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„Gute“ organisatorische Gründe für „schlechte“ Krankenakten

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Harold Garfinkel (Foto phenomenologyonline.com), mittlerweile 91 Jahre alt, ist der Begründer der Ethnomethodologie, einer in den 70er-Jahren populären sozialwissenschaftlichen Schule (die zu Unrecht in den vergangenen Jahren in den Hintergrund gerückt ist), die sich mit der Frage auseinandersetzt, wie sich Menschen in den sozialen Strukturen der alltäglichen Lebenswelt wechselseitig orientieren und nach dem ihnen selbstverständlich scheinenden Alltagswissen handeln. Im Unterschied zu gleichgesinnten Theoretikern hat Garfinkel die Frage der Konstruktion der sozialen Wirklichkeit immer auch als empirische Fragestellung verstanden. In seinem 1967 erschienenen Buch„Studies in Ethnomethodology“ wurde der Beitrag„„Good“ organizational reasons for „bad“ clinic records“ erstmals veröffentlicht. Im Jahre 2000 erschien eine von Astrid Hildebrand besorgte Übersetzung in„System Familie“ und kann in der Systemischen Bibliothek des systemagazin nachgelesen werden. In diesem schönen Text geht es um die Frage, welchen Sinn die in Bezug auf die Erzählung einer Krankenbehandlung oftmals dürftigen psychiatrischen Krankengeschichten dennoch in Hinblick auf die verborgenen„kontraktuellen“ Aspekte des Behandlungsprozesses im Kontext psychiatrischer Organisationen haben. Es handelt sich also um einen spannenden Beitrag zum Diskurs, wie über die Konstruktion der Krankengeschichte eines konkreten Patienten als eines optimal unbestimmten Falles den Notwendigkeiten einer klinischen Organisation (und Dokumentation) Rechnung getragen werden kann:„Das für Krankengeschichten gültige Interpretationsschema kann grundsätzlich von überall her bezogen werden. Es kann sich mit dem Lesen jedes einzelnen Items verändern; es kann sich mit den Zielsetzungen des Forschers verändern, wenn er aus den Dokumenten, auf die er stößt, einen Fall machen möchte; es kann sich „im Lichte der Verhältnisse“ verändern und sich mit den notwendigen Anforderungen verändern. Herauszufinden, zu entscheiden oder darüber zu streiten, in welcher Beziehung der Sinn eines Dokuments zum „Ordnungsschema“ steht, bleibt voll und ganz dem Urteil des Lesers überlassen, wie er dies in einem spezifischen Fall, gemäß dem Fall, im Licht seiner Zielsetzungen, im Licht seiner sich verändernden Absichten, im Lichte dessen, was er allmählich herausfindet, usw. für geeignet hält. Die Bedeutungen der Dokumente verändern sich als Funktion des Versuchs, diese zu einer Aufzeichnung eines Falles zusammenzufassen. Anstatt im Vorhinein darzulegen, worüber es in einem Dokument überhaupt gehen könnte, wartet man ab, bis man erkennt, worauf man in den Krankengeschichten stößt, und daraus „fertigt“ man, findet man buchstäblich das, worum es in dem Dokument überhaupt ging. Dann kann der Leser erkennen, ob Kontinuität, Konsistenz und Kohärenz zwischen dem Sinn des einen Dokuments und dem eines anderen Dokuments bestehen – oder nicht. In keinem Fall werden dem Leser Einschränkungen auferlegt, um im Vorhinein zu rechtfertigen oder kundzutun, was in der Krankengeschichte wofür Bedeutung hat oder welchen Dingen er in Bezug auf was Bedeutung beimessen wird oder nicht“
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