Baecker, Dirk (2006): Editorial. In: Soziale Systeme 12(1), S. 3-5
Japp, Klaus P. (2006): Terrorismus als Konfliktsystem. In: Soziale Systeme 12(1), S. 6-32
abstract: Der Aufsatz wendet sich gegen einschlägige Argumentationen zum internationalen Terrorismus, die mit einfachen (Armut) oder auch komplexeren Kausalannahmen (Bildungsdefizit und Armut usw.) arbeiten. Empirische und theoretische Indikatoren weisen darauf hin, dass es sich beim islamistisch geprägten Terrorismus und dem resultierenden ‚war on terrorism’ um ein parasitäres Konfliktsystem handelt, das eigene, interne Kausalitäten einer Konfliktlogik aufbaut, die sich nicht durch externe Ursachen erklären lassen. Das System verwendet gegenläufige Einheitssemantiken, die die Struktur des Konfliktsystems für seine Umwelten anschlussfähig halten. Aus der stabilen Selbstreferenz der internen Reproduktionsdynamik des Konflikts und aus der Relativierung von Rationalitätsansprüchen der Schemata von politischen Beobachtern (Multilateralität/Unilateralität) wird eine wenig optimistische Sicht auf dessen ‚Auflösung’ gefolgert.
Stichweh, Rudolf (2006): Die Universität in der Wissensgesellschaft: Wissensbegriffe und Umweltbeziehungen der modernen Universität. In: Soziale Systeme 12(1), S. 33-53
abstract: Der Aufsatz rekonstruiert historisch und systematisch die Beziehungen der Universität zu verschiedenen Formen gesellschaftlich bedeutsamen Wissens. Das europäische Mittelalter konzentriert erstmals die wichtigsten Wissensformen und die Ausbildung der zugehörigen Praktiker in der Universität als einem Instrument einer in Wissen fundierten sozialen Kontrolle. Während die Aufklärung eine Ausweitung des Wissensanspruchs auf neue Gegenstände und neue soziale Gruppen mit sich bringt, radikalisiert die neue Universitätsidee des frühen 19. Jahrhunderts gegenläufig die Erwartungen an die Wissenschaftlichkeit und die Forschungsabhängigkeit eines jeden universitären Wissens. Erst nach diesem universitäts- und wissenschaftsgeschichtlichen Umbruch kehrt u.a. in der amerikanischen Universität die Idee der Inklusion der Wissensformen und die sozialen Gruppen in die universitäre Tradition zurück. Dies führt auf die Wissensgesellschaft der Gegenwart hin – als eine gesellschaftliche Formation, die durch die Produktion avancierten Wissens in vielen gesellschaftlichen Institutionen, durch die funktionale Differenzierung des Wissens und die Einbeziehung immer neuer sozialer Adressen bestimmt ist. Damit vervielfältigen sich die Beziehungen der Universität zu ihren sozialen Umwelten, die der Aufsatz abschließend unter vier Leitbegriffen systematisiert: Technologie und Humankapital als das in Verfahren oder in Personen inkorporierte Wissen; Professionalität und Rationalität als Verknüpfungen der Universität mit der Welt der Berufe und der Organisationen, als Werte und institutionalisierte Normen und schließlich als Orientierungsweisen, die das Weltverhältnis von Personen prägen.
Esposito, Elena (2006): Was man von den unsichtbaren Medien sehen kann. In: Soziale Systeme 12(1), S. 54-78
abstract: Im Unterschied zu ihren sonst üblichen Ansprüchen scheint die Systemtheorie den Begriff des Mediums nur ungenügend zu definieren; so dass der Begriff wird dann in mehreren offensichtlich unkoordinierten Bedeutungen benutzt wird. Orientiert an der Unterscheidung von Medium und Form und ihrer etwas merkwürdigen Bezeichnung als “präsystemtheoretische Unterscheidung” wird der Mediumsbegriff mit den Leitunterscheidungen System/Umwelt und Operation/Beobachtung verbunden und auf die Leistung des Sinns als Grundbegriff der soziologischen Theorie bezogen. So wird es möglich, die „Paradoxie der Unwahrscheinlichkeit des Wahrscheinlichen“ aufgrund der Unterscheidung von Auflöse- und Rekombinationsvermögen zu erklären und scheinbar heterogene Medien wie Sprache, Verbreitungsmedien und symbolisch generalisierte Kommunikationsmedien einheitlich zu behandeln.
