systemagazin

Online-Journal für systemische Entwicklungen

8. Dezember 2013
von Tom Levold
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Arist von Schlippe: Familientherapie mit Unterschichtsfamilien

Ende der siebziger Jahre des letzten Jahrhunderts, damals arbeitete ich auf meiner zweiten Stelle in der Kinder- und Jugendpsychiatrie in Dortmund, und wurde ich von Hilarion Petzold gefragt, ob ich zu dem Thema „Familientherapie mit Unterschichtfamilien“ einen Text schreiben könne (Familientherapie mit Unterschichtfamilien. In: Kristine Schneider [Hrsg.][1983]: Familientherapie in der Sicht psychotherapeutischer Schulen. Paderborn [Junfermann], S. 372-384). Es sollte ein Buch über die verschiedenen Schulen der Familientherapie werden, in dem auch einige besondere thematische Felder behandelt werden sollten. Meine Familientherapieausbildung am Weinheimer Institut hatte ich in der Zeit schon begonnen, wir hatten in der Klinik einen großen Einzugsbereich und sahen viel Elend, psychisches – doch auch sehr viele konkret soziale Nöte, die oft direkt mit psychischen Beeinträchtigungen und Familienkonflikten einhergingen. Ich erinnere mich an einen Hausbesuch bei einem schwer asthmatischen Mädchen. Damals war ich von der „Psychogenität“ von Asthma völlig überzeugt, doch der Besuch in der feuchten und nicht besonders gut riechenden Wohnung, in der ein kleiner Schwarz-Weiß-Fernseher ständig vor sich hin flimmerte und laute Töne von sich gab (das verzerrte Bild bezog er von der Zimmerantenne, die schräg in den Raum hineinragte), der Eimer mit Exkrementen mitten im eiskalten Kinderzimmer und die bepinkelte, notdürftig trocknende Bettwäsche ließen mich schon damals zweifeln, ob man sich Asthma so schlicht als „seelisch verursacht“ vorstellen dürfe. Die Familie war freundlich, behandelte mich aber erkennbar eher wie jemanden von „der Fürsorge“, mit Achtung und großer Vorsicht. Wirklich „Zugang“ bekamen wir nicht. Es gab einige ähnliche Erfahrungen in der Zeit, im Dortmunder Norden vor allem stand es nicht gerade zum Besten.
Ich war sehr stolz, auf das Thema angesprochen zu sein und versorgte mich, so gut es ging, mit Fachliteratur. Der Begriff „Unterschicht“ war (und ist) nicht unproblematisch, doch ich blieb dabei, er war common sense geworden. Die systematischen Zusammenhänge zwischen Schichtzugehörigkeit und psychischen Störungen wurden schon damals intensiv diskutiert, nicht wenige Autoren sprachen sich energisch für eine Verbesserung der Lebensumstände aus anstatt deren Folgen psychotherapeutisch „wegzumachen“ (so etwa Hollingshead & Redlich in „Der Sozialcharakter psychischer Störungen, Frankfurt, 1975).  Die „Konfliktspirale“, die sich aus materiellen Lebensbedingungen, finanziellen Sorgen, engen Wohnverhältnissen und begrenzten Möglichkeiten, im Umfeld Entlastung zu finden (wie Schwimmbad- oder Kinobesuche), ergibt, ist vielleicht nicht am besten über Psycho-, und vielleicht auch nur ein wenig besser über Familientherapie anzugehen.
Ob ich heute noch die Kategorien der Satir’schen Kommunikationsformen wählen würde, weiß ich nicht – wohl nicht. Die Kommunikationsformen in dieser Bevölkerungsgruppe dem „anklagenden Muster“ zuzuordnen, erscheint mit heute doch als recht vereinfachend. Was ich, glaube ich, damals zum Ausdruck bringen wollte, ist, wie sehr mir als in der Mittelschicht sozialisiertem Menschen die Direktheit und Unverblümtheit mancher sprachlichen Aussagen imponierte. Sprache, so wurde mir in der Auseinandersetzung allerdings auch klar, ist auch eine Barriere. Wer, wie ich damals, mit einer gesprächspsychotherapeutischen Ausbildung den Berufseinstieg begann, hatte es nicht gerade leicht, sich in restringierten Codes zu bewegen. Whorfs Konzept der „linguistischen Relativität“ wurde direkt erfahrbar. Und auch damals schon interessierten mich Erwartungsstrukturen, die sich vor dem Hintergrund spezifischer Sozialisationsformen als durchaus unterschiedlich darstellten.
Über dreißig Jahre ist das nun her! Auch heute lese ich den Text noch ganz gern. Er ist geprägt von dem Wunsch, der community etwas von den besonderen Erfahrungen der kinderpsychiatrischen Arbeit in einer Arbeiterstadt mitzuteilen, und auch von einer gewissen Ignoranz, mit der theoretische Klippen einfach deswegen umschifft wurden, weil ich sie damals gar nicht wahrgenommen hatte. Und ein wenig nachdenklich bin ich auch beim Lesen: wie sehr habe ich heute, wo ich mich eher mit Familien von der anderen Seite des sozialen Spektrums befasse (sprich: Unternehmensfamilien), den Kontakt zu der Lebenswirklichkeit vieler, wenn nicht der meisten Menschen in unserem Land verloren? Hmm, ich glaube, ich lese meinen Text noch einmal!

7. Dezember 2013
von Tom Levold
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Fritz B. Simon: Man muss Büchern ja generell ihre Autoren verzeihen

