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Online-Journal für systemische Entwicklungen

Familiendynamik 1976

Heft 1

Stierlin, Helm & Josef Duss-von Werdt (1976): Einführung der Herausgeber. In: Familiendynamik, 1 (1), S. 1-4. 

Abstract: Mit dem Beginn dieser neuen Zeitschrift „Familiendynamik“ bringen wir unsere Überzeugung zum Ausdruck, daß die Zeit dafür reif ist. Denn auch im deutschen Sprachraum wuchs das Interesse an Familienfragen in den letzten Jahrzehnten und besonders in jüngster Zeit ständig. Das zeigt sich in verschiedener Weise: Gesellschaftskritiker lehnen in Ehe und Familie Institutionen der jetzigen Gesellschaft ab. Andere machen sich Sorgen um sie und damit um die Zukunft dieser Gesellschaft. Leistungen und Defizite der Familie als primärer Sozialisations­agentur wurden Forschungsobjekte. Familienpädagogik und Eltern­ bildung werden mehr und mehr theoretisch und praktisch gefördert. Fast überall sind Revisionen des Ehe- und Familienrechts im Gang oder schon abgeschlossen. Es werden Alternativen zu den traditionel­len Formen des Zusammenlebens von Geschlechtern und Generationen erprobt. Zugleich nimmt Familien- und Paartherapie einen großen Aufschwung, womit sich die Aufgabe stellt, neue Institutionen und Modelle der Ausbildung zu schaffen und zu reflektieren.

Richter, Horst Eberhard (1976): Die Rolle des Familienlebens in der kindlichen Entwicklung. In: Familiendynamik, 1 (1), S. 5–24. 

Abstract: Die Familie gilt allgemein als wichtig für die kindliche Entwicklung. Daß aber das Kind für die Entwicklung der Familie selber von Bedeutung ist, steht im Widerspruch zur bisherigen psychoanalytischen Theorie, Praxis und Pädagogik. Allerdings beschäftigt sich die psycho­analytisch orientierte Familienforschung jetzt zunehmend mit den Wech­selbeziehungen zwischen Eltern und Kindern. Sie versteht dabei die Familie als eine Gruppe, in der ein Austausch unbewußter Phantasien und Wünsche stattfindet, oder wo die einzelnen Mitglieder einander als In­strumente zur Minderung eigener Konfliktspannungen und zur Erfüllung eigener Erwartungen benützen können. So werden etwa von den Eltern den Kindern unbewußt bestimmte Rollen zugeschrieben. Im Anschluß an Freuds Grundtypen der Objektwahl werden solche typischen Rollen­muster dargestellt. Die Familie übergreift jedoch als Ganzes die Rollen und bildet ein System. Eine grobe Einteilung solcher Systeme ergibt auf Grund klinischer Beobachtungen zwei Typen: Familien mit innerer Aufspaltung in zwei gegensätzliche Subsysteme (z.B. ein gesundes und ein krankes) und durch ein krankhaftes Leitmotiv homogen organisierte Familien (Schizophrener, oder paranoide, angstneurotische Familien). Schließlich wird dargelegt, daß jede, auch die kranke, Familie immer im Zusammenhang übergreifender gesellschaftlicher Bedingungen gesehen werden muß und ihr sozialer Status sich auf die psychische Entwicklung des Kindes auswirkt. Dies wird an Familien aus der Unterschicht und der Unterstschicht (very low — lower class) illustriert. Zum Schluß wer­den Konsequenzen für den Psychoanalytiker angedeutet, die sich aus dieser sozialen Verflechtung des Familiensystems ergeben.

Wynne, Lyman C. (1976): Über Qual und schöpferische Leidenschaft im Banne des »double bind« – eine Neuformulierung. In: Familiendynamik, 1 (1), S. 24–35. 

Abstract: Die ursprüngliche Theorie des double-bind, wie sie von Bateson und Mitarbeitern formuliert wurde, ist unvollständig und un­befriedigend. Double-binds (Beziehungsfallen) lassen sich immer dann erwarten, wenn sich menschliche Individuen und ihre Beziehungen ändern. Entscheidend ist dann, wie wir mit diesen unvermeidlichen double-binds umgehen — ob wir sie uns einengen und verwirren lassen, oder ob wir uns auf einen schöpferischen Kampf mit ihnen einlassen. Diese Arbeit untersucht einige der Bedingungen und Aspekte eines solchen kreativen Kampfes.