Knudsen, Morten (2006): Autolysis Within Organizations: A Case Study. In: Soziale Systeme 12(1), S. 79-99
abstract: Der Beitrag zeigt, wie die von Niklas Luhmann entwickelte Systemtheorie für eine empirische Analyse von Lärm und lärmerzeugenden Mechanismen geöffnet werden kann. Die dem Artikel zugrunde liegende analytische Strategie ist die Beobachtung der Operationen, die ein soziales System konstituieren. Eine entsprechende Analyse macht auf das Fehlen von Anschlusskommunikation und auf die aktive Produktion von Lärm (verstanden als Operationen ohne Anschlüsse) aufmerksam, d.h. sie öffnet die Analyse für systemische Autolysis (Selbstauflösung). Darauf aufbauend wird eine operationale Analyse organisationaler Kommunikation durchgeführt, die die Leitdifferenz Ereignis / Rekursivität benutzt. Der Artikel ist in sechs Abschnitte gegliedert. Nach der Einleitung wird eine operational-analytische Strategie skizziert (I). Danach wird das Konzept der Autolysis vorgestellt (II). Eine Fallstudie über das Entscheidungsverhalten in einer Organisation des Gesundheitswesens liefert dann Beispiel für organisationalen Lärm im Sinne von Entscheidungen ohne Anschlusskommunikationen (III). Die Fallstudie demonstriert eine aktive Produktion von Geräuschen und identifiziert vier Mechanismen, die ein Rauschen erzeugen (IV). Danach wird diskutiert, wie die Organisation den Lärm beobachtet, den sie erzeugt (V). Abschließend werden die Resultate einer Zusammenführung der operational-analytischen Zugangsweise und des Konzepts der Autolysis identifiziert und weiterführende Perspektiven skizziert.
Blaschke, Steffen & Dennis Schoeneborn (2006): The Forgotten Function of Forgetting: Revisiting Exploration and Exploitation in Organizational Learning. In: Soziale Systeme 12(1), S. 100-120
abstract: Die computerbasierte Simulation ist zu einer weithin akzeptierten Methodik in den Sozialwissenschaften avanciert, insbesondere in der Organisationsforschung. In diesem Beitrag replizieren wir zunächst eine computerbasierte Simulation aus dem Bereich des organisationalen Lernens von James G. March. Im Anschluss daran modifizieren und erweitern wir die Replikation unter Rückgriff auf die Theorie sozialer Systeme Niklas Luhmanns. Während Marchs ursprüngliches Simulationsmodell vor allem die Konzepte Wissen und Lernen in den Blick nimmt, ergänzen wir das Modell um das Luhmannsche Konzept des Gedächtnisses, hier verstanden als eine fortlaufende Diskriminierung zwischen Vergessen und Erinnern. Im Lichte dessen kann gezeigt werden, dass Vergessen für Organisationen als Quelle dynamischer Instabilität dient. Es verhindert die Lähmung aufgrund inkonsistenter Organisationsgeschichte und wird somit zur ermöglichden Bedingung neuer Irritabilität und folglich Lernens
Reinhold, Thomas (2006): Zur Modellierung symbolisch generalisierter Kommunikationsmedien. In: Soziale Systeme 12(1), S. 121-156
abstract: Das Thema dieses Papers ist die Modellierung, Implementierung und Untersuchung von Mechanismen, auf deren Grundlage Multiagentensysteme in der Lage sind, Kommunikationsbeziehungen aufzubauen und zur Steuerung der Interaktion mit anderen Agenten, insbesondere bei konfligierenden Handlungszielen, einzusetzen. In den meisten Situationen, in denen Multiagentensysteme bisher eingesetzt werden, wird – zumeist implizit – die Bereitschaft der Agenten zur Kooperation als apriori gegeben vorausgesetzt und die Problemstellung dadurch auf die Koordination, als die gegenseitige Abstimmung von Handlungen reduziert. Komplexe, sich selbst organisierende Systeme rational abwägender und Eigeninteressen verfolgender Agenten erfordern jedoch weit höhere kommunikative Fähigkeiten, für deren Herausbildung die bisherigen Herangehensweisen der künstlichen Intelligenz kein geeignetes experimentelles Umfeld darstellen. Ausgangspunkt dieser Arbeit ist die Ansicht, dass unter derartigen Bedingungen der Prozess der Handlungsmotivation, also die Einigung auf ein gemeinsames Vorgehen explizit Teil des zu lösenden Problems ist. Ziel ist es daher, Mechanismen und Constraints herauszuarbeiten und zu diskutieren, die Agenten in die Lage versetzen, die Interaktionen innerhalb ihre Umwelt kommunikativ mit Hilfe emergierender Symbolsysteme zu beeinflussen und zu steuern. Die zu betrachtenden Fragen sollen dabei sowohl aus Sicht der künstlichen Intelligenz, mit Blick auf deren Ansatz der Multiagentensysteme, als auch vom Standpunkt der Psychologie und Soziologie aus beleuchtet werden, deren Theorien und postulierten Zusammenhänge die Grundlagen der Arbeit bilden.
