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Online-Journal für systemische Entwicklungen

Kybernetik, Kommunikation und Konflikt

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Lina Nagel ist seit 2020 wissenschaftliche Mitarbeiterin am WIFU-Stiftungslehrstuhl für Organisation und Entwicklung von Unternehmerfamilien. In ihrer Dissertation befasst sie sich mit Konflikten und der Konfliktbearbeitung in Unternehmerfamilien.​​ Zuvor hat sie ihren Bachelor in Medien- und Erziehungswissenschaft an der Ruhr-Universität Bochum gemacht, gefolgt von einem Auslandsstudium in Taiwan. Ihr Masterstudium in Ethik und Organisation an der Universität Witten/Herdecke schloss sie mit einer Arbeit über ein kybernetisch-systemisches Konfliktverständnis ab, das auf der Erkenntnistheorie Gregory Batesons aufbaut. Diese Arbeit ist in der Reihe „Systemische Forschung“ des Carl-Auer Verlages in diesem Frühjahr erschienen. Wolfram Lutterer hat das Buch für systemagazin gelesen:

Wolfram Lutterer, Freiburg:

Kybernetik, Kommunikation und Konflikt ist ursprünglich als eine Masterarbeit an der Universität Witten/Herdecke entstanden. Von dort aus hat sie, versehen mit zwei Vorworten von Arist von Schlip­pe sowie von Anita von Hertel den Weg in den Carl-Auer Verlag gefunden. Lina Nagel hat es sich darin zur Aufgabe gemacht, ein kybernetisch orientiertes Konfliktverständnis zu entwickeln, das sich einerseits an der Praxis bewährt, in den konflikttheoretischen Diskurs eingebettet ist sowie sich an der kybernetischen Erkenntnistheorie Gregory Batesons als besonderem Mehrwert orientiert. Dieses Unterfangen ist ihr gelungen.

Zwischen Vorwort und Schluss entfaltet sich diese Arbeit über drei Kapitel hinweg, die hier der Einfachheit als zwei zentrale Hälften betrachtet werden: Die erste Hälfte des Buches dient einer stückweisen Rekonstruktion einer an Bateson angelegten Konflikttheorie, die zweite der Engführung eben dieser mit anderen Konflikttheorien zu einer breiteren Perspektive auf Konfliktlösungen und insbesondere auf den Mehrwert, den systemisches Denken hier bieten kann. Auch neuere Ansätze, namentlich insbesondere die von Niklas Luhmann, Friedemann Schulz von Thun, Haim Omer, Arist von Schlippe und Jochen Schweizer, Jürg Willi und Anita von Hertel dürfen sich hier in eine an Bateson orientierte Perspektive unter- und einordnen lassen.

Hierzu stellt Lina Nagel Bateson – zumindest im Hinblick auf dessen Veröffentlichungschronologie – zunächst einmal gewissermaßen vom Kopf auf die Füße. Ausgehend vom späten Bateson und dessen voll entfalteter (wenn auch weiterhin nur spärlich rezipierter) kybernetischer Erkenntnistheorie sowie seinen Ideen um geistige Prozesse und um systemische Weisheit nähert sie sich zunächst seinem im thera­peutischen Feld vielfach erschlossenen Denken über den double bind sowie über Kommunikation und Lernen an, um dann in dessen Frühwerk am Begriff der Schismogenese den Kern einer an Bateson orientierten kybernetischen Konflikttheorie zu erkunden. Der Leser bemerkt hierbei: Nagel hat nicht nur einen außerordentlich klaren, präzisen und gut lesbaren Stil, es gelingt ihr auch bestens, Batesonsches Denken fruchtbar zu machen und ihren Leserinnen und Lesern nahezubringen.

