht, die den historischen Verwicklungen nur die Aufgabe zuerkennt, die Persönlichkeit zu zeitigen, die ihrer Herr wird?“
Für alle, die Karl Kraus lieben, gibt es jetzt eine wunderbare Nachricht. Mit Ablauf der Urheberrechtsfrist ist sein Werk für die Allgemeinheit freigegeben und die Österreichische Akademie der Wissenschaften bietet ab sofort den freien und kostenlosen Online-Zugang zu allen 37 Jahrgängen der Fackel von 1899 to 1936 an: 415 Ausgaben und mehr als 22.500 Seiten. Die Datenbank ist im Volltext (und sehr schnell) durchsuchbar und bietet sowohl eine Darstellung im Faksimile an als auch einen (seiten- und zeilengenauen) digitalen Text. Einen Dank für diese editorische Leistung.
Und ein Trost: An Edmund Stoiber wird in hundert Jahren nichts mehr erinnern, Karl Kraus wird bleiben.
Zur Online-Präsentation der Fackel
Bayerische Schlachtplatte
15. Januar 2007 | Keine Kommentare