Daiker, Christian (2006): Zur Simulation sozialer Systeme mittels systemtheoretischer Mechanismen – Eine Makrosimulation mit STELLA. In: Soziale Systeme 12(1), S. 157-195
abstract: Die vorliegende Arbeit zielt darauf ab, Luhmanns soziologische Systemtheorie in einem Computermodell abzubilden. Aus verschiedenen theoretischen Blickwinkeln werden dazu »Mechanismen« formuliert und zu einem Modell zusammengeführt, das aus vier sozialen Systemen besteht. Der Ausgangspunkt der Modellierung ist die Beschreibung sozialer Systeme als Bestandsgrößen mit Zu- und Abflüssen. Die Höhe der Zu- und Abflüsse bestimmt sich aus den »Mechanismen« Systemkonkurrenz, strukturelle Koppelungen, Anschlussfähigkeit, Komplexitätsausgleich und der historischen Ausdifferenzierung. Basierend auf diesen Mechanismen wird das Modell »Gesellschaft 1«, bestehend aus den Systemen Wirtschaft, Recht, Politik und Religion entwickelt und die absolute und relative Bestandsentwicklung untersucht. Das Modell »Gesellschaft 2« baut auf dem Modell »Gesellschaft 1« auf und variiert Werte für die Anschlussfähigkeit; außerdem wird getestet, inwieweit die Verhaltensweisen des Modells mit der »Realität« übereinstimmen könnten.
Torres Nafarrate, Javier & Darío Rodríguez Mansilla (2006): Editorial. In: Soziale Systeme 12(2), S. 219-221
Japp, Klaus P. (2006): Politische Akteure. In: Soziale Systeme 12(2), S. 222-246
abstract: Die soziologische Systemtheorie hat ein Problem mit ‚Akteuren’. Akteure werden häufig ‚fiktive Akteure’ genannt, insofern der Begriff auf kommunikative Erwartungen referiert und auf kommunikative Zurechnungen von Handlungen, aber eben nicht auf konkrete Personen (I). Im Folgenden soll eine allgemeine Theorie des Akteurs skizziert und diese Argumentation auf den homo politicus – auf den politischen Akteur – angewendet werden (II). Während ein ‚Rationalakteur’ nichts als eine kommunikative Konstruktion ist, eine rationalisierte ‚Adresse’, verweist der Begriff der Person – wiewohl gleichfalls ‚nichts als’ eine soziale Konstruktion – als strukturelle Kopplung auf die ‚andere Seite’ des Bewusstseins. Es wird also zwischen ‚Akteur’ und ‚Person’ differenziert. Diese Sicht erfordert Spezifikationen auf der Seite des Bewusstseins, weil die systemtheoretische Figur der strukturellen Kopplung beide Systeme auf den Schirm der Theorie bringt: Bewusstsein und Kommunikation (III). Die Gründe dafür, dass diese strukturelle Kopplung ‚hält’, werden in der Rekonstruktion psychischer Selbstorganisation durch Selbstschemata im Zuge der Erwartungsübernahme durch Beteiligung an Kommunikation gesucht (IV). Der Zusammenhang wird zugespitzt in der Formel, dass individuelle und organisierte Akteure sich – in der modernen Gesellschaft – in dem Maße konfigurieren als sie beobachten, wie sie als Akteure beobachtet werden (V). Dieser Zusammenhang wird an Beispielen demonstriert (VI), die auf einen Begriff des homo politicus verweisen, der allerdings – im Gegenzug – nicht ohne Personen auskommt (VII).
Neves, Marcelo (2006): Die Staaten im Zentrum und die Staaten an der Peripherie: Einige Probleme mit Niklas Luhmanns Auffassung von den Staaten der Weltgesellschaft. In: Soziale Systeme 12(2), S. 247-273
abstract: Der Aufsatz geht von der Unterscheidung von zentraler und peripherer Moderne als eine Differenz, die negativen Wirkungen auf die funktionale Differenzierung der Weltgesellschaft hat, aus und aus diesem Ausgangspunkt setzt sich mit den Problemen der Staaten in den jeweiligen Kontexten auseinander. Der Verfasser geht aus Luhmanns systemtheoretischer Perspektive auf die Merkmale und Probleme der demokratischen Rechtsstaaten in der zentralen Moderne ein. Im Anschluss daran werden die Grenzen der Staatsbildung und Staatsrealisierung und der Mangel an operativer Autonomie bzw. funktionaler Ausdifferenzierung des Recht und der Politik in der peripheren Moderne behandelt. Zum Schluss konzentriert sich der Autor auf den Trend einer paradoxen „Peripherisierung des Zentrums“ im Zuge der sogenannten „Globalisierung“ und auf die Grenzen dieses Trends in einer asymmetrischen Weltgesellschaft.
