Helmut de Waal, Lehrtherapeut an der Wiener Lehranstalt für Systemische Familientherapie, schreibt immer wieder schöne Texte über therapeutische Themen, die sich jenseits von Theoriendiskursen und methodischen Anwendungen bewegen, aber dennoch immer ins Zentrum dessen treffen, womit wir uns als Therapeuten und Berater täglich beschäftigen. Sein Beitrag aus dem Jahre 2004 erörtert die Frage nach dem Platz des Pathetischen in der Systemischen Therapie und sei zur Lektüre empfohlen. Einleitend heißt es:„Vom Pathetischen sprechen wir dann, wenn wir erfasst werden oder uns erfassen lassen von etwas, das unserer Empfindung nach größer ist als wir, es ist ein Zustand von Passivität, in den wir uns begeben, den wir riskieren und erleiden: Wir lassen uns ergreifen. Wobei das nicht negativ gemeint ist, alle Erfahrung von Hingabe, Begeisterung, Faszination usw. ist so geartet; überrascht sein, sich wundern ist eine pathetische Erfahrung, auch die Erkenntnis des Neuen, zumindest im Moment der Entdeckung, wenn die aktive Neugierde umschlägt in die passive Verwunderung. Das Gegenüber des Pathetischen ist das Skeptische. Es ist immer mehrdeutig oder führt die Mehrdeutigkeit in den Diskurs zwischen Menschen ein das Pathetische hingegen behauptet Eindeutigkeit und, zumindest meistens (ich erlebe es so), Gültigkeit. Das Pathetische findet immer in der Gegenwart statt, ja schafft Gegenwart. Es entbehrt im Unterschied zum Skeptischen (das nur aus der Distanz heraus möglich ist) der Distanz. In der modischen Terminologie von gestern: Das Pathetische ist das Hier und Jetzt per se. Nachdem das Pathetische subjektiv assoziiert erlebt wird dem eigenen Gefühl nach tatsächlich erlitten kann auch leicht die Verantwortung dafür abgegeben werden etwas Höheres hat uns erfasst. Für den Psychotherapeuten eine problematische Geschichte, trotzdem manchmal unvermeidlich, an sich auch nützlich. Unter dem Motto man kann zumindest darüber reden soll hier reflektiert und auch nach plausibler, verantwortungsvoller und nachvollziehbarer Anwendung gesucht werden.
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GROSSE WORTE UND GESTEN. Gedanken zum Pathetischen in der Psychotherapie
23. April 2012 | Keine Kommentare