Heute wäre der ungarische Psychoanalytiker und Mitbegründer der„Ethnopsychoanalyse“ George Devereux (gest. 1985) 100 Jahre alt geworden. Devereux, der einer bürgerlichen ungarischen jüdischen Familie entstammte, studierte ab 1926 in Paris Physik und Chemie und absolvierte eine Lehre als Verlagsbuchhändler in Leipzig. Anschließend kehrte er nach Paris zurück, um bei Marcel Mauss Ethnologie zu studieren. Von 1933 bis 1963 lebte er in den USA, wo er nicht nur ausgedehnte Feldforschungen bei den Mohave-Indianern durchführte, sondern auch eine Ausbildung zum Psychoanalytiker absolvierte. Ab 1963 bis 1981 lehrte er – auf Vermittlung von Claude Lévi-Strauss – an der École pratique des hautes études in Paris Ethnopsychiatrie. Seine Bücher„Angst und Methode in den Verhaltenswissenschaften“ und„Ethnopsychoanalyse: die komplementaristische Methode in der Wissenschaft vom Menschen“ haben auch in Deutschland zu Recht den Status eines Klassikers erlangt und u.a. Psychiater wie Erich Wulff beeinflusst. Das Konzept der„ethnopsychischen Störung“ postuliert, dass individuelle Konflikte oder Probleme sich regelmäßig vorgefertigter kultureller Ausdrucksmuster bedienen, die nur vor dem Hintergrund der jeweiligen kulturellen symbolischen Ordnungen verstanden werden können, eine universelle Symptomsprache also nicht existiert. Amoklauf, Kindesmißhandlung, Schizophrenie etc. können als solche„ethnopsychische Störung“ konstruiert werden. Devereux‘ wichtigster Schüler, der Pariser Ethnopsychoanalytiker Tobi Nathan, hat in einem umfangreichen Aufsatz, der auf Englisch übersetzt ist, nicht nur die Grundzüge der Ethnopsychiatrie dargestellt, sondern liefert auch einen Einblick in die komplexe Persönlichkeit von George Devereux. Dessen Geburtstag könnte ein Anlass sein, sich mal wieder mit seinem Werk zu beschäftigen.
Zum vollständigen Text von Tobi Nathan
100. Geburtstag von George Devereux
13. September 2008 | Keine Kommentare