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Zitat des Tages: Claude Lévi-Strauss

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Wie heute zu erfahren war, ist am 1.11. Claude Lévi-Strauss, sicherlich einer der berühmtesten Ethnologen des 20. Jahrhunderts, im hohen Alter von 100 Jahren, kurz vor seinem 101. Geburtstag in Paris gestorben. Wie kaum ein anderer hat er durch seine strukturalistischen Analysen des„wilden Denkens“, in denen er versuchte, universale Denkprinzipien der menschlichen Klassifikationen und Bedeutungssysteme zu beweisen, der Ethnologie in der intellektuellen Öffentlichkeit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine breite Schneise geschlagen. Unabhängig von der Bewertung seiner umstrittenen Thesen, die ihm auch immer den Ruf einer gewissen„Kälte“ einbrachten, wird sein großartiger und sehr persönlicher Bericht über seine Forschungsreise zu den Indianerstämmen in Brasilien in den dreißiger Jahren, der gleichzeitig auch eine wunderbare Reflexion über das Reisen an sich und die westliche Kultur darstellt, immer ein wesentlicher Bestandteil der ethnographischen Literatur (auch für Nicht-Ethnologen) bleiben. Aus diesem großartigen Buch„Traurige Tropen“ daher das heutige schöne Zitat des Tages:„Im allgemeinen stellt man sich das Reisen als eine Ortsveränderung vor. Das ist zu wenig. Eine Reise vollzieht sich sowohl im Raum wie in der Zeit und in der sozialen Hierarchie. Jeder Eindruck lässt sich nur in Bezug auf diese drei Achsen definieren, und da allein schon der Raum drei Dimensionen hat, so wären mindestens fünf erforderlich, um sich vom Reisen eine adäquate Vorstellung zu machen. (…) Es gab eine Zeit, da der Reisende Kulturen begegnete, die sich von seiner eigenen von Grund auf unterschieden und ihn zunächst durch ihre Fremdartigkeit überwältigten. Seit einigen Jahrhunderten haben wir dazu immer weniger Gelegenheit. Ob in Indien oder in Amerika – der moderne Reisende ist weit weniger überrascht, als es sich eingestehen mag. Wenn er sich Reiseziele und Routen auswählt, bedeutet das für ihn in erster Linie die Freiheit, lieber an diesem als an jenem Tag anzukommen, lieber dieses als jenes Transportmittel der mechanisierten Zivilisation zu benutzen. Die Jagd nach dem Exotischen beschränkt sich auf das Sammeln von Stadien, die einer bereits vertrauten Entwicklung entweder vorauseilen oder hinterherhinken. Der Reisende wird zum Antiquitätenhändler, den der Mangel an Kunstgegenständen zwingt, seine Galerie aufzugeben, um mit alten Souvenirs vorlieb zunehmen, die er auf seinen Spaziergängen durch die Flohmärkte der bewohnten Erde erhandelt“ (In:„Traurige Tropen“. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1978, stw240, S. 76-78)

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