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Arist von Schlippe zum 60. Geburtstag

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Hans Schindler hat zum 60. Geburtstag von Arist von Schlippe eine Rede verfasst, die selbstredend bis zur Geburtstagsfeier am Wochenende gesperrt war. systemagazin freut sich, diesen Text noch nachreichen zu dürfen, und bedankt sich bei Hans Schindler und systhema, in der der Text auch gedruckt erscheinen wird…



Liebe KollegInnen,

ihr alle kennt ihn, „unseren Arist“. Er hat sich in unser aller Herzen geschrieben und geredet, durch wissenschaftliche Texte und Vorträge, aber auch durch Witze und persönliche Geschichten. Selten bringt er Andere gegen sich auf, immer hat er einen Blick für größere Zusammenhänge und ein offenes Herz. Oh – schon zum zweiten Mal Herz in einem Absatz: das spricht eindeutig für Arist.
Geboren in einer Pfarrersfamilie, als Ältester, dem dann noch vier Geschwister, drei Brüder und eine Schwester folgten, bekam er von den Eltern den Namen Arist (nach Aristoteles), ein Namen mit Anspruch, ein Name mit Gewicht. Seine ersten Männlichkeitsrituale erlebt er als Pfadfinder. Das Studium beginnt er in Hamburg, wo sein Vater mittlerweile Studentenpfarrer ist. Die Studentenbewegung geht ziemlich an ihm vorbei, keine der revolutionären Phantasien ergreift ihn, er bleibt bodenständig. Erst die Friedensbewegung fast zwei Jahrzehnte später spricht ihn an. Da ist er dann schon verheiratet und hat mit seiner Frau Rita zwei Kinder.
Die Hamburger Gesprächspsychotherapie war die erste therapeutische Sozialisation, die erste Liebe war die Gestalttherapie, aber erst die zweite Liebe wurde – wie auch in anderen Lebenssphären – die fürs Leben. War die Diplomarbeit noch der Gesprächspsychotherapie verpflichtet, hatte die Promotion schon systemische Grundlagen. Kinder, asthmakranke Kinder und ihre Familien waren sein erster Forschungsbereich. Auf dieses Thema wird er auch später zur Habilitation wieder zurückkommen.
Nach seiner Arbeit in kinder- und jugendpsychiatrischen Kliniken ging er 1981 an die Universität Osnabrück und begann seine Arbeit im klinisch-psycholgischen Bereich. Mit dem Abschluss seiner Promotion begann seine Lehrtätigkeit im Institut für Familientherapie Weinheim 1986. Schnell wurden dort seine Stärken wertgeschätzt und bereits 1987 fand das erste Weinheimer Symposion in Osnabrück statt.
Arist ist ein Systemiker und ein Systematiker. Was liegt da näher, als einen Überblick zu verfassen. Vermutlich ist „Familientherapie im Überblick“ (1. Auflage 1984, 12. überarbeitete Neuauflage 2010) das meistverkaufte Buch des Junfermannverlags. Beim ersten Versuch, es zu überarbeiten, ist daraus „Das Lehrbuch der Systemischen Therapie und Beratung“ entstanden, und während dieser Arbeit eine äußerst produktive Co-Autorenschaft und Freundschaft mit Jochen Schweitzer. Da trafen sich zwei Persönlichkeiten, die auch die berufspolitische Landschaft der Systemiker in den letzten 20 Jahren wesentlich (mit)bestimmt haben. Mittlerweile ist das Lehrbuch I ins Tschechische, Spanische, Ukrainische, Russische und Griechische übersetzt. Dieses Lehrbuch hat wesentlichen Anteil daran, die Wende von der Familientherapie zur systemischen Sichtweise in die Breite vermittelt zu haben.
Seiner baltischen Herkunft – es gibt einen Ort nebst Post mit entsprechendem Poststempel, der dem Familiennamen trägt – hat er sich immer verpflichtet gefühlt. Mit Unterstützung von Kolleginnen und Kollegen hat er eine Systemische Familientherapie-ausbildung in Riga durchgeführt. Konsequenterweise ist er heute Ehrenmitglied des Verbandes der lettischen Familientherapeuten in Riga.
Es fällt ihm leicht, seine Gedanken in Worte zu fassen und zu gut verständlichen Texten zu verdichten. Da war es nur folgerichtig, dass er zu den Gründungsmitgliedern der Zeitschrift „Systhema“ gehörte und bis heute Redaktionsmitglied ist. Auch wenn er schon seit einigen Jahre kein Heft mehr als Redakteur betreut hat, trägt er immer noch durch Texte und Diskussionen in der Redaktion wesentlich zur Gestaltung der Zeitschrift bei.