Es gab natürlich viele Bücher, die einen Weichen stellenden Einfluss auf mich und mein Denken hatten, ja, mein Leben verändert haben. Da wäre „Lösungen“ von Paul Watzlawick und seinen Kollegen in Palo Alto zu nennen, das ich als junger, von keinerlei Erfahrung beleckter Arzt in der Psychiatrie gelesen habe. Nach der Hälfte des Buches wusste ich, dass dies mein Ansatz ist und sein wird, und ich habe begonnen so auf die Welt zu schauen und zu arbeiten. Ein Buch, das mir Orientierung in meinem Stationsalltag im Umgang mit Patienten, die sich vollkommen uneinfühlbar verhielten, gab, aber auch mit der Organisation Psychiatrische Anstalt, die mindestens so merkwürdig war, wie die Patienten, vor allem aber mit meiner Rolle als jemand, der von einem Moment zum anderen über eine formale Macht verfügte, die ihm ab und zu Schwindel verursachte… Vielleicht das wichtigste Buch in meiner professionellen Anfangsphase (zumal andere Lektüre daraus folgte).
Wahrscheinlich ebenso wichtig, wenn auch auf ganz andere Weise, waren dann die „Laws of Form“ von George Spencer-Brown. Es wurde mir von Paul Watzlawick, als er einmal in Hannover, wo er einen Vortrag hielt und ich damals lebte und arbeite, empfohlen. Wir trafen uns nach der Veranstaltung, da wir schon eine lange brieflich aufrecht erhaltene Beziehung hatten. Ich hatte ein Buchmanuskript verfasst, in dem ich versucht hatte, psychoanalytische und kommunikationstheoretische Konzepte zusammen zu führen. Dabei hatte ich viele Ideen aus der Logik übernommen, um die Entwicklung psychischer Strukturen in ihrer Gesetzmäßigkeit (und in der Folge dann in ihrer Verwirrung im Fall der Psychose) zu analysieren. Paul, der schon mal einen Artikel von mir ins Englische übersetzt hatte – noch heute bin ich stolz darauf und kann mir nicht verkneifen, damit anzugeben (ich war damals kleiner Assistent und mein Buch war schon von gefühlten 100 Verlagen abgelehnt worden, so dass Paul wichtig zur Aufrechterhaltung meines Eigensinns war) – hatte das Manuskript gesehen und wies mich auf die Ähnlichkeiten meiner Modelle mit dem, was George Spencer-Brown in den Laws of Form geschrieben hatte, hin.
Als ich ein paar Jahre später in Heidelberg arbeitete, fuhren Gunthard Weber und ich (1984) nach New York, um eine Woche später mit Gunther Schmidt und Helm Stierlin in Yale an einer Schizophrenie-Tagung teilzunehmen. Wir wohnten bei Don Bloch, einem Freund von Helm, und ich fragte ihn, wo ich denn am ehesten nach diesem Buch suchen könnte. Barnes & Noble. Dort marschierten wir hin. Im Katalog war das Buch auch zu finden, nur wusste keiner, wo es steht. Gunthard und ich machten uns auf die Suche, und wir fanden es.
Ab da wurde alles anders. Denn GSB hatte formal dargelegt, was ich vorher auch schon – wenn auch in simplerer Weise – geschrieben hatte. Mein Buch („Prozess der Individuation“) war zwar inzwischen schon erschienen (mein ewiger Dank der damaligen Lektorin von Vandenhoeck & Ruprecht), aber ich saß gerade daran, meine Habilarbeit zu schreiben, so dass ich mich nun an den Laws orientieren konnte. Ich machte sie zur Grundlage der Analyse schizophrenen Denkens wie der Kommunikationsmuster in Familien („Unterschiede, die Unterschiede machen“). LoF ist das von mir am häufigsten gelesene Buch (8 oder 9 mal, immer wieder). Ich verstehe zwar nicht alles, aber was ich verstehe, ist sehr hilfreich. Meine Habilarbeit erschien 1987, und ich wurde zu einem der Propheten des George Spencer-Brown (was der allerdings nicht so recht zu würdigen weiß, denn er ist ein unmöglicher Mensch).
Aber man muss Büchern ja generell ihre Autoren verzeihen.

6. Dezember 2013
von Tom Levold
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Kurt Ludewig: Ein Rennen gegen Wände

Das heutige Kalendertürchen macht Kurt Ludewig mit einem Beitrag zur Entstehungsgeschichte seines Klassikers „Systemische Therapie. Grundlagen klinischer Theorie und Praxis“ auf. Dabei soll an dieser Stelle erwähnt werden, dass der Autor heute 71 Jahre alt wird, zum Geburtstag gratuliert systemagazin von Herzen und wünscht für die kommenden Jahre alles Gute, Glück und Gesundheit! Aber nun soll Kurt Ludewig selbst zu Wort kommen:

