Heft 1
Kleve, Heiko & Schlippe, Arist von (2019): Editorial: Was Familien so alles unternehmen …. In: Familiendynamik, 44 (01), S. 1-1.
Abstract: Die BWL schaut auf Unternehmen aus einer Perspektive der Effizienz und Gewinnmaximierung. Für das Verständnis von Familienunternehmen reicht dieser Blick jedoch nicht aus. Hier geht es darüber hinaus um psychosoziale Faktoren, mit denen die familiären Eigentümer die ihnen angeschlossenen Unternehmen nachhaltig prägen. Wer Familienunternehmen verstehen will, der muss die transgenerationale Logik von Familien und die sich daraus ergebenden systemischen Muster beschreiben können. Familienunternehmen sind damit ein typisch transdisziplinärer Praxis- und Forschungsbereich: Unterschiedliche Professionen und Disziplinen sind gefordert, ihre Perspektiven so zusammenzuführen, dass diese Unternehmens- und Familienform in ihrer Vielschichtigkeit begriffen werden kann.
Caspary, Simon (2019): Die Unternehmerfamilie als Familie eigener Art. Wenn das Unternehmen mit am (Beratungs-)Tisch sitzt. In: Familiendynamik, 44 (01), S. 4-13.
Abstract: Die Unternehmerfamilie kann im Vergleich zu den heute vorherrschenden Familienformen als »Familie eigener Art« klassifiziert werden. Ihr Wesen ergibt sich aus der strukturellen Kopplung der zwei Systeme Familie und Unternehmen. Daraus resultiert unweigerlich eine Vermischung beider Kontexte, wodurch die Familienmitglieder gleichzeitig unterschiedlichen Logiken ausgesetzt sind. Diese beeinflussen und prägen auch die Nachkommen. Der Beitrag geht der Frage nach, wie sich die Kopplung an ein Unternehmen auf die Familie wie auch auf die Identitätsbildung der Nachkommen auswirkt. Um zu verstehen, in welchem Kontext sich die Sozialisation der Nachkommen vollzieht, werden zunächst die Besonderheiten von Unternehmerfamilien dargestellt. Anschließend wird ein theoriegeleitetes Verständnis dessen vermittelt, wie die Dynamiken innerhalb der Unternehmerfamilie die Identität der Nachkommen im Zuge ihrer Sozialisation formen. Abschließend werden die Erkenntnisse zusammengefasst und Implikationen für die Beratungspraxis erläutert.
Wulf, Esther-Marie (2019): Freiwilligkeitsmythos Nachfolge. Die paradoxe Entscheidungssituation von Nachfolgern in Familienunternehmen. In: Familiendynamik, 44 (01), S. 14-22.
Abstract: Die Nachfolgeentscheidung wird vielfach als eine auf Freiwilligkeit basierende Handlung des Nachfolgers beschrieben. Dabei ist trotz gesellschaftlicher Entwicklungen, die eine Vielfalt an biografischen Optionen nahelegen, bis heute die familieninterne Nachfolge das bevorzugte Modell, um ein Familienunternehmen weiterzuführen. Oftmals geht sie mit ambivalenten Gefühlen seitens des Nachfolgers einher, was die Frage nach der Spannung zwischen deklarierter Freiwilligkeit und den Motiven, die der Entscheidung zugrunde liegen, aufwirft. Dieser Artikel zeigt auf, in welchem Spannungsverhältnis sich Nachfolger heute bei der Entscheidung, in das Familienunternehmen einzusteigen, bewegen. Zugleich beleuchtet der Artikel das Dilemma des übergabewilligen Unternehmers, dessen größter Wunsch und Wille es ist, das Familienunternehmen mit dem eigenen Sohn (meist sind es bis heute die männlichen Nachkommen) in die nächste Generation zu überführen, ohne dabei jedoch dem Nachfolger die biografischen Entscheidungen direkt und verpflichtend aufzuerlegen.
Kleve, Heiko (2019): Die Verkörperung der Unternehmerfamilie. Systemische Strukturaufstellungen einer besonderen Sozialform. In: Familiendynamik, 44 (01), S. 24-32.
Abstract: Unternehmerfamilien sind besondere Sozialsysteme, in denen sich die in der modernen Gesellschaft gemeinhin getrennten Sphären der Familie und des Unternehmens verbinden. Diese Verbindung sowie die Herausforderungen, die damit einhergehen, lassen sich mit systemischen Strukturaufstellungen reflektieren. Diese systemische Reflexion nutzt Körperwahrnehmungen im Raum, die bestenfalls dreierlei anregen: kognitive, emotionale und aktionale Bewegungen, also Veränderungen in Kopf, Herz und Hand. Wie dies in der Arbeit mit Unternehmerfamilien realisiert werden kann, wird anhand der Tetralemma-, der Nachfolge- und der Polaritäten-Aufstellung gezeigt.
Sposini, Claudia (2019): Psychologische Aspekte des Cybermobbing. Erfahrungen mit italienischen Schülern. In: Familiendynamik, 44 (01), S. 34-42.
Abstract: Dieser Beitrag nähert sich dem Phänomen des Cybermobbing zunächst definitorisch und in der Abgrenzung zum herkömmlichen Mobbing. An drei Fallbeispielen werden Arten und Verläufe von Cybermobbing sowie Ausgänge aus dem leidbringenden Geschehen dargestellt. Dann wird berichtet, welche Präventionsmaßnahmen und Interventionen sich an italienischen Schulen bewährt haben. Schule, Familie und Schüler müssen dafür zusammenarbeiten. Zu Beginn des Schuljahres wird ein »Pakt der gemeinsamen Verantwortung« zwischen Familie, Schule und Schülern geschlossen. Darin wird zugesagt, dass alle Maßnahmen zum Ziel haben, den Schüler zu fördern und wertzuschätzen. Die schulischen und pädagogischen Ziele werden kommuniziert und veranschaulicht. Das Dokument beschreibt außerdem Interventionen und präventive Maßnahmen gegen Mobbing und Cybermobbing. Schule und Familie einigen sich so auf eine gemeinsame Linie in der Erziehung zum respektvollen Umgang miteinander. Ziel ist es, eine Geisteshaltung zu fördern, die das »Andere« anerkennt und respektiert. Weitere konkrete Maßnahmen werden erläutert. Gefordert wird, dass jede Schule ein Konzept zu digitaler Bildung entwickelt.
Olthof, Jan (2019): Ein gemeinsamer Rahmen für das therapeutische Vorgehen: der Ansatz der systemisch-narrativen Therapie. In: Familiendynamik, 44 (01), S. 44-52.
Abstract: Thema dieses Beitrags ist die Notwendigkeit, in der Psychotherapie eine gemeinsame Linie zu finden. Damit die Therapie erfolgreich sein kann, müssen Therapeut und Klient sich über die Behandlungsziele einigen. In diesem Zusammenhang ist u. a. zu klären, welche Person(en) in den therapeutischen Prozess einbezogen werden sollte(n). Der Autor erörtert insbesondere die Notwendigkeit, einen therapeutischen Kontext zu definieren und einen therapeutischen Bezugsrahmen zu entwickeln. Das Konzept des Kontextes ist von vorrangiger Bedeutung und liegt der gesamten Kommunikation zugrunde. Zu entscheiden, wo die kontextuellen Grenzen zu ziehen sind, ist Aufgabe des Psychotherapeuten. Ein Kontext ist therapeutisch, wenn sämtliche Beziehungen innerhalb dieses Kontextes organisiert werden. Sobald dies geschehen ist, kann ein therapeutischer Bezugsrahmen entwickelt werden. Das einschlägige Metamodell wird anhand mehrerer aussagekräftiger Fallgeschichten beschrieben.