Stierlin, Helm (1976): «Rolle« und »Auftrag« in der Familientheorie und -therapie. In: Familiendynamik, 1 (1), S. 36–59. 

Abstract: Das Konzept der Rolle verbindet die Sozialtheorie mit der psychiatrischen Praxis. Vor allem in der Familie stellen sich die theoretischen und klinischen Belange, die durch dieses Konzept erfaßt werden, dar. Der Aufsatz beschreibt und illustriert zunächst dieses familien­bezogene Rollenkonzept und bestimmt seine Beziehung zum Begriff der Sozialisierung. Danach hebt er den bekannten Rollen und Sozialisations­begriff ab von dem der Mission (bzw. Beauftragung) und der damit verbundenen Delegation. Schließlich entwickelt er die unterschiedlichen theoretischen und therapeutischen Perspektiven, die sich aus den beiden begrifflichen Ansätzen ergeben. Vor allem bringt der Begriff der Beauf­tragung im Gegensatz zu dem der Rolle die Dynamik der Loyalitäts­bindung, sowie der Ausbeutung und Gegenausbeutung ins Blickfeld.

Duss-von Werdt, Josef (1976): Konfliktbewußtsein junger Elternpaare. In: Familiendynamik, 1 (1), S. 59–72. 

Abstract: Therapeutische Erfahrungen mit Paaren zeigen, daß sich bestimmte Konflikte immer wieder häufen. Das regte dazu an, im Rahmen einer größeren Untersuchung junger Kernfamilien in der Stadt Zürich der Frage nachzugehen, ob sich diese Erfahrungen auch bei Paaren bestätigen, die nicht ins Sprechzimmer des Beraters oder Arztes kommen. Besondere Aufmerksamkeit wurde dabei der paarinternen Kommunikation gewidmet. Die untersuchte Stichprobe umfaßt 222 Paare. Die Ergebnisse bestätigen die therapeutischen Befunde, daß die Kommunikation weitherum zu wünschen übrig läßt. Gemessen wird dies am Fehlen eines gemeinsamen Konfliktbewußtseins und an der Art und Weise, wie mit den Konflikten jeweils umgegangen wird. Daraus ergeben sich Überlegungen zur Sozialisationswirkung des Elternpaares für die Kinder und zur Prävention.

Ockel, Helmut H. (1976): Bericht über das 4. Internationale Symposion über Familientherapie vom 30. 9. bis 3.10.1975 in Zürich. In: Familiendynamik, 1 (1), S. 73-76. 

Abstract: Das vom Institut für Ehe- und Familienwissenschaft in Zürich vom 30.9. bis 3.10.1975 veranstaltete 4. Internationale Symposion war der Familientherapie gewidmet. Die ca. 400 im wesentlichen europäischen, zum kleinen Teil nordamerikanischen Teilnehmer kamen vor allem aus den Berufsbereichen der Psychologie, Psychotherapie, Psychiatrie und der Sozialarbeit. Die Veranstalter hatten dafür gesorgt, daß durch die fünf Hauptreferenten und die Arbeitsgruppenleiter verschiedene familientherapeutische Richtungen vertreten wurden. Die Referate gaben einen guten Überblick, waren sehr informativ und fanden lebhaften Beifall. Die ausgezeichnete Organisation sorgte für einen reibungslosen Ablauf in dem Wechsel von Plenar- und Arbeitsgruppensitzungen. J. Duss-von Werdt betonte in seiner Eröffnungsansprache die zuneh­mende Bedeutung der Familientherapie in den verschiedensten Bereichen, vor allem auch im Sinne der Prophylaxe und hob als besonderes Merk­mal die Betrachtung der Familie als Behandlungseinheit hervor. Am Vorabend des Symposions hielt Paul Watzlawick einen öffent­lichen Vortrag zum Thema „Wandel des Krankheitsbegriffs am Beispiel der Familientherapie“. Er gab damit eine Einstimmung zu den folgenden drei Tagen. Er zog eine weite Linie vom traditionellen, zwangsläufig dem Zeitgeist verhafteten psychiatrischen Krankheitsbegriff bis zu einem neuen möglichen Modell, das auf den Kommunikations­ theorien fußt. Dies ist vor allem gekennzeichnet durch die zirkuläre gegenüber der linearen Kausalableitung und der Erkenntnis, daß be­stimmte Qualitäten einer Wechselbeziehung nicht auf seine Einzel­bestandteile rückführbar sind.