Mascareño, Aldo (2006): Ethic of contingency beyond the praxis of reflexive law. In: Soziale Systeme 12(2), S. 274-293
abstract: Mit der Absicht, einige Anweisungen abzuleiten, die die Idee einer Ethik der Kontingenz plausibilisieren können, werden in diesem Text drei Modelle eines reflexiven Rechts (Kontextsteuerung, Optionenpolitik und ad-hoc-Schiedsgerichtsbarkeit) analysiert. Das reflexive Recht ist, gerade weil es die systemische Autonomie als unproblematisch anerkennt und dementsprechend dezentrale Koordinationsformen konzipiert, eine privilegierte Strategie im Umgang mit der Ungewissheit, die aus den ungleichartigen Rationalitäten, unterschiedlichen systemischen Interessen und kollidierenden normativen Erwartungen, die die moderne Gesellschaft charakterisieren, entsteht. Bei dieser Ungewissheitsbewältigung aber zeigt das reflexive Recht – jenseits seinen pragmatischen Leistungen – eine Weltvorstellung, die auf der Kontingenzerfahrung basiert. Einerseits bedeutet dies, dass die operative Autonomie differenzierter Einheiten hochgeschätzt ist, und andererseits, dass unter ihnen eine koordinierte Koexistenz in Form eines modus vivendi gefördert wird. Ob dies eine Ethik der Kontingenz genannt werden kann, ist die zentrale Frage dieses Aufsatzes.
Tyrell, Hartmann (2006): Zweierlei Differenzierung: Funktionale und Ebenendifferenzierung im Frühwerk Niklas Luhmanns. In: Soziale Systeme 12(2), S. 294-310
abstract: Der Beitrag richtet den Blick auf das Frühwerk Niklas Luhmanns, auf das Jahrzehnt von der Mitte der 1960er bis in die Mitte der 1970er Jahre und zeichnet die Luhmannsche Ideenentwickung in Sachen ‚soziale Differenzierung’ nach. Es geht dabei einerseits – mit Grundrechte als Institution (1965) als Ausgangspunkt – um die funktionale Differenzierung der Gesellschaft. Anderseits geht es um die Ebenendifferenzierung von Interaktion, Organisation, Gesellschaft; der Ausgangspunkt ist hier Funktionen und Folgen formaler Organisation (1964).
Göbel, Andreas (2006): Zwischen operativem Konstruktivismus und Differenzierungstheorie. Zum Gesellschaftsbegriff der soziologischen Systemtheorie. In: Soziale Systeme 12(2), S. 311-327
abstract: Der Beitrag diskutiert einige theoretische Schwierigkeiten der Luhmannschen Fassung von Gesellschaftstheorie. Insbesondere die paradoxe Fundierung der Kategorie „Gesellschaft“ – nur einer unter mehreren Typen sozialer Systeme, zugleich aber Begriff für die Einheit der Gesamtheit des Sozialen – sticht hier hervor. Sondiert man die für die Theorie relevanten und am Gesellschaftsbegriff markierten Problemlagen und Desiderate, ergibt sich daraus einerseits eine differenzierungstheoretische Akzentuierung der Gesellschaftskategorie im Sinne ‚letzter, grundlegender Reduktionen’, wie sie für eine Differenzierungsform eigentümlich sind. Andererseits steht dem die (spätere) tendenzielle Identifikation von Gesellschaft mit dem Gesamt aller Kommunikationen entgegen. Beide begrifflichen Ebenen sind miteinander nicht auf allen Ebenen kompatibel. Man kann aber zeigen, dass die kommunikations- und emergenztheoretische Fassung des Gesellschaftsbegriffs auf Problemlagen der differenzierungstheoretischen Fassung reagiert – sie freilich wahrscheinlich nicht ‚aufhebt’.
