Im von Lotti Müller und Ilse Orth herausgegebenen Band Integrative Therapie heute. Vielfalt
und Zukunftsorientierung, der in diesem Jahr im Bielefelder Aisthesis-Verlag erschienen ist, gibt es einen Beitrag von Jürgen Kriz über sein Konzept der Personzentrierten Systemtheorie. Einen Auszug daraus ist auf seiner Website veröfffentlicht. Darin schreibt er u.a.:
„Ein beträchtlicher – wenn nicht gar der größte – Teil sowohl der organismischen wie auch
der symbolischen Strukturierungsvorgänge läuft fern des Bewusstseins ab. Dabei wäre es
wichtig, zwischen den strukturierenden Kräften und deren inhaltlich benennbarem Ergebnis
zu unterscheiden: So können wir beispielsweise das, was wir „Ärger“ nennen, bei achtsamer
Aufmerksamkeit auf unser inneres Geschehen (ergänzt um die Selbstbeobachtung unserer
Verhaltensweisen) als „Ärger“ symbolisieren. Damit haben wir das Geschehen inhaltlich
beschrieben und als solchen dem Bewusstsein zugeführt. Wie und in welchem Ausmaß
dieser „Ärger“ allerdings als Operator unsere Wahrnehmung, unser Denken, Entscheiden
und Handeln beeinflusst sowie ggf. weitere Gefühle stimuliert, können wir mit unserem
Bewusstsein noch weit weniger erfassen als den inhaltlichen Aspekt. Interpersonell kann
mimischer Ausdruck zudem statt als Ausdruck innerer Befindlichkeit als appellativer Operator
unseres social brains eingesetzt werden (Benecke 2000).
Ebenso laufen wohl die meisten strukturierenden Wirkungen aus den Symbolsystemen fernab des Bewusstseins ab. […] Mit Blick auf die Wirkungen der Symbolsysteme müsste hier auch deren massive Erweiterung und Veränderung durch das Internet mit seinen Social-Media-Netzwerken diskutiert werden. Denn diese verändern gerade erheblich die Strukturierungsprozesse unserer Erfahrung – von den makrosozialen (Alternative Fakten, „Lügenpresse“, Trumpismus) über interpersonelle (Mobbing, Shitstorm, Influencer) bis in die psychischen Prozesse (was erregt die Aufmerksamkeit der Subjekte, was muss und darf geglaubt werden, wie groß ist der Anpassungsdruck der political correctness für die Subjekte?). Ebenso ist die Kompetenz und Performanz des Sprechens über uns und die „Welt“ erheblich von die Medien beeinflusst – von der Struktur des Messenger-Dienste bis hin zu sprachlichen Eingriffen durch künstliche Intelligenz wie ChatGPT. Diese Prozesse nicht zu übersehen, ist wichtig. […] Die unbewussten Kräfte, die unsere Welterfahrung wesentlich mitbestimmen, wirken daher sowohl im Bereich organismischer wie symbolischer Formierungen. Die derzeit so in Mode gekommenen Debatten und Bücherfluten über Achsamkeit sollten sich daher nicht nur auf „innere“ Prozesse, sondern auch auf die interpersonellen und kulturellen Prozessebenen richten. Denn auch von hier gehen Wirkungen aus, die ebenso mehr ins Bewusstsein gehoben werden sollten.“