Aderhold, Volkmar & Hohn, Petra (2019): Das Konzept von Psychosen und die Antwort des Offenen Dialogs. In: Familiendynamik, 44 (01), S. 54-62.
Abstract: Der Beitrag beschreibt, mit welchen Konstrukten und in welchen Kontexten im Offenen Dialog mit Menschen in Psychosen gearbeitet wird. Psychose wird dabei verstanden als Ausdruck von etwas »Noch-nicht-Gesagtem«. Sie wird als Versuch aufgefasst, eine Kommunikation herzustellen, die auf andere Weise (noch) nicht möglich ist. Grundsätzlich wird sie als eine verstehbare Reaktion auf unerträgliche und ungelöste Lebensprobleme sowie häufige Traumatisierungen gesehen. In den Netzwerkgesprächen des Offenen Dialogs, bei denen sich wichtige Bezugspersonen zusammen mit dem Klienten und Professionellen treffen, geht es darum, ein gemeinsames Verständnis der Krise und des weiteren Vorgehens zu entwickeln. Der Offene Dialog zeichnet sich u. a. dadurch aus, dass Professionelle, auch körpersprachlich, echtes Interesse daran zeigen, was jede Person im Raum zu sagen hat. Jegliche Andeutung, dass jemand etwas Falsches gesagt haben könnte, wird dabei vermieden. Indem die Worte und Formulierungen insbesondere des Menschen in der Krise von den Professionellen aufgenommen werden, entsteht oft ein Zugang zu weiteren Beschreibungen und zu biografischen Erfahrungen, die der Krise zugrunde liegen könnten. Weisen des dialogischen Fragens werden ausgeführt. Die Gespräche im Offenen Dialog wirken oft »antipsychotisch«, auch über das konkrete Gespräch hinaus, sodass auf neuroleptische Medikation häufig verzichtet werden kann.
Kriz, Jürgen (2019): Zurück-Geschaut: Wissenschaftlich verbrämte Ideologie. Stephen Jay Gould (1983): Der falsch vermessene Mensch. Suhrkamp (Frankfurt am Main). In: Familiendynamik, 44 (01), S. 63-65.
Santo, Brigitte (2019): Danach ist man schlauer … Ein persönlicher Bericht darüber, wie man im Nachfolgeprozess den Überblick verlieren kann. In: Familiendynamik, 44 (01), S. 66-70.
Abstract: Nachfolge gilt als eine der herausfordernsten Phasen für ein Familienunternehmen. Es gibt die einen, die das gut meistern und sogar noch mehr Fahrt aufnehmen. Und es gibt die anderen, die sich aufreiben und manchmal in der Insolvenz landen. Was macht den Unterschied? Auf diese Frage kann es keine einfache Antwort geben, denn Familienunternehmen sind keine homogenen Systeme. Ich wage dennoch die Behauptung, dass sich die einen von den anderen in der Form des Verstehens und Verständnisses unterscheiden: im Verstehen der Dynamiken in diesem komplexen System und im Verständnis für sich selbst und den/die anderen. Der eigentliche Gegner ist nämlich meist nicht der andere, sondern die paradoxe Struktur des Familienunternehmens – einer »unmöglichen Unternehmensform« (vgl. v. Schlippe, 2012).
Schlippe, Arist von (2019): »Ein ›psychotherapeutischer Brühwürfel‹ sozusagen …« Arist von Schlippe im Gespräch mit Michael Bohne über das »Klopfen« und die Prozess- und Embodimentfokussierte Psychologie. In: Familiendynamik, 44 (01), S. 71-75.
Moritz, Bernhard (2019): Jasmin – die Geschichte einer Depression. Anatomie einer Verzweiflungstat. In: Familiendynamik, 44 (01), S. 76-79.
Abstract: In der Teeküche einer psychiatrischen Klinik. Zwei Frauen sitzen sich gegenüber. Da ist Jasmin Schückel, eine junge Frau, depressiv und wegen eines furchtbaren, tragischen Verbrechens angeklagt. Und da ist Frau Dr. Feldt, Psychiaterin und Gerichtsgutachterin. Was ist geschehen? Jasmin Schückel hat ihre kleine Tochter getötet, danach einen Selbstmordversuch unternommen, den sie aber überlebt hat. Frau Dr. Feldt hat nun die schwierige Aufgabe herauszufinden, ob Jasmin schuldfähig ist oder nicht. Vier Tage werden sich die beiden Frauen in diesem Raum gegen übersitzen und sich unterhalten. Ein intensives Kammerspiel beginnt …
Hanswille, Reinert (2019): Rezension – Elisabeth Wagner & Sigrid Binnenstein (Hrsg.) (2018): Wie systemische Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie wirkt. Prozessgestaltung in 10 Fallbeispielen. Berlin (Springer). In: Familiendynamik, 44 (01), S. 80-81.
Timmermann, Helene (2019): Rezension – Volker Langhirt (2017): Psychoanalytische Familientherapie. Bedeutung und Anwendung in der Praxis. Stuttgart (Kohlhammer). In: Familiendynamik, 44 (01), S. 81-82.
Emlein, Günther (2019): Rezension – Fritz B. Simon (2018): Formen. Zur Kopplung von Organismus, Psyche und sozialen Systemen. Heidelberg (Carl-Auer). In: Familiendynamik, 44 (01), S. 82-85.
Schick, Maren (2019): Rezension – Reinhard Maß & Renate Bauer (2016): Lehrbuch Sexualtherapie. Stuttgart (Klett-Cotta). In: Familiendynamik, 44 (01), S. 85-86.
Loth, Wolfgang (2019): Wir müssen etwas unternehmen! Müssen wir? In: Familiendynamik, 44 (01), S. 87-87.
Heft 2
Fischer, Hans Rudi & Göhlich, Michael (2019): Editorial: Von der Selbstoptimierung zur Selbstsorge? In: Familiendynamik, 44 (02), S. 89-89.
Abstract: Appelle, an sich selbst zu arbeiten, sich geistig und körperlich zu optimieren, dazu auch technische Hilfsmittel zu nutzen, sind allgegenwärtig. Effizienter und schöner zu werden, gesünder und achtsamer zu leben kann verführerisch sein, bereitet vielleicht sogar eine Zeit lang Vergnügen. Optimiere dich lebenslang selbst, scheint der kategorische Imperativ der Gegenwart zu sein. Wohin führt dieser Selbstoptimierungsanspruch? Wie weit können die gesellschaftliche Erwartung der Selbstoptimierung und die individuelle Übernahme dieser gesellschaftlichen Erwartungshaltung gehen, bis sie autodestruktiv werden? Nicht zuletzt angesichts der Zunahme psychischer Erkrankungen unter jungen Menschen ist eine Auseinandersetzung mit diesen Fragen dringend. Der gesellschaftliche Druck zur Selbstoptimierung deformiert möglicherweise das für jeden Menschen nötige Selbstverhältnis, d. h. das Verhältnis des betreffenden Menschen zu sich selbst. Hier scheint die Dialektik von Selbstoptimierung und Selbstsorge auf: Ist ein verträgliches Miteinander beider Prozesse möglich? Wo sind Maß und Mitte? Behindert Selbstoptimierung die Selbstsorge? Welche und wieviel Selbstoptimierung ist möglich, ohne mit der Sorge um sich zu kollidieren? Ist eine Bewegung von der Selbstoptimierung zur Selbstsorge nötig und wenn ja, wie kann sie gelingen?