Vor einigen Tagen bekam ich Tom Levolds Einladung, mich wieder einmal an seinem Adventskalender im systemagazin zu beteiligen. Ich sagte zu, war mir aber nicht ganz sicher, wann ich dazu Zeit haben würde. Denn ich hatte dem Carl-Auer Verlag versprochen, noch im laufenden Jahr 2013 eine revidierte und aktualisierte Fassung meines Erstlingsbuchs »Systemische Therapie« zu liefern. Die Durcharbeitung dieses Buches löste bei mir aber eine Menge an Erinnerungen und Assoziationen aus, über die ich hier berichten möchte: die Gründe, Umstände und Folgen beim damaligen Verfassen des Buches passen durchaus zum diesjährigen Thema des Adventskalenders.
Es begann gegen Ende des Jahres 1989. Ich hatte bereits 15 Jahre an der Abteilung für Kinder- und Jugendpsychiatrie der Universität Hamburg gearbeitet, dort wichtige therapeutische Erfahrungen zuerst mit dem Mailänder Modell und später immer mehr mit unserem eigenen Ansatz gemacht und in den vorangegangen Jahren eine ziemliche Anzahl von Arbeiten veröffentlicht. Bis dahin hatte ich naiverweise geglaubt, dass ich als Psychologe an einer medizinischen Einrichtung – anders als Ärzte, die als wissenschaftliche Assistenten befristete Verträge hatten -, so gut wie unkündbar war. Zudem dachte ich, dass meine Arbeit samt der wissenschaftlichen Publikationen von der Universität geschätzt würden. Diese Unterstellung vermittelte mir ein noch stärkeres Gefühl der Sicherheit. Schließlich war ich alles andere als geneigt, sozusagen das Spiel der anderen zu spielen und mich an irgendein Projekt heranzumachen, und es nach den geltenden Regeln zu erledigen. Das hieß: Eine annehmbare Fragestellung zu entwickeln, ein passendes statistisches Design zu wählen und die Ergebnisse so zu behandeln, dass kein »normaler« Gutachter – normal im Sinne von normaler Wissenschaft nach Kuhn – die Arbeit ablehnen würde. So schwierig wäre das nicht gewesen, schließlich hatte ich einige Jahre zuvor bei Peter Hofstätter promoviert, der als einer der führenden empirischen Psychologen galt und maßgeblich an der Einführung der statistischen Methoden in die Psychologie beteiligt gewesen war. Bei diesem Gedanken, mich gewissermaßen zu »prostituieren«, um einen Titel zu bekommen, drehte sich mir der Magen um. Deshalb hatte ich vor Jahren beschlossen, weiterhin an der Entwicklung der systemischen Therapie zu arbeiten; ich wollte nicht fremd gehen, um bloß ein paar Streifen auf meine Schulter zu bekommen. Ich wähnte mich eben in einer – wie sich zeigen sollte – trügerischen Sicherheit.
Es ergab sich nämlich, dass kurz davor, im Jahr 1988, die Leiterin der Abteilung, Thea Schönfelder, in Pension gegangen war, sodass wir Mitarbeiter gewissermaßen schutzlos geblieben waren. Es kam zu einer Reihe von Veränderungen in der Klinik, die mich aufhorchen ließen. Meine Position war gar nicht so gesichert, wie ich bis dahin geglaubt hatte. Ich musste also etwas tun, um meinen Stand in der Klinik zu verbessern; es blieb mir nichts anders übrig als den Versuch zu unternehmen, habilitiert zu werden. Um mir aber dennoch treu zu bleiben, sollte das Thema aus dem systemischen Bereich sein.
Nach endlosen Auseinandersetzungen mit den metatheoretischen Grundlagen der systemischen Therapie, vor allem mit Maturana, von Foerster und Luhmann in der Theorie, mit Goolishian, de Shazer und White in der Praxis, war es an der Zeit, sie zusammen mit unseren klinischen Erfahrungen zu einer klinischen Theorie des systemischen Therapie zusammenzufassen. Dies schied als Thema einer psychologischen Habilitationsschrift schon deshalb von vornherein aus, weil psychologische Fachbereiche sogenannte Literaturarbeiten nicht akzeptieren, und mir fehlte eine akzeptable Menge an empirischen Arbeiten. Die vorhandenen Katamnesen würden vermutlich dafür nicht reichen, zumal sie über postalische Nachbefragungen mit einem ad hoc erstellten Fragenbogen entstanden waren. Sie fragten insbesondere nach der sogenannten »consumer satisfaction«, die von einem empirisch wissenschaftlichen Standpunkt aus betrachtet als wenig aussagefähig gelten. Ich beschloss also, bei meinem Leisten zu bleiben und die Schrift an meinen Vorstellungen vom medizinischen Fachbereich zu orientieren. Ich würde versuchen, in dem Fachbereich, in dem ich die letzten 15 Jahre verbracht hatte, für »klinische Psychologie« zu habilitieren. Das hatten immerhin einige andere Psychologen aus der Klinik vor mir mit Erfolg geschafft.
Ich machte mich also an die Arbeit. Mit der Absicht, die systemische Therapie geschichtlich in die Entwicklung des Denkens im Allgemeinen und der Psychotherapie im Besonderen einzuordnen, begab ich mich in ein weitgehend fremdes Terrain. Ich musste mich in die Geschichte der Philosophie und Medizin vertiefen, dazu in die zwar jüngere, jedoch nicht minder komplexe Geschichte der Psychotherapie. Ich kaufte mir eine Menge Bücher, um sie verfügbar zu haben, und nutzte darüber hinaus ausführlich die Bibliothek der Psychiatrischen Klinik. Nach einigen Monaten – schließlich musste ich mindestens 40 Wochenstunden klinisch arbeiten – war es mir klar geworden, dass ich mir sozusagen viel zu große Schuhe bestellt hatte. Es war aber zu spät, um zurückzudrehen oder aufzuhören. So kam es in den Jahren 1990 und 1991 nicht selten dazu, dass ich mich am Freitag Nachmittag an das Manuskript machte und erst damit aufhörte, als am Sonnabend Vormittag die Putzfrauen gegen 8 Uhr morgens kamen und mein Arbeitszimmer putzen wollten. Manchmal blieb ich sogar bis Sonnabend Mittag dabei oder ich machte am Sonntag weiter.
Zu allen zeitlichen Hindernissen kamen bei diesem Unternehmen zwei eingebaute Schwierigkeiten hinzu: Erstens, da meine Muttersprache nicht Deutsch ist, war das Ganze dementsprechend erschwert, und es erforderte, liebenswerte Kollegen aus der Klinik damit zu belasten, meine Texte zu  »verdeutschen«. Wenn ich mich recht entsinne, kam keiner vom systemischen Team darum herum. Zweitens war es damals noch nicht Usus, dass die Kliniken PCs zur Verfügung stellten, sodass ich mit meinem eigenen kleinen PC der Marke Zenith schreiben musste. Diese erzeugte aber dauerhaft ein derart schrilles Geräusch, dass ich seitdem in einem bestimmten Hörbereich ziemlich taub bin.
Schließlich war es im September 1991 so weit, dass der Text mit 391 Seiten und rund 560 Literaturangaben als Habilitationsschrift beim Fachbereich Medizin der Universität Hamburg eingereicht werden konnte. Dabei machte ich eine Reihe Fehler, die teilweise meinem Hochmut, teilweise meiner Naivität zuzuschreiben sind. Ich hatte nämlich die Möglichkeit, einen Teil der Mitglieder des Habilitationsausschusses zu wählen. Statt der beiden mir wohl gesonnenen, einflussreichsten Leiter der Psychiatrischen Klinik zu nennen – ich wollte ihnen diese Mühe ersparen –, nannte ich zwei Professoren, die  meiner Altersstufe angehörten und daher wenig geneigt waren, Risiken einzugehen. Ich war vom Wert meiner Schrift derart überzeugt, dass ich es nicht für nötig hielt, strategisch vorzugehen. Ein bewanderter Kollege aus Professorenkreisen erklärte mir etwas später, dass eine Habilitation, anders als eine Promotion, bei der es um die wissenschaftli
che Befähigung des Verfassers geht, die Eintrittskarte zu einen abgeschotteten Verein darstellt; sie sei also im Wesentlichen ein politischer und nur sekundär ein wissenschaftlicher Akt.
Wie ich damals erfuhr, wurde dennoch mein Antrag in der ersten Sitzung der Kommission insoweit angenommen, dass zwei mir bekannte und wohl gesonnene Professoren mit der Erstellung der entsprechenden Gutachten beauftragt werden sollten. Der Kommission gehörte aber auch ein Psychologe an; das war Teil der Vereinbarung zwischen dem Medizinischen und dem Psychologischen Fachbereich für die Habilitation von Psychologen in der Medizin. An dieser ersten Sitzung hatte aber der einzige Psychologe gefehlt. Dieser Kollege hatte ein großes Interesse, nach Hamburg zu kommen; er übernahm auch nach meinem Weggang von der Klinik meine dann zu einer Professur erhobenen Stellung. Er erfuhr von der wohlwollenden Behandlung meines Antrags in der Kommission und lief dagegen Sturm. Mit der Maßgabe, es handele sich um die Arbeit eines »Totengräbers« der Psychotherapie, die allenfalls gut für eine Promotion sei, ging er zu allen anderen Kommissionsmitgliedern und überzeugte sie davon, meine Arbeit nicht Klinikern, sondern empirisch und statistisch versierten Gutachtern zur Prüfung zu überlassen.
Das stellte mir der Vorsitzende der Kommission als Ergebnis der intensiv diskutierten zweiten Sitzung der Kommission vor. Nach nicht langer Überlegung beschloss ich, meinen Antrag zurückzunehmen. Meine Arbeit war im Wesentlichen eine theoretische und die wenigen eingestreuten Ergebnissen meiner empirischen Studien würden nach den Kriterien empirischer Forschung sicher nicht für eine Habilitation ausreichen.
Das war zunächst das bittere Ende dieses mühsam erarbeiteten Projekts. Der spätere Versuch, meine als nicht abgelehnt geltende Schrift in drei weiteren Fachbereichen für Psychologie einzureichen, scheiterten daran, dass bei dem ersten der Professor, der es mir angeboten hatten, bei der Abwicklung seiner ostdeutschen Universität nach der »Wende« zurückgestuft worden war und nichts mehr riskieren wollte. Von dem zweiten Versuch wurde mir von vornherein abgeraten, zumal die damaligen Fachreiche sich in einem Fusionsprozess befanden waren und deshalb höchst unsicher sei, womit zu rechnen wäre. Auf den dritten und letzten Versuch musste ich verzichten, weil die dortigen Professoren zu viele Arbeiten zu sichten und wenig Interesse hätten, sich mit außenstehenden Kandidaten zu befassen. Aus der verarbeiteten und gekürzten Habilitationsschrift wurde dann im Jahr 1992 das Buch »Systemische Therapie. Grundlagen klinischer Theorie und Praxis« im Klett-Cotta Verlag. Sie führte zwar nicht zu einer Habilitation, dafür aber zu vier Auflagen und fünf Übersetzungen: Ein wohltuender Trost!
Alles in allem ein bitteres, trauriges Rennen gegen persönliche Interessen und die Wände des Establishments. Bei allem, was mich dieses Projekt an Mühen und Frust gekostet hat, sehe ich einen Verlust auch darin, dass ich in den Folgejahren als »anerkannter« Wissenschaftler die Möglichkeit gehabt hätte, an meiner späteren Arbeitsstelle an der Universität Münster eigenständig wissenschaftliche Projekte zur systemischen Therapie zu leiten. Dazu kam es dann nicht.
Das sind die Erinnerungen, die in mir das Thema des diesjährigen Adventskalenders wachriefen. Dass ich 20 Jahre später immer noch am Buch arbeiten sollte, ist tröstlich; dass ich nun mit einem geräuschlosen PC schreiben kann, wohltuend.