Stierlin, Helm (1976): Rezension – Theodore Lidz (1973): The Origin and Treatment of Schizophrenie Disorders. New York (Basic Books). In: Familiendynamik, 1 (1), S. 77-79. 

Stierlin, Helm (1976): Rezension – Jürg Willi (194): Der gemeinsame Rorschach-Versuch. Diagnostik von Paar- und Gruppenbeziehungen. Bern/Stuttgart/Wien (Huber). In: Familiendynamik, 1 (1), S. 79-81. 

Hanhart, D. (1976): Rezension – Thomas Held & René Levy: Die Stellung der Frau in Familie und Gesellschaft. Eine soziologische Analyse am Beispiel der Schweiz. Reihe „Soziologie in der Schweiz“, Bd 1. Frauenfeld (Huber). In: Familiendynamik, 1 (1), S. 81-82. 

Rust, Th. (1976): Rezension – IPPF (Hg.) (1972): Psychosocial Aspects of Planned Parenthood. Regional Council Seminar 1972. London (International Planned Parenthood Federation, Europe Region). In: Familiendynamik, 1 (1), S. 82-83. 


Heft 2

Lidz, Theodore (1976): Skizze einer Theorie der schizophrenen Störungen. In: Familiendynamik, 1 (2), S. 90–112. 

Abstract: Es wird versucht, Kohärenz in die grundlegende Phänomeno­logie des Syndroms zu bringen und seine Ursprünge aus den Ergebnissen der Familienforschung über Entwicklungsbedingungen und -Schwierigkeiten von Patienten zu erklären. Die Theorie konzentriert sich auf die Anfälligkeit des Adoleszenten für Desorganisation und Regression an und für sich, weil die Adoleszenz jener Entwicklungsabschnitt ist, in dem sich die Integration der Persönlichkeit festigen muß, und weil die kognitive Egozentrizität, die mit dem Einsetzen des begrifflichen Denkens ihren Anfang nimmt, dem Adoleszenten den Weg dazu öffnet, der Realität zu entfliehen und sich auf Phantasielösungen zu stützen. Auch hält die Theorie fest, wie Menschen, die schizophren werden, deshalb besonders anfällig sind, weil das Familienmilieu ihrer Kindheit und Jugend versagt hat, sie mit den Mitteln für eine integrierte Entwicklung auszustatten, im besonderen, weil elterliche Egozentrizität die Grenz­bildung zwischen Eltern und Kind behindert und die innerfamiliäre Kommunikation gestört hat. Unfähig, die eigenen Entwicklungsaufgaben der Adoleszenz zu meistern, und in Ermangelung innerer Struktur, fällt der schizophrene Patient zurück in frühere egozentrische Denktypen der „Übereinschließlichkeit“, regrediert emotionell und zieht sich in sich zurück.

Stierlin, Helm (1976): Einzel- versus Familientherapie schizophrener Patienten: ein Ausblick. In: Familiendynamik, 1 (2), S. 112–123. 

Abstract: Angesichts der Entwicklung der Familientheorie und -therapie der letzten Jahrzehnte stellt sich uns heute die Aufgabe, die mög­liche Rolle des einzelbehandelten schizophrenen Patienten bei der Befreiung und Individuation seiner anderen Familienmitglieder zu untersuchen. Eine solche Untersuchung bedarf Konzepte, die uns die wesentliche, obzwar häufig verdeckte, Familiendynamik schizophrener Patien­ten erfassen lassen. In der folgenden Arbeit verwendet der Autor sein Konzept der Interaktionsmodi der Bindung, Delegation und Ausstoßung, um die obige Untersuchung voranzutreiben. Gleichzeitig eröffnet er eine Perspektive, die zu fragen erlaubt, wann jeweils die Einzelthe­rapie eines designierten Patienten oder die in gemeinsamen Sitzungen durchgeführte Familientherapie aussichtsreiche Strategien darstellen, um sowohl dem Patienten als auch seiner Familie zu helfen.