Im zweiten Teil wird eine wechselseitige Annäherung und Übersetzung von Konflikttheorien geliefert. Aus einer Batesonschen Perspektive wird hier vieles an praktischer Erfahrung eingängig und zugleich theoretisch fundiert, so etwa die tendenzielle Sinnlosigkeit, nach dem Anfang eines Konflikts zu suchen – um sich statt dessen auf einer Metaebene vom Konfliktgeschehen sukzessive zu distanzieren und somit zu emanzipieren. In der eigentlichen Konfliktlösung dient dann Batesons (von Alfred Korzybski entlehnte) Differenzierung von Landkarten und Landschaft als Grundlage. Die von Irrtümern geprägten Landkarten sind hier an die Landschaft anzupassen. Für Nagel gilt es hier insbesondere darum, „Irrtümer aufzudecken und funktionalere Landkarten zu entwerfen“. Hier bleibt sie Bateson konsequenterweise treu, auch wenn im systemischen Feld insbesondere bei Heinz von Foerster mit der Aufgabe des Begriffs der Landschaft noch radikalere Konzepte zugänglich gewesen wären – mit welchem Mehr- oder Minderwert, das sei an dieser Stelle jedoch dahingestellt. Die Batesonsche Begrifflichkeit dürfte hier nämlich zwar die theoretisch weniger scharfe, wenn auch in pragmatischer Hinsicht die bei weitem zugänglichere sein. 

Nagel gelingt es hierbei insbesondere, sukzessive ihre kybernetische Konflikttheorie mit weiteren an Bateson orientierten Elementen anzureichern, so etwa seiner Alkoholismustheorie, seiner Lerntheorie und schließlich mit seinen Vorschlägen für Korrektive zu unseren erkenntnistheoretischen Irrtümern in Gestalt von Weisheit, Demut und Liebe. Hier zeigt sich: Eine an Bateson orientierte Perspektive erweist sich hinsichtlich von Konfliktverstehen und Konfliktlösung nicht nur als außerordentlich vital, sondern sie ist auch kongruent mit Erfahrungen aus der beraterischen Praxis und verhilft zu einer breiteren Perspektive und einem tieferen Verständnis in diesem Bereich. Daher ist dieses Buch all jenen zu empfehlen, die sich aus einer systemischen Perspektive mit Konflikten befassen möchten und dabei sich allenfalls verwundert die Augen reiben, dass ein zuweilen eher als unzugänglich verschrieener Autor wie Bateson hier zu signifikantem Verständnis- und auch Handlungsgewinnen verhilft. 

Lina Nagel (2021): Kybernetik, Kommunikation und Konflikt: Gregory Bateson und (s)eine kybernetische Konflikttheorie. Heidelberg (Carl-Auer)

130 S., kartoniert
ISBN 978-3-8497-9042-4
Preis: 19,95 €

Verlagsinformation:

Gregory Bateson ist eine der bedeutendsten Gründungspersonen der Systemtheorie und Kybernetik und gilt als Vordenker der systemischen Therapie und Beratung. Seine Arbeiten werden jedoch selten aus der Perspektive konflikttheoretischer Fragen betrachtet. Das vorliegende Buch realisiert genau dies: Es geht der Frage nach, welche Aspekte sich aus Batesons kybernetischen Ansätzen für eine systemische Konflikttheorie ableiten lassen. Dabei zeigt sich das große Potenzial seines Denkens. Zudem werden vielfältige Möglichkeiten für Reflexion und Konfliktbearbeitung in unterschiedlichen Praxisfeldern aufgezeigt.

Über die Autorin:

Lina Nagel, M.A., ist Kommunikations- und Organisationswissenschaftlerin. Studium der Medien- und Erziehungswissenschaft sowie Ethik und Organisation, Auslandsstudium an der National Taiwan University (Taipei/ Taiwan), Konflikttrainerin an Schulen und in der Erwachsenenbildung, international zertifizierte Mediatorin (DACH), Co-Counselling Trainerin in Ausbildung (Haus Kloppenburg, Münster), wissenschaftliche Mitarbeiterin und Promovendin am Stiftungslehrstuhl für Organisation und Entwicklung von Unternehmerfamilien, Wittener Institut für Familienunternehmen (WIFU), Department für Management und Unternehmertum (MUT), Fakultät für Wirtschaft und Gesellschaft, Universität Witten/Herdecke.

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Ein Kommentar

  1. Andrea Christoph-Gaugusch sagt:

    Die Unterscheidung zw. Landkarten und Landschaften ist per se zu rekonstruieren – sodann werden sie zu ganz anderen Erkenntnissen gelangen.
    Ich halte diese Rezension für inhaltsleer. Können Sie noch weniger mit noch mehr Wörtern ausdrücken?

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