5. Dezember 2013
von Tom Levold
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Peter Fuchs: Ein Western der Theorie

Ich habe sehr früh mit dem Lesen begonnen, so früh, dass mein Vater prüfte, ob ich berichten bzw. erzählen könne, was ich gelesen hatte. An einem Heiligen Abend, ich mag acht Jahre alt gewesen sein, schenkte er mir, vermutlich in der gleichen Absicht, einen Western, dessen Protagonist Tom Prox hieß, dargestellt als einer jener Männer, die den Colt gedankenschnell ziehen, mit ihm in Bruchteilen von Sekunden ihr Ziel treffen konnten, aber auch in der Lage waren, mittels ihrer Fäuste eine Kneipe mit einem Dutzend Halunken zu räumen.
Das Besondere (und mein erstes wichtiges und deshalb erinnertes Leseerlebnis) bestand darin, daß ich nach den ersten Zeilen und Abschnitten nicht mehr von außen das Buch rezipierte, sondern im geschriebenen Geschehen hauste, als ob es nicht geschrieben sei. Ich hörte die Pferde wiehern, die Revolver knallen, hasste die Bösen, liebte den Helden, an dessen Stelle ich trat – noch in meinen Phantasien vor dem Einschlafen und sogar im Traum. Fortan las ich, was immer mir unterkam, man kann wohl sagen: auf der Suche nach vergleichbarer Intensität, die bisweilen sich einstellte, aber meistens nur als Ahnung auftrat, von Enttäuschung begleitet.
So erzählt man Initiationsgeschichten, die sich fortsetzen, aber sich selten (wie das Wort schon sagt) wiederholen lassen. In meinem Fall gab es aber eine Art ‚Neu-Initiation‘, viele Jahre später, als ich ungefähr das 40. Lebensjahr erreicht hatte und nach einem kuriosen Lebenslauf das Studium aufnahm. Es führte mich nach Bielefeld, weil ich von Niklas Luhmann gehört hatte. 1984 erschien sein Buch ‚Soziale Systeme, Grundriß einer allgemeinen Theorie‘.
Auch in diesem Fall erinnere ich gut, was mir zustieß, als ich es las. Ich fühlte mich wie damals als Kind eintreten in dieses Buch, nur: dass keine Handlung vorfindlich war, wohl aber eine Erstreckung von 660 Seiten, auf denen ein Tanz von Unterscheidungen inszeniert war, episch, ironisch, pragmatisch und alles andere als trocken – trotz des immer spürbaren Unterstroms einer Ernsthaftigkeit, die viele, nachgerade sakrale Denktraditionen brach, aber sie gerade deswegen seriös würdigte.
Mein Erleben war nicht allein die Faszination durch den virtuosen Umgang mit begrifflichen Unterscheidungen. Es war auch ästhetisch grundiert – einmal wegen der Kunst, die Sprache, die Rhetorik wie auch die Komposition des Zusammenhanges im genauesten Verständnis konzise zu halten in zuweilen sehr dichten, ungewöhnlichen Wendungen einer hoch elastischen Prosa; dann aber auch deswegen, weil das, worum es ging, ‚Differenzen‘ waren, die sich nicht vergegenständlich ließen. Sie sind nicht visibilisierbar, sie sind in gewisser Weise: metaphysisch und deswegen nicht empiriefähig. Das beste Beispiel ist der Ausdruck ‚System‘ selbst.
Kurz: ich las tagelang gebannt und enthusiasmiert und lernte dabei das theoretische Denken kennen, das nicht gekennzeichnet ist durch schwer verstehbare Begriffe, sondern durch den Blick auf das Webewerk der Unterscheidungen und deren Koppelungen in der Souveränität eines Überschauens. Es ist kein Zufall, dass Theoria und Visio ‚Fernsicht‘ bedeuten. (Foto: Wikipedia)

4. Dezember 2013
von Tom Levold
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Sabine Klar: Wildgehendes Schreiben

Ich kreise um das, was ich suche, finde schließlich Begriffe, formuliere, was ich sagen will, und lege mich damit auf eine bestimmte Ausdrucksweise fest. Ich füge unterschiedliche Begriffswelten zusammen und schütze diese Verknüpfungen, indem ich eine Menge Sätze um sie herum baue und Bilder dazu entwerfe. Ich bahne damit Wege und schaffe einen Schein, den ich mag. Die gewählten Worte und damit verbundenen Assoziationen haben eine Selbstwirksamkeit, eine ihnen immanente, unsichtbare Erwartungsstruktur. Am interessantesten wird es in den Bereichen, wo die Begriffe sich reiben, weil sie sich selbst nicht mehr genügen und auf andere verweisen. Mir kommt vor, dass der Inhalt, den viele Begriffe ansprechen, hinter und zwischen ihnen zu finden ist – in der Dynamik der Bedeutungen, die umkreisen, was sich eigentlich nicht sagen lässt.
Ich habe die Vorannahme, dass das, was ich zu beschreiben suche, dem entspricht, was der jeweilige Begriff meint. Wenn es meine Vorliebe ist, die diese Vorannahme über die Verwendbarkeit des Begriffs stärkt, dann kann es sein, dass das, was mittels dieses Begriffs im sprachlichen Raum erscheint, mehr mit dieser Vorliebe zu tun hat als mit dem, was ich beschreiben wollte. Da mir andererseits das, was ich zu beschreiben versuche, wichtiger ist als mein dafür gefundener sprachlicher Rahmen und meine Bilder, nehme ich gleichzeitig Abstand davon und versuche herauszufinden, ob ihm andere Formen vielleicht angemessener wären. Im Hinblick auf die jeweils gefundene einzelne sprachliche Form hilft mir Gelassenheit und eine gewisse ironische bzw. humorvolle Distanz. Im Hinblick auf das eigentlich Gemeinte und auf den Versuch, es immer wieder von neuem in Sprache zu fassen, kann und will ich diese Gelassenheit und innere Distanz aber oft nicht aufbringen – denn es ist mir wichtig.
Deshalb versuche ich mich der Verführung zu entziehen, mich an dem einen oder anderen Ruheplatz begrifflicher Festlegungen auf Dauer häuslich niederzulassen. Manchmal schreibe ich etwas auf, um es dann wieder vergessen und mich mit anderem beschäftigen zu können – mit Abzweigungen von den gewohnten Wegen meines Denkens, Wegweisern in eine Richtung, die vielversprechender erscheint, weil sie mir eine andere Haltung zu mir selbst und einen anderen Zugang zu meiner Welt vermittelt. Ich notiere diese Abzweigungen vom Vorgegebenen, weil ich sie beizeiten wieder finden möchte, um sie näher zu erkunden. Leider ist ihre Zahl inzwischen recht groß, so dass es mir schwer fällt, mich zu orientieren. Zehntausend Word-Files umfasst meine Festplatte inzwischen – dem gegenüber scheint die Zahl der Texte, die ich veröffentlicht habe, sehr gering zu sein. Das Schreiben dient dem Suchen und bringt das dabei Gefundene in eine nur vorübergehend akzeptable Form. Ich habe damit begonnen, als ich in der Volksschule war – zuerst handelte es sich um Geschichten über kleine Mädchen und ihre Abenteuer, dann um Tagebuchtexte, in denen das inzwischen älter gewordene Mädchen in all dem Abenteuerlichen, das sie erlebte, nach Selbstverständnis suchte. Statt als Jugendliche die Lokale unsicher zu machen und mich mit Gleichaltrigen zu vergnügen, verfasste ich einen utopischen Roman. Während meines Zoologiestudiums versuchte ich in einem theoretischen Text Gott und die Evolutionstheorie zu vereinen – dies setzte ich zehn Jahre später im Rahmen einer theologischen Diplomarbeit fort, in der es um Gott und den Konstruktivismus ging. Und auch in den letzten Jahren kaue ich in meiner Freizeit an einem Buch über ein ähnliches Thema, das nicht und nicht fertig werden will. Dazwischen habe ich mich um ganz andere Texte bemüht – z.B. um Forschungsberichte, Fachartikel oder Skripten für die systemische Ausbildung, in denen ich versuchte, eine mir eigene Sprache für die vermittelten Inhalte zu finden. Glücklicherweise ist mir das Tagebuchschreiben in den letzten Jahren abhanden gekommen – hätte ich die Chance, jemals das Interesse einer Biografin zu wecken, dann wäre diese wohl trotzdem sehr beschäftigt und käme vor lauter Lesen zu gar nichts mehr. Ich habe mich in Gesprächen mit einem imaginären Beobachter (in dieser Phase Daimon genannt) aus vielen Problemen herausgeschrieben, habe schreibend die Antwort auf Fragen gesucht und schreibend neue Fragen erfunden. Ich habe Manuskripte von zweihundert Seiten auf ein Viertel zusammengekürzt um sie dann wieder auf das Doppelte zu erweitern. In meinen privaten Dateiordnern finden sich unveröffentlichte Gedichte, ein Theaterstück und ein fast fertiger Roman.
Manchmal frage ich mich, ob dieser Schreibwahnsinn ein Erbe meiner Familie ist. Bei meinem Großvater finden sich neben vielen Gedichten auch gereimte Memoiren, welche die 30er und 40er Jahre in Wien zum Inhalt haben. Mein Vater verfasste ebenfalls Gedichte und von meiner Mutter gibt als „Zeitzeugin“ viele persönliche Erinnerungen in Sammelbänden. Meine Tochter produziert Texte seitdem sie die ersten Buchstaben kritzeln konnte (vor kurzem sagte sie mir, dass das der Grund war, weshalb sie so schnell in die Schule gehen wollte – um endlich die Geschichten in ihrem Kopf auf Papier bringen zu können). Inzwischen hat sie die Schriftstellerei zu ihrem Beruf gemacht und hoffentlich bald ihren Platz in der literarischen Szene. Und auch mein Sohn ist seit kurzem angesteckt worden und probiert die Geschichten in Worte zu fassen, die sich – oft über Jahre hinweg – in seinen Gedanken entfalten.  
Meine Schreiberei bläst Begriffswelten auf und macht mich glücklich, hält mich aber auch vom Lesen und vom sonstigen Leben ab, denn sie kostet viel Zeit. Insofern ist sie ein teures Hobby – noch dazu wenn sie keinen unmittelbar in Geld oder Imagegewinn ablesbaren Nutzen bringt, wie bei mir. Wenn ich meine mit viel Mühe geborenen Wortgebilde nach Monaten und Jahren wieder lese, erscheinen sie mir fremd – so als hätte sie ein anderer verfasst. Manchmal erkenne ich, dass ich vieles geschrieben habe ohne es wirklich zu verstehen – dass ich mich in meine eigenen Worte verliebt und dabei den Inhalt übersehen habe. Dann beginne ich zu streichen und das Unnötige abzulösen. Ich schäle eine Zwiebel und ahne schon, dass letztlich nichts dabei herauskommen wird. Deshalb halte ich zeitweise inne, berge den vorübergehend saftig erscheinenden Kern in meiner Hand und verwende ihn zum Kochen.