Selvini Palazzoli, Mara, Luigi Boscolo, Gianfranco Cecchin & Giuliana Prata (1976): Psychotherapie bei Familien mit schizophrener Transaktion. Die Therapeuten ziehen sich aus der „Parentifizierung“ zurück und verschreiben diese paradox den Angehörigen der jüngsten Generation. In: Familiendynamik, 1 (2), S. 124–133. 

Abstract: Die Verwischung oder gar Aufhebung der Schranken zwischen den Generationen und die darauf zurückzuführende Vertauschung und Verwirrung der Rollen der Angehörigen verschiedener Generationen ist von Familienforschern und Familientherapeuten zu Recht sehr beachtet worden. Die — vorwiegend ausländische — Literatur zu diesem Thema ist so reichhaltig, daß wir im Rahmen dieses Artikels nicht einmal einen zusammenfassenden Über­blick vermitteln können. Wir wollen eine spezifische Art therapeutischer Intervention darstellen, die unser Team entworfen und wiederholt praktiziert hat: die paradoxe Verschreibung der „Parentifizierung“, und zwar dem oder den Angehörigen der jüngsten Generation. Dies geschieht zu einem bestimmten, wohl geplanten Zeitpunkt im Verlauf einer Familientherapie und fällt mit dem Rück­zug der Therapeuten aus der Elternrolle, die ihnen vom System übertragen wurde, zusammen.

Kaufmann, Luc (1976): Langzeit-Therapie mit einer psychotischen Familie. Ein kasuistischer Beitrag. In: Familiendynamik, 1 (2), S. 134–152. 

Abstract: Es wird über die Entwicklung einer Familie mit mehreren psychotischen Angehörigen und über den Verlauf eines Familienthera­pieversuchs mit insgesamt 144 Sitzungen von 1967—1971/1974—1975 berichtet, die kombiniert wurde mit einer individuellen Psychotherapie der jugendlichen Primärpatientin (Diagnose Hebephrenie, evtl. Schizophasie). In der Schilderung der Auseinandersetzung zwischen den Thera­peuten und der Kemfamilie, die die beiden Eltern, einen 20jährigen Sohn und eine 17jährige Tochter umfaßt, liegt das Hauptgewicht auf der Darstellung der Abwehrformen des Familiensystems, das sich u. a. in Form explosionsartiger geographischer Trennungen gegen den Eingriff wehrt. Echtes Wachstum im Sinne größerer Selbstdifferenzierung und der Fähigkeit, Zusammensein und Trennung, Nähe und Distanz regulie­ren zu können, erfolgt bei den einzelnen Angehörigen nur sehr langsam und auch in sehr unterschiedlichem Maß. Die Behandlungstechnik und die zahlreichen theoretischen Aspekte werden nicht besprochen, sondern nur gelegentlich berührt.

Boszormenyi-Nagy, Ivan (1976): Loyalität und Übertragung. In: Familiendynamik, 1 (2), S. 153–171. 

Abstract: In dieser Arbeit geht es um die Frage, ob der theoretische Rahmen der Psychodynamik erweitert und in eine Familientheorie integriert werden kann oder ob die beiden Systeme sich ausschließen. Es wird davon ausgegangen, daß in einer Familientherapie der Therapeut allen Familienmitgliedern als seinen Patienten verpflichtet ist und daß dabei die technische Anordnung und strategische Vorbereitung der Therapiesitzungen nicht das Wichtigste sind. Weiter geht es um die Frage, wie man bei Mehrpersonensystemen die entscheidenden Motivationsebenen begrifflich fassen kann. Ich glaube, daß hier die Hierarchie der Verpflichtungen und Loyalitäten in der Familie wesentlich ist. Die ethischen Verstrickungen unseres Lebens stellen dabei eine Schlüsseldynamik dar. Weiter gehe ich davon aus, daß Loyalität und unbewußt eingegangene kollusive und reziproke Verpflichtungen (z. B. die Rolle des Kranken zu behalten) eine Systemebene darstellen, die Pathologie und Widerstand gegen Veränderung mitbestimmt. Dabei finden wir folgendes Paradox: Einmal bilden die Übertragung und die auf den Therapeuten übertragene „Elternbeziehung“ (parentification) „technisch“ gesehen Voraussetzungen für den Erfolg der Therapie. Andererseits können gerade diese Übertragungsprozesse den Therapieerfolg gefährden, indem der Patient implizit zum Loyalitätsverrat seiner eigenen Ursprungsfamilie gegenüber veranlaßt wird.