Keupp, Heiner (2019): Selbstsorge als kommunitäres Projekt. Eine Perspektive jenseits neoliberaler Selbstverantwortung. In: Familiendynamik, 44 (02), S. 92-101.
Abstract: Selbstsorge in der psychosozialen Praxis bedarf eines reflektierten Bezugs zu den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen in der Gegenwartsgesellschaft, die den Subjekten ein hohes Maß an Veränderungen in ihrer alltäglichen und beruflichen Lebenspraxis zumutet. In einer Gesellschaft der ›Singularitäten‹ (Reckwitz) wird ein Subjekt konstruiert, das sich auf dem Fitness-Parcours des globalen Kapitalismus in einen Steigerungszirkel ohne Grenzmarkierungen begibt. Perspektiven für die Arbeit in der digitalisierten Zukunftsgesellschaft gehen genau in diese Richtung. Das damit verbundene Erschöpfungsrisiko ist für das individualisierte Subjekt nicht mehr steuerbar. Es bedarf einer Selbstsorge, die ihre Ressourcen aus Netzwerken kommunitärer Unterstützung schöpfen kann. Therapeutisch-technische Lösungsansätze werden dieser Herausforderung nicht gerecht. Psychosoziale Professionalität bedarf einer differenzierten Gesellschaftsdiagnostik und Konzepten dafür, wie die Selbstsorgeressourcen der Subjekte wirksam gefördert werden können.
Reichenbach, Roland (2019): Selbstsorge als soziale Praxis. Bemerkungen zu einer antiken Bildungsidee. In: Familiendynamik, 44 (02), S. 102-109.
Abstract: Die Idee der Selbstsorge stammt aus der griechischen Antike. Sie ist ihrem Ursprung nach sowohl eine ethisch-politische als auch pädagogische Kategorie, die sich im Verlauf der (abendländischen) Geschichte transformierte und zunehmend von individualistischen und subjektivistischen Tendenzen geprägt worden ist. Der (ursprüngliche) Bezug auf ein Wissen um ein Allgemeines und Soziales scheint heute von der Idee des Selbst entkoppelt zu sein. Dennoch können das Selbst und die damit verbundene Idee der Selbstsorge auch heute im weitesten Sinne als ethische Kategorien verstanden werden. Dem Selbst als einer Interpretationsinstanz, die darauf angelegt ist, die (eigene) Innenwelt zu verstehen, und sich durch Entwürfe im Lichte sozial ausgehandelter Werthorizonte konstituiert, ist die Fähigkeit zur Transformation, d. h. zur Neuinterpretation, zueigen. Wie die meisten sozial bedeutsamen Fähigkeiten unterliegt ihre Entwicklung günstigen Lern- und Lehrprozessen.
Schreiber, Julia (2019): Selbstsorge in Zeiten von Selbstoptimierung. Körperpraktiken zwischen biografischen Dispositionen und gesellschaftlichen Anforderungen. In: Familiendynamik, 44 (02), S. 110-117.
Abstract: In modernen kapitalistischen Gesellschaften scheint die Sorge um sich selbst mehr und mehr zu der Anforderung zu avancieren, das eigene Leben selbstverantwortlich zu gestalten und zu verbessern. Hierzu zählt auch, die eigene Gesundheit, Fitness und Leistungsfähigkeit kontinuierlich zu kontrollieren und zu optimieren. Vor diesem Hintergrund fragt der Beitrag danach, unter welchen Voraussetzungen vordergründig selbstsorgende oder selbstbestimmte Körperpraktiken gegenteilige Effekte haben können. Anhand eines Fallbeispiels werden die Bedingungen und Folgewirkungen körperbezogener Optimierungspraktiken beleuchtet und veranschaulicht, warum instrumentell ausgerichtete Verbesserungsbestrebungen auch dann noch aufrechterhalten werden, wenn sie sich destruktiv auf die Beziehung zum Selbst, zum Körper und zu anderen auswirken.
Junker, Stefan (2019): Selbstsorge für Therapeuten – wie geht das? Zur Pragmatik des Kümmerns um das Selbst. In: Familiendynamik, 44 (02), S. 118-125.
Abstract: Der Beitrag befasst sich damit, wie sich Therapeuten selbstsorglich reflektieren und entsprechend verhalten können. Zu diesem Zweck wird herausgearbeitet, was professionelle Selbstsorge im Kern ausmacht. Sie ist nicht einfach ein Set an Methoden, in deren Mittelpunkt der Therapeut steht. Funktional und professionell wird sie erst, indem der Kontext beachtet und die immer wieder neu zu beantwortende Frage nach dem »Wozu?« gestellt wird. Damit ist professionelle Selbstsorge vor allem eine strategische Haltung. Deutlich wird, dass falsch angelegte (vermeintliche) Selbstsorge negativen Stress erzeugen kann, anstatt ihm vorzubeugen und Freiheitsgrade zu begünstigen.Im Artikel geht es zentral darum, wie die skizzierte selbstsorgliche Haltung praktisch umgesetzt werden kann. Der Autor erläutert, wie man sich vor einem Zuviel an Empathie schützen, anderen die eigenen Grenzen aufzeigen und versöhnlich mit eigenen Fehlern umgehen kann. Er gibt Anregungen, wie private und berufliche Rollen klar voneinander getrennt werden können. Und er stellt dar, wie man die eigenen Möglichkeiten realistisch vermisst, um den eigenen Verantwortungsbereich angemessen und selbstsorglich abzustecken.
Roesler, Christian (2019): Die Wirksamkeit von Paartherapie. Teil 2: Ergebnisse einer bundes weiten naturalistischen Studie zur Wirksamkeit von Paarberatung. In: Familiendynamik, 44 (02), S. 126-136.
Abstract: Die Ergebnisse einer bundesweiten Studie über die Wirksamkeit von Paarberatung werden vor dem Hintergrund der internationalen Wirkungsforschung zur Paartherapie vorgestellt. Zusammen mit zwei weiteren Untersuchungen, die ebenfalls die Wirkung von Paarberatung in katholischer Trägerschaft in Deutschland in den letzten 20 Jahren untersucht haben, belegt die aktuelle Studie die Effektivität dieses Angebots. Allerdings zeigen Studien unter realen Praxisbedingungen durchgängig, dass nur 40 % der Paare in einem klinisch bedeutsamen Sinne und nachhaltig von der Intervention profitieren. Insbesondere Paare mit anfänglich hoher Belastung können sich nicht verbessern, brechen oftmals vorzeitig ab und trennen sich in der Folge. Diese Befunde bestätigen sich auch in der aktuellen Studie. Abschließend werden Schlussfolgerungen für die Praxis gezogen.