Ein publizistisches Projekt von großer Bedeutung und Tragweite war die Beteiligung an der Konzeptualisierung und Herausgabe der Zeitschrift „Psychotherapie im Dialog“. Damit kam die Systemische Therapie im Jahr 2000 aus der Ecke heraus, in der sie sich selbst als einmalig, genial und unwiderstehlich empfand, die anderen aber als zweifelhaft und anmaßend abstempelte. In diesem Projekt waren die Systemiker nun mitgestaltend auf Augenhöhe mit Analytikern und Verhaltenstherapeuten. In den 6 Jahren seiner Mitherausgeberschaft hat Arist selbst bemerkenswerte Beiträge geschrieben und anregende Hefte erarbeitet. Das wichtigste aber schein mir, dass er mit Jochen Schweitzer diese Augenhöhenpartnerschaft hervorragend ausgefüllt hat. Das hat uns im schulenübergreifenden Diskurs viel Anerkennung eingebracht. Mit dem Wechsel in das Team der ehrwürdigen Zeitschrift „Familiendynamik“ hat noch einmal ein neues, andersartiges Projekt für Arist begonnen. Mit dem neuen Team hat die Zeitschrift ein neues Äußeres, neue Schwerpunkte und einen neuen Biss bekommen.
Ach ja, da war ja auch noch Bert Hellinger. Er war wohl mitverantwortlich, dass Arist den Kontakt zu seiner ältesten Tochter (ostfriesisch „Vorkind“), die damals auf der entgegengesetzten Seite vom Globus lebte, wiedergefunden hat. Da brauchte es einige Zeit und Verärgerung, bis sich Arist in einem „offenen Brief“ deutlich von Hellinger abgrenzte und damit wesentlich zur Klärung im systemischen Feld beitrug. Seit der von ihm mit initiierten Unterschriftenliste (Potsdamer Erklärung) sind die Fronten markiert und Verwechslungen zwischen Systemischem Arbeiten und Aufstellungsarbeit nach Hellinger kaum noch vorgekommen.
Einen Monat nach der ersten, abschlägigen Entscheidung des Wissenschaftlichen Beirats zur wissenschaftlichen Anerkennung der Systemischen Therapie übernahm Arist den ersten Vorsitz in der Systemischen Gesellschaft“. War vorher noch kein „Weinheimer“ in diesem Gremium vertreten gewesen, waren nun auch zwei weitere Kollegen, die in Weinheim gelernt hatten, mit ihm in diesem Vorstand. Da ging es erst einmal um die Verarbeitung von Enttäuschungen und Kränkungen und um eine neue Ausrichtung der SG. Arist meisterte diese Aufgabe im und mit dem Vorstand und auch in Bezug auf den Gesamtverband hervorragend. Mit seiner Strategie – später als „Führung durch Rahmung“ charakterisiert – gelang es ihm, unterschiedliche Mentalitäten und Persönlichkeiten mit unterschiedlichen strategischen und taktischen Überzeugungen zu einer Gruppe („sieben Freunde sollt ihr sein“) zu vereinen.
In diesem Rahmen war es dann später möglich, die Ausrichtung des Europäischen Familientherapiekongresses in Berlin zu stemmen und – auf der Erfolgswelle schwimmend – in Berlin mit den Vorständen beider Verbände zu beschliessen, auf der Grundlage neuer Recherchenergebnisse internationaler Forschungen einen zweiten Versuch zur Beantragung der Anerkennung der Systemischen Therapie durch den Wissenschaftlichen Beirat zu stellen. Dieser Schritt war ja – wie alle wissen – schließlich von Erfolg gekrönt, war aber auch nur möglich auf der Grundlage der Kooperation mit Jürgen Kriz, dem Kollegen aus dem Studiengang Psychologie in Osnabrück.
Auch an der Entwicklung und Verbreitung des Elterncoaching war Arist entscheidend beteiligt. Als Haim Omer aus Israel für ein Forschungssemester per Mail Kontakt zu Kolleginnen und Kollegen in Deutschland suchte, hatte Arist sofort geantwortet. Auch hier erwuchs aus der produktiven Kooperation eine Freundschaft. Die Idee der „elterlichen Präsenz“ kam von Haim, die Power, diese in systemische Überlegungen einzustricken, kam von Arist, und so ist ein „Konzept“ entstanden, dass in der Elternberatung und als Ergänzung, bzw. unter bestimmten Bedingungen als Ersatz zur Familientherapie seit vielen Jahren sehr erfolgreich praktiziert wird.
Nach Arists Habilitation stand nun an, eine Professur zu besetzen. Arist übernahm die Vertretung eines Lehrstuhls für klinische Psychologie in Jena – fern der Heimat. Aber die Hochschullandschaft in der klinischen Psychologie Deutschlands ist momentan nicht nur verhaltenstherapeutisch dominiert, sondern gänzlich verhaltenstherapeutisch. Als dies immer deutlicher wurde, war die die Lehrstuhlnachfolge von Simon und Wimmer für Familienunternehmen in Witten/Herdecke ein Ausweg aus einer Sackgasse. Das ist die Realität und so wird es
auch bleiben – leider. Denn mir/uns fehlt Arist in den Bereichen, wo es um Berufspolitik, klinische Psychologie und Psychotherapieforschung geht. Da fehlt er mit seinen Kompetenzen, seinem Weitblick und seiner Fähigkeit, andere für die Sache gewinnen zu können.
Herzlichen Glückwunsch zum 60ten Geburtstag
Hans Schindler

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