Schatzman, Morton (1976): Rezension – William G. Niederland (1974): The Schreber Case. New York (Quadrangle/The New York Times Book Co.). In: Familiendynamik, 1 (2), S. 172-176. 

Willi, Jürg (1976): Rezension – Helm Stierlin (1975): Eltern und Kinder im Prozeß der Ablösung. Familienprobleme in der Pubertät. Frankfurt a.M. (Suhrkamp). In: Familiendynamik, 1 (2), S. 176-178. 


Heft 3

Duss-von Werdt, Josef, Helm Stierlin & Rosmarie Welter-Enderlin (1976): Lernen und Lehren von Familientherapie. Grundsätzliche Überlegungen. In: Familiendynamik, 1 (3), S. 186–208. 

Abstract: Es gibt kein einheitliches Konzept für Familientherapie. Die bereits bekannten Konzepte haben sehr verschiedene Ursprünge. Das wirft für die Ausbildung grundsätzliche Probleme auf. Nach welchen Konzepten soll sie sich in Zielen und Methoden orientieren? Die Ver­fasser berücksichtigen vor allem zwei theoretische und praktische Modelle der Therapie: das strukturalistische und das Modell der Konfliktverarbeitung bzw. der Versöhnung. Sie sind der Ansicht, daß beide in die Ausbildung integriert werden können. Die Ausbildung hat drei thematische Schwerpunkte: Der erste ist der Therapeut selber. Was muß er sein hinsichtlich Vorbildung und per­sönlicher Eignung? Als wesentlich angesehen werden die Fähigkeiten, Empathie für mehrere Personen zu entwickeln, sowie an den persönlichen früheren und jetzigen Familienbeziehungen zu arbeiten. Dann geht es um das Können, bzw. um Methoden und Techniken. Damit hängen der Praxisbezug und die Formen der Ausbildung zusammen. Drittens beinhaltet jede Ausbildung auch ein spezifisches Wissen, das zu den zwei ersten Schwerpunkten in unmittelbarem Bezug steht. Welche Berufe sollen eine Ausbildung in Familientherapie erhalten? Sicher alle jene, welche in therapeutischer Beziehung stehen zu Paaren, Familien, aber auch zu Einzelnen, da diese ja immer irgendwie auch Familie hatten oder haben. Davon zu unterscheiden sind nicht-therapeutische Berufe, die für Familienperspektive und -dynamik zu sensibi­lisieren sind, weil auch sie mit Familien oder ihren Einzelmitgliedern zu tun haben (Lehrer, Juristen, Richter, Pfarrer usw.).

Krähenbühl, Verena (1976): Familienbehandlung lehren und lernen – ein Modell der Erwachsenenbildung. Am Beispiel eines Kurses für Sozialarbeiter. In: Familiendynamik, 1 (3), S. 208–220. 

Abstract: Die Verfasserin beschreibt das Curriculum einer Fortbildung in Familienbehandlung, das vom Lernenden und seinem Lern­prozeß ausgeht und zum Ziel hat, autonomes, selbstgesteuertes Lernen zu fördern. Anhand eines konkreten Modells, das nach dem Baukasten­prinzip aufgebaut ist, werden Formen der Lernzielbestimmung und -evaluation diskutiert. Die drei Phasen des Lernprozesses — Problem­stellung, theoretische Auseinandersetzung, Aktion im Experiment — werden dargestellt, und es wird gezeigt, wie sich der erwachsene Ler­nende aktiv am Lernen beteiligen kann.