3. Dezember 2013
von Tom Levold
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Rudolf Klein: Coming Out

Ich muss gestehen: Als Kind habe ich extrem wenig bis gar nicht gelesen. Mich hat einfach nichts interessiert. Weder Karl May noch Lederstrumpf noch irgendwelche andere sogenannte Kinder- und Jugendliteratur.
Es war mir alles zu langweilig. In seiner elenden Langeweile war das Lesen nur noch durch Werkeln oder Basteln zu toppen. (Eine echte Tortur für jemanden, dem man heutzutage mit hoher Wahrscheinlichkeit eine ADHS-Diagnose verpassen würde, um ihn dann in irgendwelche pädagogischen Programme zu stecken, mit Medikamenten zu beruhigen und auf diese Weise vollends dem Vergammeln zu überlassen.)
Mich hat nur eines interessiert: Herumrennen. Am liebsten hinter einem Ball her. Ging aber auch ohne. Also: Fußball, Leichtathletik. Egal. Die Hauptsache: Rennen. Und zwar schnell. Auch das Jonglieren mit einem Ball: rechter Fuß, linker Fuß, Wechsel der Füße, Kopf, Brust, Knie, Fuß und wieder von vorne. Endlos.
Oder: Innenrist, Außenrist, linker Fuß, rechter Fuß. Immer gegen die Wand. Ich brauchte keine Gegner. Ging auch so. Besser war es aber mit den anderen Kindern. Die waren insgesamt langsamer, weniger ballgewandt, beherrschten das Dribbeln einfach nicht. Wen wundert’s, die lasen halt.
Als ich dann während des Studiums irgendwann mit dem Lesen anfing und nach dem Studium mit systemischen Ideen Kontakt bekam, änderte sich das gewaltig. Aber dennoch: ich verstand manche Bücher passagenweise einfach nicht. „Paradoxon und Gegenparadoxon“, „Ökologie des Geistes“, „Geist und Natur“, „Erkennen: Die Organisation und Verkörperung von Wirklichkeit“, „Soziale Systeme“, um nur fünf davon zu nennen.
Von diesen für mich unverständlichen Textpassagen ging aber etwas anderes aus. Ich konnte es kognitiv nicht erfassen. Es war körperlich. So ein Gefühl wie: da kribbelt es und lässt mich nicht los. Da steckt etwas drin, was mich auf irgendeine Weise körperlich berührt, neugierig macht, fast elektrisiert. Ich verstand es nicht. Noch nicht.
Da war es dann sehr hilfreich, dass ich stundenlang jonglieren konnte, endloses Laufen gewöhnt war, ausdauernd gleiche Bewegungen einübte, stupide gegen die Wand prellte.
So verfuhr ich dann auch mit Texten. Ich las sie immer wieder. Markierte Textstellen und notierte am Rand. Und las sie erneut von vorne. Wieder und wieder. Ich glaubte zwischenzeitlich, sie verstanden zu haben, um erneut daran zu zweifeln. Und sie dann wieder zu lesen. Im Garten, im Wald, vor dem Schlafen, in Restaurants und manchmal, ja ich gestehe auch das: beim Autofahren. Dort also, wo andere Sex haben. Und dann, irgendwann war es plötzlich da: Der Text erschien mir vollkommen klar und luzide.
Was ich vorher auch nicht ansatzweise verstanden hatte, war auf einmal in Gänze vorhanden. Und ich konnte die Gedanken sogar mit anderen Ideen, die ich mir schon früher erarbeitet hatte, verknüpfen. Mit  Leichtigkeit und mit der Möglichkeit, sogar eigene Fragestellungen zu bearbeiten, sie neu zu sehen und eigene Schlussfolgerungen zu ziehen. Das war und ist bis heute beglückend und hört hoffentlich nie auf. Und manchmal schreibe ich sogar selber Texte.
So ist das wohl bei manchen Männern, die auf Anhieb fast nichts verstehen, dafür aber rennen können.

