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Zitat des Tages: Hannah Ahrendt

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Natürlich war früher nicht alles besser, die normative Enge der 19fünfziger Jahre etwa möchte ich nicht gerne noch einmal erleben. Anderes wiederum scheint mir verloren heutzutage. Manchmal taucht durch Zufall wieder etwas auf. Ein solcher Zufall war, dass ich kurz vor dem Hundertjahrjahr für Hannah Arendt noch einmal auf Günter Gaus‘ legendäre Interviewreihe stieß, die er in den 1960er Jahren im Fernsehen brachte, bis heute mit das Beste, was ich an Gesprächskultur televisionär erlebt habe. Ich fand noch die beiden Bände im Antiquariat, in denen die Interviews abgedruckt erschienen. Unter anderem gab es damals ein Gespräch zwischen Gaus und Hannah Arendt und aus diesem Gespräch möchte ich ein Zitat weitergeben. Mir scheint, dass sich hier eine schöne (gute, respektvolle) Zusammenfassung findet von etwas, was sich als eine systemische Haltung gut anlassen würde. Das Zitat:
“GAUS: Erlauben Sie mir eine letzte Frage. In einer Festrede auf Jaspers haben Sie gesagt: „Gewonnen wird die Humanität nie in der Einsamkeit und nie dadurch, daß einer sein Werk der Öffentlichkeit übergibt. Nur wer sein Leben und seine Person mit in das Wagnis der Öffentlichkeit nimmt, kann sie erreichen.“ Dieses „Wagnis der Öffentlichkeit“ – ein Zitat von Jaspers wiederum -: worin besteht es für Hannah Arendt?
ARENDT: Das Wagnis der Öffentlichkeit scheint mir klar zu sein. Man exponiert sich im Lichte der Öffentlichkeit, und zwar als Person. Wenn ich auch der Meinung bin, daß man nicht auf sich selbst reflektiert in der Öffentlichkeit erscheinen und handeln darf, so weiß ich doch, daß in jedem Handeln die Person in einer Weise zum Ausdruck kommt wie in keiner anderen Tätigkeit. Wobei das Sprechen auch eine Form des Handelns ist. Also das ist das eine. Das zweite Wagnis ist: Wir fangen etwas an; wir schlagen unseren Faden in ein Netz der Beziehungen. Was daraus wird, wissen wir nie. Wir sind alle darauf angewiesen zu sagen: Herr vergib ihnen, was sie tun, denn sie wissen nicht, was sie tun. Das gilt für alles Handeln. Einfach ganz konkret, weil man es nicht wissen kann. Das ist ein Wagnis. Und nun würde ich sagen, daß dieses Wagnis nur möglich ist im Vertrauen auf die Menschen. Das heißt, in einem – schwer genau zu fassenden, aber grundsätzlichen – Vertrauen auf das Menschliche aller Menschen. Anders könnte man das nicht.“
[aus: Hannah Arendt/ Günter Gaus: Was bleibt? Es ist die Muttersprache. In: Günter Gaus 1964. Zur Person. Porträts in Frage und Antwort. Band I. München: Feder Verlag, S.15-32. Zitat S.31f.]

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