Wix, Wolfgang (1976): Berufsbegleitender Kurs für Psychiater, Sozialarbeiter und Psychologen. In: Familiendynamik, 1 (3), S. 221–230. 

Abstract: Dieser Beitrag beschreibt die berufsbegleitende Ausbildung in Ehe- und Familientherapie, wie sie am Institut für Ehe und Familie in Zürich für Psychiater, Sozialarbeiter und Psychologen durchgeführt wird. Dabei handelt es sich um den Versuch, kommunikations-, system- und verhaltenstherapeutische mit psychoanalytischen Ansätzen zu verbinden. Als Lehrplanform wird das halboffene Curriculum gewählt, das für Veränderungen, die sich aus dem Lernprozeß aller Beteiligten er­geben, offen ist.

Rücker-Embden, Ingeborg & Josef Duss-von Werdt (1976): Ausbildungsstätten in Europa und USA. In: Familiendynamik, 1 (3), S. 231–237. 

Abstract: Hier werden Institute und Institutionen in Europa und den USA aufgezählt, welche für verschiedene Berufe eine Ausbildung in Familientherapie anbieten. Sie werden kurz charakterisiert hinsichtlich theoretischem Konzept, Methoden, Zielgruppe. Dieser Überblick ist unter folgenden Voraussetzungen zu lesen: Erstens ist er unvollständig. Zweitens beschränkt er sich auf Institutionen und Institute, die ausschließlich oder auch in Familientherapie ausbilden. Damit entfallen alle jene, die sich nur auf Paartherapie spezialisiert haben. Drittens wird die nähere Charakterisierung der ein­zelnen Ausbildungsstätten nur auf ganz wenige Elemente begrenzt.

Berman, Ellen M. & Harold I. Lief (1976): Ehetherapie in der amerikanischen Psychiatrie: ein Überblick. In: Familiendynamik, 1 (3), S. 238–266. 

Abstract: Die Autoren beschreiben verschiedene Methoden der Ehetherapie, wie sie heute zur Anwendung gelangen. Obwohl das Fehlen eines einheitlichen Begriffssystems für die Entwicklung auf diesem Gebiet bis anhin hemmend war, haben die wachsenden Erkenntnisse der Psychiatrie über die Einwirkungen der Umwelteinflüsse auf Gedanken, Gefühle und Verhaltensweisen einen therapeutischen Ansatz gefördert, bei welchem nicht nur die innerseelischen Konflikte einer Person, sondern auch aktuelle Phänomene aus der Umwelt, der Familie und der Partnerschaft miteinbezogen werden. Die Autoren diskutieren drei Aspekte der ehelichen Psychodynamik — Macht, Intimität und die Abgrenzung in der Ehe — und setzen diese drei in Beziehung zum ehelichen Lebenszy­klus und zu vier Klassifizierungen der Ehebeziehung: 1. Regeln zur Definition von Macht, 2. Situation bezügl. Elternschaft, 3. Grad der Intimität, und 4. persönliche Eigenart und psychiatrische Terminologie. Dann folgt eine kurze Diskussion über Therapietechniken, Sexualbera­tung, den Einsatz von Co-Therapeuten, die Zukunft der Ehe und alternative Lebensstile.

Adelson, Joseph (1976): Rezension – Midge Decter (1975): Liberal Parents, Radical Children. New York (Coward, McCann & Geoghegan). In: Familiendynamik, 1 (3), S. 266-270. 


Heft 4

Stierlin, Helm (1976): Psychosomatische Erkrankungen als Störungen der Differenzierung – Integration: Ein Ausblick auf die »Familienpsychosomatik«. In: Familiendynamik, 1 (4), S. 272–293. 

Abstract: Psychosomatische Erkrankungen zeigen das Scheitern einer Leistung der Differenzierung-Integration an, die dem Menschen auf verschiedensten Ebenen abverlangt wird. Die drei Hauptgesichtspunkte der Individuation (bzw. Selbst-Objektdifferenzierung und -Integration), der Interaktionsmodi (Bindung und Ausstoßung), sowie der Delegation liefern einen Bezugsrahmen, in dem sich die Bezie­hungsdynamik einer weiten Spielbreite von psychosomatischen Störungen differenzierend erfassen läßt. Gleichzeitig zeigen sie therapeu­tische Ansätze und Probleme auf.

