systemagazin

Online-Journal für systemische Entwicklungen

10. April 2011
von Tom Levold
Keine Kommentare

„Geisteskrankheit“ als hartnäckige Aushandlungsniederlage. Die Unausweichlichkeit der Durchsetzung von Definitionen sozialer Realität

Michael Dellwing, Soziologe und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fachbereich Gesellschaftswissenschaften der Universität Kassel, hat 2008 in der Zeitschrift„Soziale Probleme” einen bemerkenswerten Aufsatz über die soziologische Betrachtung des Krankheitsbegriffes veröffentlicht, der den Aspekt der Definition von Krankheit als Zuschreibung von Realität aus der Soziologie der 60er Jahre wieder aufnimmmt, ohne sie aber als reines Herrschafts- oder Unterwerfungsverhalten zu beschreiben:„Die Soziologie hat ‘Geisteskrankheit’ als Etikett, als Akt der Herrschaft und als Mythos bezeichnet. Der vorliegende Beitrag argumentiert, dass all diese Beschreibungen wichtige Einsichten enthalten, ihre teils alarmistischen Schlussfolgerungen jedoch verfrüht waren. Das Vokabular der ‘Geisteskrankheit’ stellt eine Strategie der Verteidigung sozialer Realitäten dar, die, wie Goffman formulierte, erfunden werden müsste, gäbe es sie nicht. Soziale Realität muss immer erst definiert werden. Medizinisch als ‘psychisch gestört’ beschriebene Personen könnten so soziologisch als jene gefasst werden, die drei Sprachspiele der Definition sozialer Realität verlieren, ohne aber, dass ihnen zugeschrieben wird, diese Spiele aufgegeben zu haben“
Zum vollständigen Text…

9. April 2011
von Tom Levold
Keine Kommentare

Luhmann: Zum wissenschaftstheoretischen Verständnis des Funktionalismus und anderes

Das aktuelle Heft von„Soziale Systeme” (man darf sich nicht von der Signatur Heft 1/2010 irritieren lassen) bringt einen bislang unveröffentlichten Aufsatz von Niklas Luhmann aus dem Jahre 1974 mit dem Titel„’Nomologische Hypothesen’, funktionale Äquivalenz, Limitationalität: Zum wissenschaftstheoretischen Verständnis des Funktionalismus“. Darüberhinaus ist eine Arbeit von Mario Paul mit einer Synopse systemtheoretischer, hermeneutischer und dekonstruktivistischer Positionen zur interpretativen Sozialforschung zu lesen sowie Aufsätze zum Inkareich als Zentrum/Peripherie-Gesellschaft, über Mode, Bewusstsein und Kommunikation, über Street-Art und Castingshows. Eine Arbeit von Jakob Arnoldi über„Sense making as communication” ist auch online zu lesen.
Zu den vollständigen abstracts…

8. April 2011
von Tom Levold
Keine Kommentare

System meets U

Mit dem„Systemischen Labor” geht der Carl-Auer-Verlag und seine Carl-Auer-Akademie neue Wege. Geplant ist„eine Reihe von Veranstaltungsformaten an unterschiedlichen Orten, bei denen spannende Weiterentwicklungen aus dem systemischen Feld gesammelt und weitergetragen werden”, die mit einer Veranstaltung am 8. und 9. März in Berlin begann. Winfried Kretschmer, Chefredakteur und Geschäftsführer des online-Magazins changeX (Foto rechts: changeX), und Dominik Fehrmann, freier Mitarbeiter von changeX (Foto links: changeX), haben einen Bericht über die beiden Tage verfasst, der für systemagazin-Leser kostenlos gelesen werden kann:„Nicht grundlos heißt die Veranstaltung„Systemisches Labor“. Hier soll experimentiert, soll etwas gewagt werden. So will es die neu gegründete Carl-Auer Akademie, die mit dieser Veranstaltung ihren Betrieb aufnimmt. Und im 1. Systemischen Labor präsentiert sie gleich eine denkbar heikle Versuchsanordnung: Theorie U trifft auf Systemtheorie. Oder personal gesprochen: C. Otto Scharmer, Vater der Theorie U, trifft auf Fritz B. Simon und Rudolf Wimmer, leidenschaftliche Vertreter der neueren soziologischen Systemtheorie. Ein Experiment, das auf großes Interesse stößt. Das zeigt die hohe Zahl der Teilnehmer, allesamt Experten für Veränderungsprozesse – ob als Berater, Mediatoren oder Coachs. Die zweitägige Veranstaltung in Berlin ist restlos ausgebucht“
Zum vollständigen Text…