Frevert, Ute (2019): Die Macht der Demütigung. In: Familiendynamik, 44 (02), S. 138-142.
Abstract: Rituale der Erniedrigung dienten zu allen Zeiten dazu, Autorität auszuüben. Die Gerichtsbarkeit ließ Menschen am Pranger öffentlich zur Schau stellen, Lehrer machten widerborstige Schüler mit Schandmützen lächerlich. Solche Praktiken gehören zwar der Vergangenheit an. Doch die moderne Gesellschaft hat neue Methoden entwickelt, Außenseiter öffentlich zu brandmarken. Wer bei Demütigung an Pranger, Prügelstrafe und Brandmarkungen denkt, wird sich wundern: Was haben solche Praktiken, die Menschen in aller Öffentlichkeit herabwürdigten und bloßstellten, in der Moderne verloren? Tatsächlich sind sie seit etwa Mitte des 19. Jahrhunderts aus den europäischen Strafregistern verschwunden, aller dings erst nach langem Ringen und er bitterten Auseinandersetzungen. Dass sich der Staat in Europa von solchen Demütigungspraktiken verabschiedete, bedeutet aber keineswegs, dass es sie nicht mehr gibt. Nach wie vor werden Menschen öffentlich er niedrigt, lächerlich gemacht, mit Verachtung gestraft, an den virtuellen Pranger gestellt.
Schweitzer, Jochen, Schliessler, Clara, Kohl, Rupert Maria, Nikendei, Christoph & Ditzen, Beate (2019): Systemische Notfallberatung mit geflüchteten Familien in einer Erstregistrierungsstelle. In: Familiendynamik, 44 (02), S. 144-154.
Abstract: Dieser Praxisbericht beschreibt familiendynamische Beobachtungen und familientherapeutische Kurzinterventionen in einer Ambulanz für Psychosoziale Medizin in einer Erstregistrierungsstelle für geflüchtete Menschen in Baden-Württemberg. Ziel dieser systemischen Notfallberatung ist es, Kriseninterventionen für Flüchtlingsfamilien auch bei kurzen Verweildauern und hoher perspektivischer Unsicherheit im Asylverfahren zu entwickeln. Wir beschreiben erste Erfahrungen aus den Jahren 2016 und 2017 mit 36 Paaren und Familien aus neun Ländern, 16 davon in einer separaten »Familiensprechstunde«. Die Interventionen reichten von Psychoedukation und Normalisierung über Ressourcenarbeit bis zu Verhaltenstipps und Kontaktaufnahme zu Sozial- und Verfahrensberatung, Kinderbetreuung und Sprachkursen. Chancen und Grenzen dieser Arbeit werden verdeutlicht.
Mitterer, Josef (2019): Die Fake News Debatte. Kritische Anmerkungen. In: Familiendynamik, 44 (02), S. 156-162.
Abstract: Der Begriff »Fake News« hat einen ungeheuren Erfolg in der Öffentlichkeit und bereits Eingang in das Oxford English Dictionary und den Duden gefunden. Politiker, Historiker und Philosophen haben sich in die Diskussion eingebracht, in der es darum geht, Unterscheidungen festzustellen, zu treffen oder zu verwischen – Unterscheidungen wie jene zwischen Tatsache und Meinung, Wahrheit, Fiktion und Falschheit, zwischen dem, was ist, und dem, was nicht ist. Wahrheit als Diskursregulativ scheint zu versagen, und das traditionelle philosophische Vokabular steht auf dem Spiel. Was sind die Optionen?
Tschacher, Wolfgang (2019): Zurück-Geschaut – Synergetik: Ein interdisziplinärer Ansatz, systemisch zu denken. Hermann Haken (1981): Erfolgsgeheimnisse der Natur. Synergetik: Die Lehre vom Zusammenwirken. In: Familiendynamik, 44 (02), S. 164-165.
Moritz, Bernhard (2019): Zeit der Kannibalen – Eine Heldenreise in die Kümmerlichkeit. In: Familiendynamik, 44 (02), S. 166-170.
Abstract: Nein, Zeit der Kannibalen ist kein trashiger Horrorfilm, in dem sich Menschen gegenseitig auffressen und sich der Zuschauer mit fröstelndem Schauer am Grauen ergötzt. Und doch – der Film lässt den Betrachter erschaudern, weil er in subtiler Weise und auch mit Galgenhumor den Alltag von (sich) auf- und zerfressenden Seelen zeigt. Es ist ein Kammerspiel der Seelen, die dieser Film – angesiedelt in der Welt des Turbokapitalismus – in spannend-erschreckender, ja konfrontativer Art dem Zuschauer vor Augen führt. Wir tauchen ein in die Welt des Lean Managements in Zeiten von Optimierung und Gewinnerwartungen der Shareholder Value. Frank Öllers (Devid Striesow) und Kai Niederländer (Sebastian Blomberg) sind die Protagonisten einer Heldenreise durch die »mythische« Welt des Turbokapitalismus, in der der persönliche Erfolg und die eigene Karriere von Kostenreduktion, Gewinnerwartungen und Aktienkursen abhängen und getrieben werden. Was als »Ausflug« in die Welt der Beratungsindustrie beginnt und als Heldenreise startet, entwickelt sich zu einem immer schneller werdenden und betroffen machenden Roadmovie dreier Menschen, die plötzlich und unerwartet lebensbedrohlichen Situationen ausgeliefert sind und aus der vertrauten, berechenbaren Welt der Unternehmensberatung herauskatapultiert werden. Das filmische Kammerspiel Zeit der Kannibalen folgt dem Erzählprinzip der Heldenreise, wie der amerikanische Mythenforscher Joseph Campell sie 1978 beschrieben hat und wie sie der Drehbuchautor und Publizist Christopher Vogler in seinem The Writer’s Journey: Mythic Structure for Writers aufgegriffen hat.
Blome, Nathalie (2019): Rezension – Ingrid Alexander & Sabine Lück (2016): Ahnen auf die Couch. München (Scorpio). In: Familiendynamik, 44 (02), S. 172-173.
Riehl-Emde, Astrid (2019): Rezension – Jakob Johann Müller (2018): Bindung am Lebensende. Eine Untersuchung zum Bindungserleben von PalliativpatientInnen und HospizbewohnerInnen. Gießen (Psychosozial). In: Familiendynamik, 44 (02), S. 173-174.
Baumann, Sebastian (2019): Das Feld wird neu aufgerollt. In: Familiendynamik, 44 (02), S. 175-175.
Abstract: Im Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) ist man vor kurzem zum Schluss gekommen, dass Systemische Therapie Richtlinienverfahren wird. Über die historische Sitzung am 22.11.2018, wie es dazu gekommen ist und was das für das Arbeiten von Systemikern in Deutschland bedeuten könnte, wird hier noch detaillierter berichtet und diskutiert werden. Die Verhandlungen über die konkreten Umsetzungen in die Bestimmungen der Psychotherapie-Richtlinie und der Psychotherapie-Vereinbarung sollen 2019 vollständig abgeschlossen werden. Der großflächige Ausschluss Systemischer Therapie aus dem Gesundheitswesen steht kurz vor seinem Schluss. Junge Kollegen, die Psychotherapeuten werden möchten, brauchen nicht mehr auf die verhaltenstherapeutische Ausbildung auszuweichen.