Grossarth-Maticek, Ronald (1976): Krebserkrankung und Familie. Einige Untersuchungsergebnisse und theoretische Aspekte. In: Familiendynamik, 1 (4), S. 294–318. 

Abstract: Um die Bedeutung psychosozialer Faktoren bei der Krebsgenese zu klären, wurden im Laufe von mehr als 12 Jahren bisher 1890 Personen, davon 522 Krebspatienten (mit meist Bronchial-, Magen- und Rektumcarcinom) in sechs wiederholten Untersuchungen mit über 1300 Ja-Nein-Fragen erfaßt. Die bei dieser Untersuchung wichtigsten Daten und Hypothesen betreffen drei Bereiche: das exponierende Verhalten, die Verwundbarkeit durch bestimmte Arten von psychosozialem Streß und die Familienbeziehungen Krebskranker. In all diesen Be­reichen unterscheiden sich Krebskranke hochsignifikant von der Kontrollgruppe der Gesunden, der Herz- und Kreislaufpatienten sowie der Probanden mit ausgeprägten neurotischen Merkmalen. Carcinomkranke hatten ihren eigenen und den (mündlichen wie schriftlichen) Angaben der nächsten Angehörigen zufolge überwiegend lieblose, kalte, abweisende Eltern, die von den Patienten hohe Leistungen und Normenkonformität erwarteten, dabei aber von diesen Patienten selbst idealisiert wurden.

Willi, Jürg (1976): Die psychosomatische Kollusion am Beispiel einer herzneurotischen Ehe. In: Familiendynamik, 1 (4), S. 319–333. 

Abstract: Dieser kasuistische Beitrag möchte die früher dargestellten Ausführungen (,Die Zweierbeziehung’, Rowohlt 1975) über psychosomatische Paar-Erkrankungen illustrieren. Das besprochene Paar zeigt, wie beide Partner unausgesprochen übereingekommen sind, ihre Konflikte nicht mehr auf verbaler Ebene auszutragen. Sie suchen Lösun­gen zunächst im Einbezug von Drittpersonen, in sexuellen Machtproben und schließlich in der Somatisierung. Ferner soll an diesem Bei­spiel dargelegt werden, wie sehr Therapeuten dazu neigen, sich vom hilfesuchenden Verhalten des identifizierten Patienten angesprochen zu fühlen, während sie auf das hilfeabweisende, überkompensatorische Verhalten des Partners mit Kränkung und Selbstbehauptungsversuchen reagieren. Dadurch wird der Partner in „progressiver Position“ von einer Therapie vollends abgeschreckt und die Chance, den Ehekonflikt auf verbaler Ebene zu behandeln, wird reduziert.

Rosman, Bernice L., Salvador Minuchin & Ronald Liebman (1976): Der »Familienlunch«. Eine Möglichkeit zur Einleitung einer Familientherapie bei Magersucht. In: Familiendynamik, 1 (4), S. 334–347. 

Abstract: Familien-Lunch-Sitzungen haben sich als eine sehr brauchbare diagnostische und therapeutische Technik bei der Behandlung von Magersucht erwiesen. Im vorliegenden Artikel werden die Ziele dieser Sitzungen und die für die Umstrukturierung der familiären Be­ziehungen angewandten Strategien erläutert. Die Darstellungen wer­ den ergänzt durch Zahlenangaben, die die Veränderungen im Eßverhalten von acht identifizierten Patienten illustrieren.

Strotzka, Hans (1976): Rezension – Jürg Willi (1975): Die Zweierbeziehung. Spannungsursachen, Störungsmuster, Klä­rungsprozesse, Lösungsmodelle. Analyse des unbewußten Zusammenspieles in Partnerwahl und Partnerkonflikt: Das Kollusions-Konzept. Reinbek (Rowohlt). In: Familiendynamik, 1 (4), S. 347-349. 

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