2. Dezember 2013
von Tom Levold
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Wolfgang Loth: Wurzeldinge

Das sagt sich so leicht: Vierteljahrhundert. Doch ist es so. So lange ist es her, dass ich mit dem Schreiben begonnen habe. Natürlich nicht: mit dem Schreiben. Es ist das Schreiben mit der Absicht zu publizieren. Ich entsinne mich nicht mehr, was genau der Anfang war. Jedenfalls gab es irgendwann einige Zettel, vollgeschrieben mit Ideen, Querverbindungen zu anderen Ideen und noch unausgegorenen Skizzen, wie die Dinge zusammenhingen. Die Dinge, von denen mir schien, dass sie den Kern unserer Profession ausmachen. Das war schon so, es sollte „das Ganze“ sein. Vision eben. Der Blick also nach oben, nach unten: nix in der Hand. Es fehlte mir eine Schreibmaschine. Schreib-what?! Ja, so hießen diese Geräte, mit denen man schrieb, wenn man nicht mit der Hand Schrift produzierte. An meiner Arbeitsstelle gab es eine, elektrisch. Die lieh ich mir dann über das Wochenende aus, nahm sie mit nach Hause, wenn ich genügend Gedanken gesammelt, durchgespielt, sortiert, auf Zettel verteilt und diese in Ordnung gebracht hatte. Ein Wochenende, drei Durchschläge per Kohlepapier und einiges mehr an zerknüllten Seiten. Wenn mitten im Text eine Passage nicht stimmte, musste die Seite neu eingespannt und von neuem begonnen werden. Am Montag stand die Maschine wieder in unserem Sekretariat. Schreiben und Schlepperei gehörten zusammen. Ebenso wie Warten. Ich entsinne mich, dass ich fast ein dreiviertel Jahr auf eine Antwort der „Familiendynamik“ wartete, nachdem ich der Redaktion eine Besprechung zu Bill O’Hanlons Taproots geschickt hatte. An Heiligabend  1987 kam dann die Bestätigung und der Ausblick auf den Abdruck im April des kommenden Jahres. Es wurde dann April des Jahres danach. Grausamkeiten müssten am Anfang geschehen, wird Macchiavelli gerne zitiert, und so hat mir das sicher geholfen dabei, Wartezeiten zu überstehen in den folgenden Jahren. Wartezeiten sind Durststrecken für mich. Und ich lernte für mich, wie ich es als Redakteur anders machen wollte. Dazu verhalf mir als erster Arist von Schlippe, den ich in der Zwischenzeit für die neugegründete „Systhema“ mit Texten wohl überschüttet hatte. Da zog er es vor, mich dann auch gleich an der Redakteursarbeit zu beteiligen und so wurde ich Mitglied der Redaktion. Arist ist einer von Zweien, an deren redaktionelle Betreuung von AutorInnen ich immer mit Respekt und Freude denke. Der andere ist Jürgen Hargens, der 1983 die „Zeitschrift für Systemische Therapie“ auf den Weg gebracht hatte – das für mich einschneidende und wegweisende Ereignis in systemischer Literatur hierzulande. Das erste Jahrzehnt dieser Zeitschrift ist mir immer noch eine Quelle der Inspiration. Beide, Arist und Jürgen, haben stets sehr bald reagiert, ausführlich, wohlwollend, nachvollziehbar sowohl in Zustimmung wie im Vorschlag von Veränderungen. Ich habe bei ihnen Grundlegendes gelernt über kritische Solidarität zwischen AutorInnen und RedakteurIn. Daran habe ich mich in den mittlerweile vielen Jahren als Redakteur und auch als Beiratsmitglied verschiedener Zeitschriften immer orientiert. 
Ich frage mich, was solche Erinnerungen heutzutage bedeuten mögen. Was das Ringen mit den Begrenzungen, aber auch das Getragensein auf den Fundamenten einer analogen Welt heute für einen Eindruck zu machen vermöchte. Was soll’s heute? Einerseits kommt mir die Schnelligkeit der neuen Medien und elektronischen Kommunikationsformen entgegen. Warten muss ich jetzt weniger (und Schleppen auch nicht). Und wenn, dann bin ich zum Zeitpunkt der (aus meiner Sicht) verspäteten Antwort schon wieder weiter, habe neue Quellen angezapft, neues Material rundgeschickt, hier etwas beigesteuert, da etwas zum Rückmelden erhalten. Das geht schnell heute, und manchmal ist es auch hilfreich. Aber manchmal – und das ist die andere Seite –  frage ich mich schon, ob im Gewusel der Fülle, auch der publizierten Fülle, nicht manchmal die Substanz fehlt, das Durchgearbeitete, die bewältigte Notwendigkeit mit Durststrecken umzugehen. Es ist schon in Ordnung, der fehlenden Zeit der LeserInnen entgegenzukommen, auf Flüssigkeit und Eingängigkeit zu achten, notfalls Häppchen anzubieten, den Lesestoff zu magazinieren. Doch wenn es nur noch darauf ankäme, einen schnellen Eindruck im Vorübereilen zu ermöglichen, und wenn dabei die ZuMUTung gänzlich aufgegeben würde, auch die Auseinandersetzung mit den grundlegenden Fragen und Bedrängnissen erkennbar zu machen, und dazu anzuregen, dann fehlte mir doch etwas. Dann wäre der eingebaute Lese-Scanner in Brille oder Brilli effizienter. Nur die Frage: Wozu?, diese Frage würde dann überflüssig, so scheint mir. Literatur, die anregt, ist immer auch unberechenbar, in ihrer Wirkung offen, insofern ein Risiko – ein blühendes allerdings. Literatur, die nur noch als Medium zum Briefing gilt, kann dafür nicht mehr offen sein. Sie soll etwas her-stellen, nicht mehr handeln. Ach ja, Hannah Arendt, Vita activa, nun gut.
Wie gesagt, sagt sich so leicht: Vierteljahrhundert. 
Immerhin: von meinem iMer gesendet.

1. Dezember 2013
von Tom Levold
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Mary Ainsworth, 1.12.1913 – 21.3.1999

Heute vor hundert Jahren wurde Mary Ainsworth, die gemeinsam mit John Bowlby die Bindungsforschung populär machte, in Glendale, Ohio, geboren. Sie studierte ab 1929 Psychologie an der University of Toronto, schloss 1936 mit einem M.A. ab und wurde 1939 promoviert. In der kanadischen Armee, in die sie 1942 eintrat, stieg sie bis zum Majorsrang auf. Im Anschluss an ihre Dienstzeit lehrte sie in Toronto Persönlichkeitspsychologie und begann mit eigenen Forschungen auf diesem Gebiet. 1950 begleitete sie ihren Mann Leonard Ainsworth nach London und trat eine Stelle in der von John Bowlby geleiteten Forschungsgruppe an der Tavistock Clinic an, die den Einfluss der Trennung von Mutter und Kind auf die kindliche Entwicklung untersuchte. Gemeinsam mit ihrem Mann, der eine Stelle beim East African Institute of Social Research in Uganda angeboten bekommen hatte, reiste sie nach Afrika und untersuchte dort vorbildliche Mutter-Kind-Beziehungen beim Volk der Ganda, die Grundlage ihres Buches „Infancy in Uganda“. Sie entwickelte eine Theorie unterschiedlicher Bindungsqualitäten und -muster, die auch heute noch in der Bindungsforschung von zentraler Bedeutung sind. Mit John Bowlby arbeitete sie eng zusammen und hatte zahlreiche Veröffentlichungen. Sie starb am 21.3.1999 im Alter von 85 Jahren in Charlottesville, Virginia. In einem schönen Text für die Zeitschrift„Attachment and Human Development“ haben Karin und Klaus Grossmann, die seit über 40 Jahren das Gesicht der Bindungsforschung in Deutschland prägen, Mary Ainsworth in ihren Todesjahr gewürdigt. Den vollständigen Text
können Sie hier lesen…

