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Körper, Seele, Mensch – Versuch über die Kunst des Heilens

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Schon 2008, nämlich in Heft 1 dieses Jahrgangs der Zeitschrift systeme, hat Wolfgang Loth das 2006 erschienene Buch von Bernd Hontschik „Körper, Seele, Mensch – Versuch über die Kunst des Heilens“ besprochen. Es ist nach wie vor aktuell und schließt vielleicht ein wenig an die Diskussion zum Beitrag von Jürgen Hargens an, der am 21.3. im systemagazin erschien.

Wolfgang Loth, Bergisch Gladbach:

Bernd Hontschik hat mit diesem Büchlein den ersten Band einer neuen Serie „medizinHuman“ vorgelegt. Dass das Zusammenwirken seelischer und somatischer Prozesse ein Kernstück jeglicher Versuche darstellt, Heilen zu ermöglichen, ist kein neues Thema, und ist erst recht kein Thema mit Neuigkeitswert für unsere Profession. Und doch möchte ich dieses Buch als ein besonderes vorstellen. Der Autor ist Chirurg, also im üblichen Blick von außen ein medizinischer Handwerker, da dürfte doch das Wirken „trivialer Maschinen“ kein Problem sein, sollte man denken. Dass es das in erheblichem Maße dennoch ist, das verdeutlicht Hontschik in diesem schmalen, doch ungemein inhaltsreichen Bändchen immer wieder. An Beispielen aus seiner Praxis zeigt er, was den Unterschied ausmacht zwischen dem schulmedizinisch geregelten Behandeln einer Verletzung lege artis (etwa bei lebensrettenden Maßnahmen am Unfallort) und dem anschließenden Heilen, dem Wiederherstellen einer Passung zwischen Wundgewebe und Körperprozessen, zwischen Mensch und Umwelt.

Dem Autor gelingt es, seine Überlegungen in verständlicher Sprache zu entwickeln, er wird durchgängig als Person erkennbar, er ermöglicht das Nachvollziehen seiner eigenen Denkentwicklungen und macht so transparent, wie er zu diesen und keinen anderen Ergebnissen kommt. Er tut es auf eine sowohl durchdachte, mit Überlegungen zur praktischen, gesellschaftlichen und verwaltungstechnischen Lage der Medizin durchsetzte Weise, wie auch – und das hat mich am meisten beeindruckt – auf eine empathische, in der Selbstkritik nie kokette, in der Kritik nie das Ziel aus den Augen verlierende Weise. Wie im vorliegenden Buch Reflexionsprozesse über die eigenen Arbeit dargestellt werden, über das Verhältnis der eigenen Arbeit zum Erleben der PatientInnen, und welche Konsequenzen dies zeitigt auf dem Weg zur Heilung oder zur ausbleibenden Heilung, das hat mich sehr beeindruckt. Ich denke, dass eine solche Art der Diskussion und Reflexion unserer Arbeit bislang nicht selbstverständlich ist. Und es scheint mir bemerkenswert, wie der Autor vormacht, am eigenen Zweifel nicht zu verzweifeln, sondern die jeweiligen Erfahrungen und Erkenntnisse zu nutzen für das Weiterentwickeln der Idee einer Integrierten Medizin. Und auch hier war ich erstaunt, im Rahmen meiner Beschäftigung mit diesem Buch auf einen von Hontschik gemeinsam mit Thure von Uexküll herausgegeben Reader zu stoßen, in dem aus verschiedenen Bereichen „Psychosomatik in der Chirurgie“ diskutiert wird [1]. Insbesondere der zentrale Bezug auf konstruktivistische Positionen in diesem Bereich hat mich überrascht, und mir scheint, dass hier Querverbindungen und Synergien möglich wären, die für unsere Profession m.E. passender sind als die Annäherung an ein organisiertes Gesundheitswesen, das „zur Zeit in rasantem Tempo zu einer großen Profitmaschine transformiert“ wird (S.130). Hontschik redet hier nicht um den heißen Brei herum: „Eine integrierte Medizin ist nicht geeignet, in einem profitorientierten, industrialisierten Gesundheitswesen betrieben zu werden“ (S.130). Dass eine solche Haltung Gegenwind erfahren dürfte inmitten der angedeuteten Dynamik, dürfte klar sein, es wird Kraft und langen Atem brauchen, dem Wirbel der Verteilungskämpfe standzuhalten. Umso mehr sähe ich hier die Chance zur Zusammenarbeit. Hontschik selbst scheint aus der Fülle seiner Praxiserfahrungen die nötige Kraft zu entwickeln. Seine Argumente ergeben sich aus der packenden Fülle seines Praxisalltags. Die „Wiederentdeckung eines jeden Falles in seiner einzigartigen Konstruktion des Lebens“ heißt es am Ende, „ist die unverzichtbare und zugleich die letztlich auch unzerstörbare Basis der Heilkunst“ (S.137). Möge es weitergehen!

(Erstveröffentlichung in systeme 1/2008, S.162-163)

[1] B. Hontschik, Th. v. Uexküll (1999) Psychosomatik in der Chirurgie. Integrierte Chirurgie – Theorie und Therapie. Stuttgart: Schattauer (= Schriftenreihe der Akademie für Integrierte Medizin)

 

 

zur Website von Bernd Hontschik

 

Bernd Hontschik (2006): Körper, Seele, Mensch – Versuch über die Kunst des Heilens (Band 1 der Reihe medizinHuman)

suhrkamp taschenbuch 3818
Taschenbuch, 144 Seiten
ISBN: 978-3-518-45818-1

Preis: 7,99 €

Verlagsinformation:

Wer über die Medizin im 21. Jahrhundert nachdenkt, hat ein großes Klagen im Ohr: Patienten fühlen sich unverstanden, Ärzte sehen sich von Zwängen umstellt, während Technologie und immer neue alternative Methoden Heilsversprechen machen. Doch wie werden wir wirklich gesünder? Bernd Hontschik, praktizierender Arzt, nimmt sich die Freiheit, über seine tägliche Arbeit – und über sie hinaus – nachzudenken, und plädiert für ein Umdenken in der Medizin. Im ersten Band der neuen Reihe medizinHuman geht es um die Irrwege der hochgerüsteten Medizin und die Wichtigkeit ärztlicher Kreativität. Warum heilen Wunden entgegen aller Logik nicht zu? Warum wirken Medikamente manchmal und manchmal nicht? Seine Antwort: Der Mensch ist weit mehr als eine »triviale Maschine«, und die Kunst des Heilens besteht darin, ihn auch so zu behandeln: als Einheit von Körper und Seele.

Über den Autor:

Bernd Hontschik, geboren 1952, ist Chirurg und Herausgeber der Reihe medizinHuman. Er hat zahlreiche Artikel in Büchern und Zeitschriften veröffentlicht.

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