Heft 3
Borst, Ulrike & Hörsting, Ann-Kristin (2019): Editorial: Personen in Institutionen – total gut aufgehoben? In: Familiendynamik, 44 (03), S. 177-177.
Abstract: Was stört uns eigentlich daran, wenn in Teams gesagt wird: »Der Patient (der Jugendliche/der Gefangene/etc.) hat sich gut bei uns eingelebt«? Wir (Gast-) Herausgeberinnen waren bzw. sind viele Jahre in Institutionen tätig und fragen uns schon lange, wie Institutionen gestaltet sein sollten, damit die darin – zeitweise – lebenden Personen möglichst gut aus ihnen austreten und im »wirklichen Leben« weiterleben können. Auf diese Frage richten wir den Fokus der vorliegenden Ausgabe. Eine von uns (UB) hatte in den ersten Jahren ihrer Tätigkeit in einer Psychiatrischen Klinik ein Schlüsselerlebnis: Ein Professor der Universität Konstanz wollte mit seinen Studentinnen und Studenten anreisen, um zu untersuchen, ob die Klinik noch Merkmale einer totalen Institution aufweise. Die überaus engagierte, der Klinik und ihrem Chef loyal verbundene Psychologin überflog das einschlägige Standardwerk von Erving Goffman und befand: Alles längst überwunden! Wir sind offen, haben die Rehabilitation vom ersten Tag an im Blick, schicken die Patientinnen und Patienten am Wochenende nach Hause. Gegenüber den Besuchern argumentierte sie überzeugend. – In den nächsten Ferien las sie das Buch gründlich und erkannte zu ihrem Entsetzen in den mikrosoziologischen Analysen Goffmans vieles wieder, was auch im 3. Jahrtausend noch zum Klinikalltag gehört.
Finzen, Asmus (2019): Von gestern bis heute: Totale Institutionen. In: Familiendynamik, 44 (03), S. 180-187.
Abstract: In psychiatrischen Kliniken hat sich seit der Psychiatriereform viel getan. Ist überhaupt noch etwas von den Strukturen zu sehen, die Goffman in seinen kritischen Texten über totale Institutionen beschrieben hat? Der vorliegende Beitrag mahnt zur Aufmerksamkeit: bis heute finden sich solche Strukturen in modernen Institutionen. Dass Mitarbeiter in Institutionen sich in einem Spannungsfeld zwischen der kollegialen Loyalität und der Verantwortung gegenüber den Patienten befinden, stärkt diese Strukturen.
Hildenbrand, Bruno (2019): Begangene und unbegangene Wege aus der totalen Institution. In: Familiendynamik, 44 (03), S. 188-196.
Abstract: Die Psychiatriereform in Deutschland ist institutionenzentriert. Auf Patienten wird keine Rücksicht genommen. Alternative Vorgehensweisen in Deutschland, Frankreich und der Schweiz (heute) hätten zur Verfügung gestanden.
Qin, Hongyun, Chen, Fazhan, Liu, Liang, Hu, Chengping, Sun, Xirong, Wang, Linget al. (2019): Bericht aus Shanghai: das Pudong New Area Mental Health Center startet Sympa-Projekt. In: Familiendynamik, 44 (03), S. 198-203.
Abstract: Dieser Beitrag beschreibt, in welchem Zustand die Autorengruppe die große psychiatrische Klinik in Pudong, einem neuen Teil von Shanghai, vorfand, und wie sie hofft, mit Einführung systemischen Denkens und Handelns die Arbeitsweise zu verändern. Wo bisher ausschließlich ein medizinisches Modell psychischer Störungen und die medikamentöse Behandlung vorgeherrscht haben, soll nun – mit einer systemischen Schulung des Personals über alle Berufsgruppen hinweg – eine verstehende, ressourcenorientierte, auf Rehabilitation abzielende, familienorientierte Therapie entstehen. Hindernisse sind in den weitgehend fehlenden sozialpsychiatrischen Angeboten, in der immer noch stark ausgeprägten Stigmatiserung psychischer Krankheiten und in der Lebenssituation der Familien zu sehen.
Schweizer, Christa (2019): Strukturen als sicherer Rahmen. Eine geschlossene Einrichtung zur Krisenintervention bei Jugendichen. In: Familiendynamik, 44 (03), S. 204-213.
Abstract: In drei Teilen wird dargelegt, was in einer geschlossenen Institution zur Krisenintervention getan wird, um den meist straffällig gewordenen männlichen Jugendlichen den Weg zurück in ihre Familien und in die Gesellschaft zu ermöglichen. Im ersten Teil wird die Institution und das Klientel beschrieben; im zweiten Teil wird dargelegt, was das Personal tut, um die Institution nicht »total« werden zu lassen und die Dynamik der Jugendlichen-Gruppe günstig zu beeinflussen; im dritten Teil wird an einem Fall ausführlich gezeigt, wie im Verlauf des Aufenthalts der Familieneinbezug gestaltet wird, um den Weg zurück in die Familie zu ebnen.
Mettler, Simon (2019): Soteria – Symbol für eine Irritation. Geschichte, Konzept, Erlebnisse und Gedanken. In: Familiendynamik, 44 (03), S. 214-221.
Abstract: Nach einem Vortrag über die Soteria Bern vor Fachpersonal in einer psychiatrischen Institution kommt es zu auffallend kritischen Nachfragen, die den Vortragenden irritieren. Im vorliegenden Beitrag wird die Soteria zunächst historisch und konzeptuell vorgestellt, angelehnt an den oben genannten Vortrag. Es folgen Gedanken zu und Erlebnisse aus der Arbeit in der Soteria Bern. Schließlich wird auf die beschriebene Irritation eingegangen und über deren Bedeutung im Zusammenhang mit der Arbeit in Institutionen nachgedacht.
Verbeek, Veronika (2019): Kooperation zwischen Kindertagesstätte und Familie. Systemisch-konstruktivistische Perspektiven, Haltungen und Methoden in der kindheitspädagogischen Praxis. In: Familiendynamik, 44 (03), S. 222-231.
Abstract: Aktuell wird die Kindertagesstätte für die Arbeit nach dem systemischen Ansatz entdeckt, betrachtet man erste anwendungsbezogene Publikationen sowie das einschlägige Interesse in der kindheitspädagogischen Aus- und Weiterbildung. Im vorliegenden Beitrag werden systemische und konstruktivistische Perspektiven auf das Tätigkeitsfeld geworfen sowie vier Inhaltsbereiche einer Grundhaltung für den Kontext der Kita-Eltern-Kooperation dargestellt. Den Inhaltsbereichen können exemplarisch Methoden zugeordnet werden, die aber – bedingt durch den spezifischen Anwendungskontext in der Kindertagesstätte – mit den »Klassikern« systemischer Methoden wenig zu tun haben. Der Beitrag kritisiert die beobachtbare Vermittlung reiner Praxis in Aus- und Weiterbildung und in der anwendungsbezogenen Literatur für kindheitspädagogische Fachkräfte. Er möchte zur Verankerung methodischen Handelns in Systemtheorien und Konstruktivismus im neuen Praxisfeld beitragen.
Hörsting, Ann-Kristin (2019): Der besondere Fall: Trauerphasen und Traueraufgaben nach einem Sportunfall. In: Familiendynamik, 44 (03), S. 232-235.