1. Dezember 2013
von Tom Levold
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Stephan Baerwolff: Ein starkes Gefühl beim Lesen von Fachartikeln: Rührung

Liebe Leserinnen und Leser,

auch in diesem Jahr gibt es wieder – in mittlerweile guter Gewohnheit – einen Adventskalender im systemagazin. Dieses Mal dreht er sich thematisch um Fragen, die mit eigenen Lektüre- und Schreiberfahrungen verbunden sind. Welche Erinnerungen gibt es an Texte, die einen seit langem begleiten, wie hat man erste Schreib- und Veröffentlichungsversuche in Erinnerung, welche Erfahrungen mit Verlagen, Herausgebern, Redakteuren, Lesern wurden gemacht, waren amüsant, berührend oder verwunderlich, wie erlebt man das Wiederlesen von Texten, die man vor ewigen Zeiten geschrieben hat, etc. etc. Hierbei hatte ich zunächst die Idee, in erster Linie Kolleginnen und Kollegen einzuladen, die bereits Text veröffentlicht haben. Es hat sich aber gezeigt, dass die Publikationserfahrungen nicht im Zentrum der bislang eingegangenen Beiträge liegen. Deshalb möchte ich gerne auch Sie einladen, Ihre eigenen Geschichten zum Adventskalender beizusteuern. Wie auch in den vergangenen Jahren ist er zum 1.12. noch nicht voll und ich freue mich über Beiträge. Alle Texte, die zu diesem Thema eingehen, werden auf jeden Fall veröffentlicht, wenn der Adventskalender dafür nicht ausreichen sollte, dann vielleicht als eine Sonderseite im systemagazin oder auch als systemagazin-eBook! denkbar.

Den Reigen der Kalendertürchen eröffnet heute Stephan Baerwolff aus Hamburg, der von seiner ersten (Lese-)Begegnung mit Michael White erzählt (der Text, auf den er sich in seinem Beitrag bezieht, ist übrigens 2005 in systhema auf Deutsch erschienen):

„Auf Tom Levolds Frage nach einer einschneidenden Lektüreerfahrung fiel mir sofort ein Text ein, den ich am 10.6.1989 auf der Zugfahrt von Heidelberg nach Hamburg las. Warum ich das so genau erinnere? Dazu folgende kleine Geschichte:
Durch meinen Kontakt zu Kurt Ludewig Anfang der 80er Jahre hatte ich das Glück, schon relativ früh in die systemische Szene hineinzugeraten und deren Entwicklung mitzuerleben. Da zudem mein Arbeitsplatz eine lange Busstrecke von zuhause entfernt lag, hatte ich jeden Tag ausführlich Gelegenheit, mich in systemische Texte zu versenken. So stieß ich auch auf die ersten Artikel von Michael White, die Helm Stierlin dankenswerterweise aufgestöbert und in der Familiendynamik veröffentlicht hatte. Mir gefielen der Witz und die Kreativität, mit der dort Angst-Monster gezähmt und Paarbeziehungen in Bewegung gebracht wurden. So war es für mich keine Frage, dass ich mich 1989 für einen Workshop in Heidelberg anmeldete, zu dem Michael White (ich vermute das erste Mal) nach Deutschland kam. Dort beeindruckte mich sein ebenso bescheidenes wie klares Auftreten, mit dem er seinen Ansatz darstellte. Seine Verschmitztheit zeigte sich z.B. in der Bemerkung, seine KollegInnen und er würden die psychiatrischen Akten der an sie überwiesenen PatientInnen nicht mehr lesen, sondern wiegen! Seine Therapie-Videos zeigten nicht die üblichen gebildeten Mittelschichts-Familien, sondern auch KlientInnen, wie ich sie aus meiner Arbeit in einem Psychiatrischen Landeskrankenhaus  kannte. Ich war beeindruckt, wie warmherzig Michael White mit diesen schwer belasteten Menschen umging und mit ihnen zusammen aus kleinsten Ansatzpunkten von Ressourcen hoffnungsvolle Geschichten entwickelte. Schließlich erinnere ich noch, dass Michael Whites Frage an das Publikum, ob wir die von ihm zitierten (meist anthropologischen) Theoretiker kennen würden, allseits Kopfschütteln auslöste, selbst bei der versammelten systemischen Prominenz.
Wie die LeserIn richtig vermutet, verließ ich also den Workshop höchst zufrieden und angeregt, mich weiter mit dem narrativen Ansatz zu beschäftigen. Dazu gab es gleich noch auf der Bahnfahrt Gelegenheit, denn ich fuhr zusammen mit einer Hamburger Kollegin, die längere Zeit in Australien gewesen war und sich von daher getraut hatte, Michael White anzusprechen und dafür mit einem Haufen an Texten von ihm „belohnt“ worden war. In einen davon schaute ich nun hinein, einen kurzen englischsprachigen Artikel, dessen Lektüre (eben weil kurz!) ich mir zutraute. Schon bald überfiel mich ein starkes Gefühl, das mir beim Lesen von Fachartikeln unbekannt war: Rührung! Im Kern ging es in dem Artikel um eine Klientin, deren Mann gestorben war und die nicht über seinen Tod hinweg kam, so dass ihre Mitmenschen (auch Fachleute) begannen, ungeduldig zu werden. Michael Whites Vorgehen basierte auf der Idee, die gängige Vorstellung der Trauerverarbeitung (Loslassen) zu dekonstruieren und der Klientin die Vorstellung anzubieten, den Kontakt zum verstorbenen Ehemann zu verstärken. Dazu bat er sie, sich ihre Situation durch die Augen des Verstorbenen anzusehen (technisch gesprochen handelte es sich also um zirkuläre Fragen) und gewissermaßen seinen Rat einzuholen. Aus dem Artikel (besonders vor dem Hintergrund der aktuellen Erfahrung des Workshops) sprach eine so große Menschenfreundlichkeit und Warmherzigkeit, dass ich hätte heulen können – ein gewisser Kontrast zu der „Aura“ der systemischen Szene zur damaligen Zeit, die mir doch eher durch ausgesprochene Intellektualität und kognitive Brillanz geprägt schien. Diese überaus emotionale Reaktion mag ein Beleg sein für die These, dass wir Ereignisse besonders gut erinnern, die mit starken Gefühlen verbunden sind. Was wiederum plausibel macht, dass ich ausgerechnet diesen Text hier auswählte.
In der folgenden Zeit habe ich mich intensiv mit dem narrativen Ansatz beschäftigt, der mich lange Zeit fasziniert und begeistert hat – besonders in Verbindung zu der sozialkonstruktionistischen Infragestellung scheinbarer Selbstverständlichkeiten als gesellschaftlich konstruiert. Zwar fand ich später die Art der therapeutischen Fragen, die individuelle Probleme gesellschaftlich kontextualisieren sollen, für meinen Geschmack manchmal etwas suggestiv und spürte einen Anflug von Selbstgewissheit darin, die ich gern wieder „radikal konstruktivistisch“ hinterfragt hätte. Aber dennoch bildet m. E. der narrative Ansatz einen sehr geeigneten Rahmen, um z. B. systemisch über Biographie und deren Thematisierung in der Therapie nachzudenken (und dabei durchaus Michael Whites Arbeitsweise zu erweitern).
Wenn ich auch seit dem Sommer 1989 viele vielleicht intellektuell „wertvollere“ Beiträge als den besagten Artikel gelesen habe, steht er doch auch heute noch für die Fähigkeit, flexibel die eigenen Prämissen infrage zu stellen und die Perspektive des Denkens zu wechseln wie für das Vermögen, eine warmherzige, zutiefst empathische Beziehung zu anderen Menschen zu gestalten. Beides (und gerade ihr aufeinander-bezogen-sein) sind für mich Eckpfeiler des systemischen Ansatzes. Das ließe sich theoretisch ausgefeilter sagen, aber in einem Adventskalender-Türchen ist (zum Glück) nicht so viel Platz …“

