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Systemisch Meditieren

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Bernd Schmid, Wiesloch

Bernd Schmid

Wie so oft kommen wir bei Tisch ins Gespräch, diesmal beim vorweihnachtlichen Frühstück mit unserem Lehrtrainer Markus Schwemmle. Er ist gerade 50 geworden und schafft es, neben 4 kleinen Kindern und dem Aufbau seines Unternehmens sich immer neue Inspirationen rein zu holen. Wir reden davon, inwieweit die Fixierung auf IT-Technik analoge und menschliche Begegnung aushebelt. Oder ist das Pendel bereits wieder am zurückschwingen und das Unbehagen an Überbetonung von Internet und medialer Kommunikation wächst?

Markus erzählt von einem Blog, in dem dargelegt wurde, warum in Asien weniger Scheu besteht, sich z.B. im Alter von einem Roboter pflegen zu lassen. Im Taoismus sei das Göttliche eben auch im Roboter zu finden. Interessant. Hatten wir in unserer christlichen Welt nicht auch so was? Gott in allen Dingen! (Ignatius von Loyola) Was ist dann eigentlich der Unterschied? Mir fällt Luhmann ein und die Frage, was ist die Leitdifferenz, von der ausgehend wir differenziert zu denken versuchen.

Ist Göttliches im Roboter ja oder nein? Ich hätte auch kein Problem, mir von einem Roboter Körperpflege angedeihen zu lassen, wenn er das gut macht. Aber was ist dann der Unterschied, der einen Unterschied macht? Für mich ist es die Frage, ob ich genügend Resonanz erlebe, dass ich lebendig bleiben kann und mich als Individuum gesehen fühle, in welcher Konstellation auch immer. Ob Pflege-Roboter oder Pflege-Mensch wäre mir nicht wichtig, genügend oder zu wenig Resonanz . Also eine andere Leitdifferenz, die ich in der Frage nach dem Pflegeroboter sehe und die eine andere Diskussionen nach sich zieht. Nämlich die: Wie können auch bei vielen pflegebedürftigen Menschen resonante Situationen geschaffen werden?

Nun haben Menschen ganz verschiedene „Resonanzachsen“ (wie Hartmut Rosa das nennt) oder brauchen verschiedenes zu ihrer menschlichen Wohlfahrt. Die Diskussion ob wir das Göttliche auch in Sachen oder Maschinen antreffen können impliziert die Frage, wie wir Individuum und Subjekt in einer resonanten Welt bleiben können. Solche Fragen haben andere Konsequenzen als wenn wir zu einer Antwort bezüglich Beseeltheit von Materie kommen könnten. Es entstehen andere Landkarten.

Dann fragt mich Markus, ob ich eine Landkarte wüsste, nach der wir uns in dieser Diskussion weiterbewegen könnten. Ich hätte mir an dieser Stelle was aus meinen Welt-und Menschenbildern zusammenreimen können, aber ob meine Entwürfe richtige Dimensionen aufrufen und bedenkenswerte Antworten für andere liefern würden, wäre fraglich. Denn ich bin relativ introvertiert und deutlich ICH-ES orientiert. Ich brauche weniger Beieinandersein und Unterhaltung, eher Zugang zu interessanten Themen, Ruhe zum Sinnieren und Austausch mit geistig wachen und selbständig denkenden Menschen. Daneben basale emotionale Zuwendung, vorzugsweise wortkarg. Sofort wird klar, dass dieses Rezept für viele andere wenig taugt.

Aber es geht eben auch nicht um Antworten, sondern um das Hinterfragen von Ausgangspunkten, von deren Implikationen und Konsequenzen. Es geht um das nicht vollendbare Werk der Aufklärung . Werden die richtigen Fragen gestellt? Wie schmerzlich erleben wir in der öffentlichen Diskussion, dass Nebenfragen abgehandelt werden oder zwar die richtigen Ausgangsfragen, aber so weitergesponnen, dass man sich auf seltsamen Antwortgleisen wiederfindet, z.B. beim Absperren weniger Verkehrsadern für Dieselfahrzeuge.

Wenn höheres Bewusstsein angestrebt wird, dann ist das aus systemischer Sicht Meditation, das Beleuchten von Ausgangsfragen, von deren Implikationen und Konsequenzen. Wenn erkennbar ist, dass die Konsequenzen auf Nebengeleise führen, dann können die Leitdifferenzen oder das weitere Ausdifferenzieren zu einem Argumentationsbaum nicht gestimmt haben. Dann ist weniger kontroverse Diskussion über Richtigkeit oder Umsetzung angesagt, sondern Betrachtung der Argumentationsstränge und der Weichenstellungen Richtung wesentlich oder irrelevant. Auch das bleibt natürlich schwierig, aber zumindest verrennt man sich weniger in Verfehltem und Bedeutungslosem.

Soll man das dann Meditieren nennen? Ich meine schon, dass gutes Denken eben auch eine Frage des Loslassenkönnens, der Achtsamkeit, der Offenheit für „irritierende Einflüsse“ von innen und außen und der Schrittfolgen bei weiteren Ableitungen ist. Man kann sich dabei auch viel besser gegenseitig helfen, weil man was tun kann, nämlich interessiert und aufmerksam hinterfragen und spiegeln, welche Implikationen und Konsequenzen sich im eigenen Weltbild zeigen. Wäre es nur eine Übung in denkerischer Disziplin, dann wäre schon einiges gewonnen, weil viel fruchtloses Denken mit Schlampigkeit im Denken zu tun hat. Aber gutes Denken erfordert zusätzlich Achtsamkeit auf seelische und körperliche Resonanz und durch Übung gefundene Beurteilung von Essenz. Und ist das nicht der Sinn von Meditation?
Und Meditation ist nicht alles. Vita contemplativa gerne! Im Wechselspiel mit vita activa! Ohne Tun verflacht Sinnieren eben auch. Und: Es gibt nicht Gutes …..

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Ein Kommentar

  1. Alexander Trost sagt:

    Das spricht mir aus der Seele, gerade in diesen Zeiten (vermutlich waren sie nie wirklich anders…), in denen endlose Nachrichtenwiederholungen und der medial-öffentliche Diskurs so sehr an den für unsere Zukunft relevanten Fragen und vor allem an deren Lösungswegen vorbeizugehen scheinen…..
    Danke!

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