Abstract: In der Therapie stoßen wir immer wieder auf Situationen, in denen Patienten einen Verlust von Lebensplänen oder körperlichen Funktionen bewältigen müssen. Dies verläuft in verschiedenen Phasen. Kenntnisse über Modelle zur Trauerbewältigung sind hilfreich zum besseren Verständnis und zur Gestaltung der therapeutischen Begleitung. Der hier vorgestellte 47-jährige Patient ist seit einem Sportunfall mit zerebraler Beteiligung vor 8,5 Jahren in verschiedenen Behandlungen gewesen. Er leidet unter einer dissoziativen komplexen Bewegungsstörung. Es fand sich bislang keine kognitive Beeinträchtigung, keine Bewusstseinsstörung, keine erkennbare somatische Genese und kein Einfluss auf die Sprachproduktion bis auf eine leichte Sprachverlangsamung. Er befand sich bei mir in erstmaliger stationärer psychiatrischer (4 Wochen) und zweiter ambulanter (8 Wochen) psychiatrisch-psychotherapeutischer Behandlung.
Baumann, Sebastian, Ochs, Matthias, Dittrich, Kerstin, Hanswille, Reinert, Hermans, Björn Enno & Borst, Ulrike (2019): Gib niemals auf! Systemische Therapie und ihre Einbettung ins deutsche Gesundheitswesen. In: Familiendynamik, 44 (03), S. 236-243.
Abstract: Der vermutlich vorletzte Akt des jahrzehntelangen Dramas der Systemischen Therapie endete am 22. 11. 2018 mit einem Paukenschlag: Mit den Stimmen aller unparteiischen Mitglieder des Gemeinsamen Bundesschusses, den Stimmen und der Unterstützung der Kassenärztlichen Bundesvereini- gung, der Deutschen Krankenhausgesellschaft und der Patientenvertretung wurden der Nutzen und die medizinische Notwendigkeit Systemischer Therapie anerkannt. Sie wird ein von der Solidargemeinschaft getragenes Kassenverfahren. Damit neigt sich ein Spanungsbogen seinem Ende zu, der durch das Durchschreiten von Jammertälern und dem Erklimmen höchster Weihen gekennzeichnet ist. Bereits in den Gründungsdokumenten der systemischen Dachverbände ist die offizielle Bestätigung als wirksames Psychotherapieverfahren und die damit verbundene flächendeckende Anwendung in der Versorgung als Ziel aufgeführt. Umso größer war der Schock nach der ersten Ablehnung 1999 durch den Wissenschaftlichen Beirat Psychotherapie (WBP3). Günter Schiepek (1999) hatte hierfür im Auftrag der Arbeitsgemeinschaft für Systemische Therapie, einer gemeinsamen Arbeitsgruppe der damaligen drei systemischen Dachverbände DAF (Deutsche Arbeitsgemeinschaft für Familientherapie), DFS (Dachverband für Familientherapie und systemisches Arbeiten) und Systemische Gesellschaft (SG) zunächst eine wissenschaftliche Grundlage ausgearbeitet. Die Wirrungen um das gerade entstehende Psychotherapeutengesetz (PsychThG), das Unbehagen, sich von einem als überholt empfundenen Wissenschaftsverständnis beurteilen zu lassen, die Sorge, dass das Kreativ-Bunt-Hilfreiche der Systemischen Therapie verloren gehen könnte, sowie die – im Vergleich zu den bereits etablierten Verfahren – kaum vorhandenen Lobbytruppen, ließen der Systemischen Therapie trotz vielfältiger Anstrengungen im damaligen Kampf um ihren Platz im Gesundheitswesen wenig Chancen.
Scheidle, Jürgen (2019): Der besondere Fall: Perspektivwechsel statt Wechselmodell. Praxistest einer politischen Debatte. In: Familiendynamik, 44 (03), S. 244-248.
Abstract: Die öffentliche Diskussion um die Reform des familiengerichtlichen Verfahrens sowie die Novellierung des Unterhaltsrechts sorgte in den Medien und der Fachwelt für viel Gesprächsstoff und zieht sich derzeit durch Interessenvertretungen von Müttern,Vätern und Kindern. Bislang votiert die Rechtsprechung bei Trennungs- und Scheidungsverfahren mehrheitlich für das sogenannte Residenzmodell – ein Kind wohnt vorwiegend bei einem Elternteil –, doch melden sich insbesondere aus der Politik vermehrt Befürworterinnen für ein Wechselmodell zu Wort. Sie sehen darin, neben einer Stärkung des Rechts der Kinder getrenntlebender Eltern auf Kontakt zu beiden Elternteilen, vor allem eine Stärkung der juristischen Position getrenntlebendender Väter. Dabei stehen bisher schon Eltern nach einer Trennung als Paar grundsätzlich fast alle Möglichkeiten offen, ein individuelles Betreuungsmodell für ihre Kinder zu entwickeln, solange dies nicht dem Kindeswohl widerspricht. Auch wenn die getrenntlebenden Eltern angeben, eine normale (40 %) bis gute und sehr gute (25 %) Beziehung zum/zur Ex-Partnerin zu haben, sind es bei ihnen häufig wirtschaftliche, berufliche oder auch organisatorische Gründe, die die Umsetzung eines Wunschmodells in der Betreuung der gemeinsamen Kinder verhindern (Institut für Demoskopie Allenbach, 2017). Neben den Eltern, die zufrieden sind oder es gerne anders hätten, aber nicht können, geht es im Folgenden vor allem um den nicht unerheblichen Anteil solcher Eltern, die in persönlichen Konflikten mit dem/der Expartnerin verstrickt sind und sich im Rahmen der Trennung dazu entscheiden, bestehende Umgangs- und Sorgerechtsfragen juristisch zu klären. Dies sind genau diejenigen Eltern, die über eine gesetzliche Regelung dazu verpflichtet werden könnten, ein Wechselmodell zu praktizieren.
Schlippe, Arist von (2019): »Diese Geschichten müssen unbedingt jungen Menschen weitererzählt werden!« Arist von Schlippe im Gespräch mit Nataly Jung-Hwa Han, Vorstandsvorsitzende/Chairwoman des Korea-Verbands, Berlin, über die Aufarbeitung des Schicksals koreanischer »Trostfrauen« im Zweiten Weltkrieg. In: Familiendynamik, 44 (03), S. 250-252.
Ruhwinkel, Bernadette (2019): Wir trauern um den Gründer des Instituts für Ökologisch-systemische Therapie Prof. Dr. med., Dr. h.c. Jürg Willi 16. März 1934 – 8. April 2019. In: Familiendynamik, 44 (03), S. 253-253.
von Schlippe, Arist (2019): Rezension – Fremd in ihrem Land. Eine Reise ins Herz der amerikanischen Rechten. Frankfurt/New York (Campus). In: Familiendynamik, 44 (03), S. 254-255.
Fobian, Clemens (2019): Rezension – Alexandra Retkowski, Angelika Treibel & Elisabeth Tuider (Hrsg.) (2018): Handbuch Sexualisierte Gewalt und pädagogische Kontexte. Theorie, Forschung, Praxis. Weinheim (Beltz/Juventa). In: Familiendynamik, 44 (03), S. 255-257.