Esposito, Elena (2006): Zeitmodi. In: Soziale Systeme 12(2), S. 328-344
abstract: In vielen Situationen in der modernen Gesellschaft und insbesondere bei riskanten Entscheidungen wäre einen komplexerer Zeitbegriff nötig, der die Differenz zwischen gegenwärtiger Zukunft und künftigen Gegenwarten berücksichtigt sowie die Tatsache, dass man es immer mit einem unbekannten Zukunft zu tun hat – von der man aber weiß, dass sie vom gegenwärtigen Verhalten abhängig ist: Wir wissen nicht, was sich ereignen wird, wissen aber, dass es sich aus dem ergeben wird, was wir (und andere) jetzt tun. Ausgehend von der doppelten Unterscheidung aktuell/inaktuell und Vergangenheit/Zukunft schlägt der folgende Beitrag einen modalisierten Begriff der Zeit vor, der Unbestimmtheit und Operativität kombiniert. Die Dynamiken auf den Finanzmärkten werden als Beispiele für die Operationsweise dieser rekursiven und reflexiven Zeit diskutiert.
Clam, Jean (2006): Was ist ein psychisches System? Zum Vollzug von Bewusstsein zwischen rauschender Kommunikation und Geminierter Individualität. In: Soziale Systeme 12(2), S. 345-369
abstract: Ausgehend von einer Rekonstruktion von Luhmanns Versuch, die Theorie einer autopoietischen Kommunikation mit der einer Autopoiesis des Bewusstseins zu flankieren, erkundet der Aufsatz die konstitutiven Bezüge dessen, was Luhmann ein psychisches System nennt. Dabei wird die Rauschensstruktur der Kommunikation herausgearbeitet und gezeigt, dass die systemische Syntaktisierung der Kommunikation dieser notgedrungen die Struktur eines außen operierenden Gesamtprozesses für ein in sie hinein gewobenes psychisches System verleiht. Es stellt sich dann die Frage nach der Weise der Aneignung der von dieser Kommunikation produzierten Sinnbestände durch das Bewusstsein. Dessen Zurückwerfung auf die Überfülle der Wahlmöglichkeiten von Lebensentwürfen und Genusschancen bedingen seine Geminierung zu einer Doppelindividualität, die in unseren Gesellschaften nunmehr Voraussetzung für die Ergreifung solcher Entwürfe und Chancen ist.
Bogdal, Klaus-Michael (2006): Interdisziplinäre Interferenzen. Luhmann in den Literaturwissenschaften. In: Soziale Systeme 12(2), S. 370-382
abstract: Trotz transdisziplinärer Forschungspraxis sind disziplinäre ‚Schließungen’ für die Identität der Literaturwissenschaft entscheidend. Kopplungen von Theorien unterschiedlicher disziplinärer Herkunft zu einem hybriden ‚Forschungsdesign’ sind störanfällig, wenn die epistemologischen Hindernisse nicht in zureichendem Maße benannt werden. Auf Hindernisse dieses Typs möchte ich im Blick auf die Systemtheorie hinweisen und diese vorläufig als interdisziplinäre Interferenzen bezeichnen. Da die Germanistik eine nicht-paradigmatische Wissenschaft ist, gestaltet sich der Prozess der ‚Wissensakzeptierung’ uneinheitlich und widersprüchlich. Die Interferenzen zwischen Luhmanns Systemtheorie und der Literaturwissenschaft lassen sich an vier Schnittstellen verorten: am Verhältnis der Fiktionalität literarischer Kommunikation und ihrer lebensweltlichen Realität, am Verhältnis von Text, Archiv und Kommunikation, am Verhältnis psychischer Systeme und literarischer Kommunikation und schließlich am Gegenstand der sozialen Evolution und des Systemwandels.
Fuchs, Peter (2006): Vom Zögling zum Formen-Topf: Das Adressenformular der Erziehung. In: Soziale Systeme 12(2), S. 383-402
abstract: Im Zentrum dieses Aufsatzes steht die Differenz zwischen der althergebrachten Konstruktion des sogenannten ‚Adressenformulars’ während der Zeit der Stratifikation und der Transformation dieses Formulars unter den Bedingungen der funktionalen Differenzierung. Der Leitgedanke ist, dass das Erziehungssystem bis zum heutigen Tage rigide der Idee anhängt, dass das Subjekt der Erziehung charakterisiert werden kann als eine Einheit mit einem ‚Selbst’, das adressabel und verantwortlich ist. Die Intention der Erziehung (Personen zu verändern, die ‚eins’ sind) erzeugt so etwas wie eine fungierende ‚Ontologie’ des Systems. Diese Situation ändert sich mit der funktionalen Differenzierung der Gesellschaft. Sie wird ‚polykontextural’ und ‚heterarch’. Die Folge ist, dass die ‚moderne’ soziale Adresse die Form einer ‚Liste’ annimmt. Sie kann nicht in die Form einer Einheit, eines Subjekts oder einer Art von ‚Selbstidentität’ gebracht werden. Dies ist der Grund für mannigfache und ernsthafte Schwierigkeiten des Systems.