7. April 2011
von Tom Levold
Keine Kommentare

Fifty years of clinical psychology: Selling our soul to the devil

George Wilson Albee (1921–2006) war einer der großen Persönlichkeiten der klinischen Psychologie und spielte eine wichtige Rolle in der Entwicklung gemeindepsychologischer Ansätze. Seine kritische Haltung gegenüber der Übernahme des medizinischen Krankheitsmodell durch die Psychologie hat er an vielen Stellen zum Ausdruck gebracht, unter anderem in einem pointierten Artikel, der 1998 in„Applied & Preventive Psychology” erschienen ist:„An account of the post-World War II development of clinical psychology based on the personal experiences and observations of the author is presented. Acceptance of the medical-organic explanation of mental disorder and devotion to one-on-one psychotherapy paid for by health insurance has led clinical psychology to its present state of desperation, grasping at drug-prescription privileges as a way of surviving by further embracing the invalid medical would. Alternatively, only acceptance of the public health strategy of primary prevention, striving for social justice, and thorough grounding in social learning theory will guarantee survival of the field“ Der Artikel ist online zu lesen,
und zwar hier…

6. April 2011
von Tom Levold
Keine Kommentare

Die Steuerung des Unsteuerbaren

Im frisch erschienenen Sammelband„Schlüsselwerke des Konstruktivismus” (Verlag für Sozialwissenschaften, Herausgeber: Bernhard Pörksen) werden nicht nur 24 für ein Verständnis des Konstruktivismus bedeutsame Werke von Kants„Kritik der reinen Vernunft” bis hin zu Josef Mitterers„Das Jenseits der Philosophie” von prominenten Autoren vorgestellt, sondern auch die Rezeption und Nutzbarmachung in unterschiedlichen praktischen Anwendungsbereichen (Medien, Erziehung, Systemische Therapie, Soziale Arbeit, Organisationsberatung und Literaturwissenschaften) reflektiert. Rudolf Wimmer hat über den Konstruktivismus in der Organisationsberatung und im Management geschrieben, sein Beitrag ist auch auf der website von osb-i zu lesen.
Zum vollständigen Text…

4. April 2011
von Tom Levold
Keine Kommentare

Zitat des Tages: Kusanowsky

“Der Journalismus wie übrigens alle anderen Systeme auch, die dem Dispositiv der Massenmedien zugeordnet waren, zeichnete sich dadurch aus, dass eine zentrale Referenzstelle wie ein Verlag, eine Sendestation oder ein Autor mehr Aufmerksamkeit auf sich zog als diejenigen, die diese Aufmerksamkeit bereitstellten, was eine Hierarchiesierung der Informationselektion zur Folge hatte. Dieses Muster der zentralisierten Informationsselektion zeigte sich auf allen Organisationsebenen: Verlag – Redaktion, Chefredaktion – Ressorts, Redakteur – freier Journalist, Lektor – Autor, Autor – Leser. Dieses Muster findet man übrigens überall dort, wo die Anschlussfindung hauptsächlich über die Verbreitung von Dokumenten funktioniert, so etwa auch an Universitäten (Professor – Studierende), Parlamenten (Abgeordnete – Wähler) oder im Vereinswesen (Vorstand – Mitglieder). Bilden sich solche Muster heraus und geraten durch Organisation in Konkurrenz zu einander, stellt sich die Situation ein, dass ein Vorrecht zur Informationsselektion notwendig beibehalten werden muss, um daraus resultierende Strukturen der Kapitalakkumulation durchzuhalten: nur, wer zuerst informiert ist, kann Entscheidungen treffen und Entscheidungen stellen sicher, wer zuerst informiert wird. So hat verloren, wer zuletzt oder wenigstens schon nicht zuerst informiert ist. Daher kommt der Dauerverdacht der Manipulation durch Massenmedien, da stets alle beteiligten Kommunikationssysteme, da sie auf gegenseitiges Informiertwerden notwendig angewiesen sind, plausible Gründe dafür finden, dass sie entweder nicht, nicht vollständig, also einseitig, parteilich, subjektiv oder nicht rechtzeitig informiert wurden: Politiker verdächtigen Journalisten, diese verdächtigen Politiker, Leser und Zuschauer verdächtigen mal die einen, mal die anderen, während die einen und die anderen wahlweise ihre Wähler oder Leser und Zuschauer verdächtigen, von anderern falsch und unzureichend informiert worden zu sein. Zur Lösung daraus resultierender Verwirrungssituationen entstand ein Expertentum, das sowohl Glauben als auch Zweifel über die Berichterstattung ermöglichte, womit jedoch nur eine Dauerirritation sicher gestellt wurde. