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Zitat des Tages: Arnold Retzer

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“Vielleicht könnte die Absolutheit der Liebe durch die Freundschaft relativiert und dadurch lebbarer werden. Der Gewissheitsillusion und der Ungewissheitsparanoia der Liebe könnte vielleicht mit dem gnädigen Kontingenzpotenzial (alles könnte auch ganz anders sein) geholfen werden. Man könnte sich dann fragen, ob man auch mit sich selbst befreundet sein möchte und warum oder warum auch gerade nicht. Dem Hinnehmen-Müssen der Liebe bzw. ihrer Abwesenheit könnte vielleicht mit dem Freien und Werben des Tunkönnens des Freundens geholfen werden, dem Autonomieverlust durch die Liebe bzw. den Identitätsversprechungen der Liebe wäre vielleicht durch das Recht auf Eigenes und die Selbsterzeugung durch die Freundschaft beizukommen. Es ließe sich dann fragen, wie das Verhältnis ist von gemeinsamem Lästern und Spotten über andere und anderes einerseits und der gemeinsamen Verständigung über ein gutes und schönes Leben andererseits. Der Substanzvorstellung der Liebe wäre vielleicht durch den Prozess der Freundschaft – das Freunden – beizukommen, und es ließen sich dann Fragen nach dem Verhältnis von Wohlwollen zu Wohltun stellen, und die Aufrichtigkeits- und Offenbarungsverpflichtung der Liebe wäre mit der Diskretion der Freundschaft zu mildern. Andererseits ließen sich aber auch vielleicht die verschärften marktwirtschaftlichen Kriege der Tauschgeschäftseskalationen einer Partnerschaft durch den einen oder anderen Freundschaftsbeweis von Geschenken entschärfen, und die spastische Verkrampfung auf das Recht ließe sich vielleicht durch die Fokussierung auf die Freiheit der Freundschaft, der Freunde und des Freundens lockern und entspannen. Man könnte sich dann selbst fragen, ob wir bei einem wichtigen Dissens mit unserem Partner wirklich glauben, dass unser Partner eine Berechtigung für seine Meinung hat. Es ließe sich vielleicht gar noch mancher freundschaftliche Streit und Kampf um die Paarbeziehung führen, wo sonst nur harmonische Stagnation herrscht, und es ließe sich vielleicht aber auch manch ein chronifizierter partnerschaftlicher Stellungskrieg in aller Freiheit beenden. Denn es scheint dann genauso gut, eine schlechte Freundschaft zu beenden wie um eine gute zu kämpfen“ (In: Freundschaft. Der dritte Weg zwischen Liebe und Partnerschaft? Familiendynamik 31, 2006, 149f.)

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