29. November 2013
von Tom Levold
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Psychotherapie als Förderung von Selbstorganisationsprozessen


Im Hogrefe-Verlag wird derzeit eine neue Buchreihe mit dem Titel „Systemische Praxis“ aufgelegt, deren erster Band mittlerweile vorliegt. Herausgeber der Reihe sind Günter Schiepek, Wolfgang Eberling, Heiko Eckert, Matthias Ochs, Christiane Schiersmann, Rainer Schwing und Peter A. Tass. Die Programmatik der Reihe liegt in der Vermittlung von Modellen zur Funktionsweise komplexer, nichtlinearer Systeme für die psychotherapeutische Praxis. In einem Einführungsband entwickeln Günter Schiepek, Heiko Eckert und Brigitte Kravanja „Grundlagen systemischer Therapie und Beratung“ und konzipieren Psychotherapie als „Förderung von Selbstorganisationsprozessen“ im Sinne der Synergetik. Wolfgang Loth hat sich intensiv mit dem Buch auseinandergesetzt, das er zur Lektüre empfiehlt, gleichwohl er hinsichtlich der Praxis der Modellierung des therapeutischen Prozesses vermittels digital erfasster Daten ambivalent bleibt: „Nach wie vor fasziniert mich die ,Möglichkeit, einer systemwis­senschaftlichen Erklärung für systemische Reorganisationsprozesse (…), welche sehr spezifisch (durch Prozessmonitoring und Prozessfeedback) unterstützt werden können‘ (S. 91). Das hat nicht nur mit pragmatischen (und womöglich pragmatisch-naiven oder pragmatisch-furchtsamen) Wünschen zu tun, ,wirksam/wirklich‘ helfen zu können, sondern auch mit existenziell-sinnhaften: das vorgestellte Modell verknüpft einen hocheffizienten Umgang mit Komplexität mit einem ebenso hochsensiblen Respekt vor individuell erlebtem Leben (und Leiden). Das hat schon was … und es bleibt – und daher mein Zögern – angewiesen auf die Vertrauenswürdigkeit derjenigen, die das anbieten. So hoffe ich, dass mit der zunehmenden Erfahrung mit SNS und SNS-basierten Gesprächen auch die Sensibilität dafür bleibt, wie ausgeklügelte ,Behandlungskonzepte‘, insbesondere technisch hochgerüstete, ihren ,Grund‘ in Emanzipation und Teilhabe sehen anstelle in Macht und Sicherung von Ordnung. Mit anderen Worten: Ich verstehe das vorgestellte Konzept als ein differenziertes ,Hilfsmittel‘ dabei, sich in der Komplexität des eigenen Lebens, seiner physischen, psychischen und sozialen Bezüge, klarer zu werden und darin eine eigene Lebens-Form zu finden. Der immer wieder explizit betonte Respekt vor der individuellen Auseinandersetzung mit ,den Umständen‘ ist mir hier ein Wort, auf das ich mich verlasse. Dieses Vertrauen und eine ebenso ausgeprägte Vorsicht lassen mich neugierig darauf sein, wie es weitergeht. Um das nicht zu vergessen: Ich empfehle die Lektüre dieses Buches sehr, bin gespannt auf die Fortsetzung der Reihe und wünsche ihm und ihr nicht nur viele LeserInnen, sondern mehr noch viele, die sich ernsthaft damit auseinandersetzen. Dann wäre diese Reihe viel­ leicht nicht nur eine weitere, die einen eigenen Akzent setzt (das tut sie), sondern auch eine, die einen dann tatsächlich umgreifenderen Unterschied macht. Ernsthafte Empfehlung!“
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27. November 2013
von Tom Levold
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Kurt Buchinger (27.11.1943)

Kurt Buchinger ist ein wichtiger Wegbereiter für die Theorie und Praxis systemischer Supervision und Organisationsberatung. Er begeht heute seinen 70. Geburtstag und systemagazin gratuliert von Herzen. Kurt Buchinger ist den systemagazin-Lesern durch eine ganze Reihe von Texten bekannt, die in der Systemischen Bibliothek  des systemagazin zu finden sind. Im vergangenen Jahr erschien von ihm ein berührender Text über seine Kranken- und Behandlungsgeschichte und die Auseinandersetzung mit dem Leben und dem Tod, der einige Resonanz erzeugt hat. seinem neuesten Text führt er dieses Thema weiter fort, es geht es um einen „Alten Wunsch und neue Erfahrungen“ im Rahmen seiner Selbstbeobachtung in dieser Situation, gewissermaßen um das „Leben im Tod revisited“ (K.B). Ich danke Kurt Buchinger sehr für die Erlaubnis zur Veröffentlichung dieses Textes, der uns auf eindringliche Weise lehrt, dass das Lernen nicht endet, auch nicht in Zeiten körperlichen Leidens. Lieber Kurt Buchinger, für die kommende Zeit wünsche ich Ihnen das Beste!
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25. November 2013
von Tom Levold
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Die Entwicklungsdynamik der deutschsprachigen Familientherapie und Systemischen Therapie aus bibliometrischer Sicht

Bibliometrie ist quantitative Untersuchung von Publikationen, Autoren und Zitationen etc., aus der sich z.B. für thematische Diskurse Entwicklungsverläufe, die Verteilung von Themen in Fachzeitschriften oder die Anzahl von Zitierungen eines Autors oder Textes nachzeichnen lassen. Sie stellt insbesondere für wissenstheoretische und wissenschaftshistorische Fragestellungen einen spannenden methodischen Zugang dar. Für die Untersuchung der Entwicklung des systemischen Diskurses hat Ludwig Reiter hier einige wichtige Beiträge geliefert, die aber im systemischen Diskurs nicht ausreichend rezipiert worden sind. 1997 hat er gemeinsam mit Egbert Steiner und Victor Gotwald eine Studie über „Die Entwicklungsdynamik der deutschsprachigen Familientherapie und Systemischen Therapie aus bibliometrischer Sicht“ veröffentlicht, in deren abstract es heißt: „Die Entwicklung der Familientherapie und Systemischen Therapie ist durch einen Paradigmenwechsel gekennzeichnet, der häufig als Übergang von der Kybernetik I zur Kybernetik II bezeichnet wird. Der vorliegende Beitrag, eine bibliometrische Studie aller in deutschsprachigen familientherapeutischen und systemischen Zeitschriften von 1976 bis 1995 publizierten Arbeiten und der darin zitierten Werke, zeichnet diese Entwicklung anhand von Autoren und Beiträgen nach. Mit Hilfe dieser Methode ist es möglich, sowohl die „Leitfiguren“ als auch die „klassisch“ gewordenen Arbeiten zu identifizieren und die Dynamik der Veränderungen im systemischen Feld darzustellen.“
Zum vollständigen Text geht es hier