Gruber, Thomas (2019): Rezension – Roland Schleiffer (2018): Dissoziales Handeln von Kindern und Jugendlichen. Heidelberg (Carl-Auer). In: Familiendynamik, 44 (03), S. 257-258.
Heft 4
Oelkers-Ax, Rieke & Christina Hunger-Schoppe (2019): Editorial: Borderline – Bewegungen an der Grenzlinie. In: Familiendynamik, 44 (4), S. 265-265.
Abstract: Mit dem Wort »Borderline« (engl. ›Grenzlinie‹) bezeichnete der Psychiater C. H. Hughes 1884 erstmals einen Bereich diagnostischer Grenzfälle zwischen Gesundheit und psychischer Krankheit. A. Stern beschrieb 1938 die meisten Merkmale der heutigen Borderline-Persönlichkeitsstörung unter dem Namen »border line group«. Damit wurde der Begriff in einer stark von psychoanalytischer Theorie beeinflussten Zeit geprägt für psychische Zustände an der Grenze (engl. ›border‹) von Neurose und Psychose. Dies war damals nicht nur eine Symptombeschreibung, sondern auch eine Einschätzung zu Therapiemöglichkeiten und Prognose: nämlich zwischen »behandelbar« (wie Neurosen durch die Psychoanalyse) und »unbehandelbar« (wie Psychosen).
Obwohl diese ursprüngliche Bedeutung nicht mehr gilt, hat sich der Begriff »Borderline« gehalten: Betroffene können sich oft gut mit der entsprechenden Metapher identifizieren: auf der Grenze zwischen Normalität und Krankheit, Nähe und Distanz, himmelhochjauchzend und zu Tode betrübt. Viele Menschen, die von sich oder anderen als »Borderliner« beschrieben werden, haben Grenzverletzungen erlebt, können schwer Grenzen setzen, überschreiten Grenzen, sind mit dem Thema der »Grenzlinie« lebenslang konfrontiert. Auch innerlich findet sich bei vielen Betroffenen diese scharfe, übergangslose »Grenzlinie«, die eine Spaltung im Selbstgefühl, Emotionserleben und der Beziehungsgestaltung markiert. Es gibt Gut oder Böse, Schwarz oder Weiß, Liebe oder Hass, oft binnen kürzester Frist von einem ins andere wechselnd, langsame Übergänge, Mischungen und Grautöne sind rar. Diese innere »Grenzlinie« geht oft einher mit starken Gefühlen von Zerrissenheit, Chaos, Leere und Selbstentwertung, aber auch mit besonderer Sensibilität, erhöhter Wachsamkeit und der Fähigkeit zu intensiven Gefühlen.
Die festen Grenzen des Erlebens infrage zu stellen, mit ihnen zu spielen, die beiden gegensätzlichen Pole stückweise zu integrieren – das ist auch das Anliegen der meisten Beiträge in diesem Heft.
Wagner, Elisabeth (2019): Emotionsbasierte systemische Therapie der Borderline-Störung. In: Familiendynamik, 44 (4), S. 268-278.
Abstract: Nach einführenden Überlegungen zur Diagnose von Borderline-Störungen wird diese in Anlehnung an Gerd Rudolf als Beeinträchtigung struktureller Kompetenzen konzeptualisiert. Unter dieser Perspektive wird deutlich, warum emotionsfokussierten Techniken eine zentrale Bedeutung zukommt. Hierbei spannt sich der Bogen von basalen Interventionen zur Förderung der emotionalen Kompetenz bis hin zu Methoden der hypnosystemischen Teilearbeit, die dazu beitragen sollen, dysfunktionale Erlebnisweisen abzuschwächen. Dargestellt wird darüber hinaus, inwiefern systemische Methoden der Gesprächsführung modifiziert werden sollten und worin der spezifische Nutzen der systemischen Haltung in der Arbeit mit dieser herausfordernden Klientel liegt.
Rosenbach, Charlotte & Babette Renneberg (2019): »Mein Kind macht das absichtlich – es will mich fertig machen«. Negative Grundannahmen von Müttern mit Borderline-Persönlichkeitsstörung: ein Gruppentraining zur Förderung der Erziehungskompetenz. In: Familiendynamik, 44 (4), S. 280-288.
Abstract: Für Frauen mit einer Borderline-Persönlichkeitsstörung (BPS) stellt die Mutterschaft eine besondere Herausforderung dar. Das Erleben und Verhalten der Mütter ist geprägt von emotionalen Krisen und Instabilität, häufig gibt es zusätzliche soziale oder finanzielle Schwierigkeiten, die das Stresserleben erhöhen. Kinder sind in ihrer Entwicklung auf Stabilität und Sicherheit angewiesen und können in ihrer gesunden Entwicklung beeinträchtigt werden, wenn diese Faktoren dauerhaft gestört sind. So besteht für die Kinder von Müttern mit BPS ein erhöhtes Risiko, später ebenfalls an einer BPS oder einer anderen psychischen Störung zu erkranken. Das Ziel eines neu entwickelten Trainingsprogramms für Mütter mit BPS ist es deshalb, ungünstiges Erziehungsverhalten zu erkennen und alternative Verhaltensweisen zu vermitteln. Mütter mit einer BPS sollen bei der Erziehung ihrer Kinder unterstützt werden, um so die gesunde kindliche Entwicklung präventiv zu unterstützen. Besondere Bedeutung für die Entstehung und Aufrechterhaltung dysfunktionalen Erziehungsverhaltens kommt negativen Grundannahmen über die Rolle als Mutter zu. Anhand konkreter Beispiele wird in diesem Beitrag vorgestellt, wie hinderliche Grundannahmen modifiziert werden können.
Oelkers-Ax, Rieke & Elke Wild (2019): Das bindungsorientierte Konzept »FaTZ-Borderline«. Familienpsychiatrische Behandlung von Eltern und Kindern im FaTZ Neckargemünd. In: Familiendynamik, 44 (4), S. 290-299.
Abstract: Besteht bei Eltern eine diagnostizierte Borderline-Störung (BPS), können sich über Interaktions- und Bindungsschwierigkeiten beim Kind ebenfalls psychische Symptome entwickeln. Reagieren Kinder mit Verhaltensschwierigkeiten bis hin zu Impulsdurchbrüchen, können bei den Eltern wiederum traumatische Bindungserlebnisse der eigenen Biografie aktiviert werden. So entstehen interaktionelle Teufelskreise »elterlicher Hilflosigkeit« und kindlicher Verhaltensschwierigkeiten. Hier setzt eine gemeinsame und integrierte Therapie von Eltern und Kind an. Im Familientherapeutischen Zentrum (FaTZ) Neckargemünd wurde das bindungsorientierte Behandlungsmodul »FaTZ-Borderline« für die tagesklinische integrierte Therapie von Eltern mit BPS und ihren Kindern mit oder (noch) ohne psychische Störung entwickelt. Es umfasst fünf Phasen, die aus der Bindungspsychotherapie angepasst wurden, und integriert die Arbeit mit inneren Anteilen in Anlehnung an die Schematherapie in eine systemische Fallkonzeption. So ist es möglich, mit Eltern und Kind in eine Metakommunikation über das Unaussprechbare zu kommen und für Krisensituationen alternative, funktionalere Handlungsstrategien zu entwickeln. In diesem Beitrag werden die fünf Phasen des Behandlungskonzepts dargestellt und anhand von Fallbeispielen erläutert.
Schindler, Andreas & Felix Brandes (2019): Effekte Systemisch-Interaktioneller Gruppentherapie bei Borderline. Ein Vergleich mit dialektisch-behavioraler Therapie und sozialem Kompetenztraining. In: Familiendynamik, 44 (4), S. 300-309.
Abstract: In einer ersten Pilotstudie wurden Konzept und erste Daten zu einer Systemisch-Interaktionellen Gruppentherapie (SIG) für Menschen mit Borderline-Persönlichkeitsstörung (BPS) dargestellt (Schindler, Sander & Ahlenstorf, 2011). In der nun vorliegenden naturalistischen kontrollierten zweiten Studie wird die ambulante SIG mit der bereits gut evaluierten Dialektisch-Behavioralen Therapie (DBT) und dem ebenfalls auf die interaktionelle Ebene abzielenden Sozialen Kompetenztraining (SKT) verglichen. 56 Patientinnen und Patienten mit BPS-Symptomatik wurden konsekutiv und auftragsgeleitet unter Gesichtspunkten ökologischer Validität in eine der drei Gruppen eingeschlossen. In allen drei Gruppen zeigten sich über 12 Monate gleichwertige Verbesserungen in der Ausprägung der Borderline-Symptomatik (SKID-II) und im allgemeinen Funktionsniveau (GAF), nicht aber in der allgemeinen psychischen Symptombelastung (SCL-9). Eine Verbesserung der Resilienz (RS-25) und der interaktionellen Problematik (IIP) zeigten sich nur im SKT. Diese Ergebnisse sind ermutigend für systemische Gruppentherapien bei BPS. Sie werfen aber die Frage auf, warum die SIG sich kaum auf das interaktionelle Geschehen auswirkt. In einem weiteren Schritt soll daher eine Replikation im Rahmen eines konfirmatorischen RCT erfolgen.
Zemp, Martina (2019): Die elterliche Paarbeziehung als Erziehungsdeterminante. Die Rolle von Paarkonflikten, Trennung und Stiefelternschaft. In: Familiendynamik, 44 (4), S. 310-319.
Abstract: Die zentrale Bedeutung der elterlichen Erziehung für die gesunde kindliche Entwicklung ist wissenschaftlich gut belegt. Dahingegen ist die Literatur zu den Determinanten elterlichen Erziehungsverhaltens weitaus spärlicher. Diese Übersichtsarbeit fasst den Kenntnisstand zur elterlichen Partnerschaft als wichtiger Einflussgröße für das Erziehungsverhalten in verschiedenen Familienformen zusammen. Es kann erstens geschlussfolgert werden, dass die Partnerschaftsqualität das elterliche Erziehungsverhalten wesentlich beeinflusst und Partnerschaftsstörungen sich über beeinträchtigte Erziehungskompetenz ungünstig auf Kinder auswirken können. Zweitens gehört erfolgreiches Co-Parenting von Elternpaaren in Trennung zu den primären Protektivfaktoren für die kindliche Anpassung an die familiäre Reorganisation. Drittens zeigt die wachsende Forschung zu Fortsetzungsfamilien, dass Stiefeltern eine bedeutsame neue Erziehungsperson für Kinder werden können, sofern die Beziehungsqualität zwischen Kind und Stiefelternteil gut ist. Der Beitrag verdeutlicht die Rolle der elterlichen Partnerschaft für das Erziehungsverhalten über verschiedene Familienformen hinweg. Insofern scheinen Interventionen auf der Paarebene einen deutlich positiven Effekt auf das Kindeswohl zu haben und besitzen somit eine präventive Funktion.
Florig, Oliver (2019): Das Doppelgesicht der Angst. Umgang mit existenzieller Angst in Therapie und Beratung. In: Familiendynamik, 44 (4), S. 320-330.
Abstract: Neben der Angst vor konkreten Gefahren leiden wir auch unter existenzieller Angst, die kein konkretes Objekt hat, sondern bestimmten Grundzügen menschlichen Lebens entspringt. Zu diesen Grundzügen gehören die Endlichkeit unseres Lebens, unser Bedürfnis nach Sinn, unsere Freiheit und der Umstand, dass wir unser Leben jeweils selbst führen müssen und insofern einsam sind. Die Flucht vor dieser Angst führt zu verschiedenen Kontrollstrategien, die auch unseren Alltag prägen. Diese Angst bewusst auszuhalten kann daher befreiend wirken und zu größerer Gelassenheit führen. Die Frage, was in meinem Leben auch im Angesicht der Angst sinnvoll ist, kann außerdem zum Ausgangspunkt einer veränderten Lebenspraxis werden. Der therapeutische Umgang mit der Angst setzt bei Therapeutinnen und Therapeuten die Bereitschaft voraus, sich mit der eigenen existenziellen Angst zu konfrontieren. In der Therapie kann es darum gehen, diese Bereitschaft auch bei den Klientinnen und Klienten zu stärken und außerdem auf mögliche Konsequenzen für die Lebensführung bzw. die Lebenseinstellung zu sprechen zu kommen.
Schindler, Hans (2019): Ein besonderer Fall? Oder: Im Karussell psychiatrischer Diagnosen. In: Familiendynamik, 44 (4), S. 332-335.
Baumann, Sebastian (2019): Zweierlei Geschwindigkeiten im Gesundheitswesen. In: Familiendynamik, 44 (4), S. 336-337.
Abstract: Wenn man sich die Gesetzgebungsverfahren anschaut, die alleine in diesem Jahr vom Bundesgesundheitsministerium (BMG) auf den Weg gebracht worden sind, kann man schon beim Zuschauen in Schnappatmung ver- fallen. Hier eine unvollständige Auswahl der neuen Gesetze der letzten Monate: Hebammenreformgesetz, Digitale Versorgung-Gesetz, Gesetz zu mehr Sicherheit in der Arzneimittelversorgung, Gesetz zur Stärkung der Vor-Ort-Apotheken, Faire-Kassenwahl-Gesetz, Masernschutzgesetz, MDK (Medizinischer Dienst der Krankenkassen)-Reformgesetz, Terminservice- und Versorgungsgesetz, Pflegepersonal-Stärkungsgesetz, Implantateregister-Errichtungsgesetz und, nicht zu vergessen, das Gesetz zur Reform der Psychotherapeutenausbildung. Hier ist jemand wild entschlossen, so die Wahrnehmung der politischen Analystinnen und Analysten in Berlin, sich für höhere Weihen zu empfehlen. Einige mögen unter dem Tempo und der Art, wie Gesundheitsminister Jens Spahn neue Gesetze im Monatstakt durch Ministerium und Parlament peitscht, leiden – anderen aber nötigt es Respekt ab: Hier ist jemand angetreten, den Reformstau anzugehen und den starken Einfluss veränderungsunwilliger Kräfte im Gesundheitswesen aus- zuhebeln. Hinter vorgehaltener Hand schimpft man zwar im BMG, dass auf der Fachebene ausgebadet werden müsse, was oben vollmundig angekündigt werde. Gleichzeitig weiß man: Es werden auch wieder andere Zeiten kommen.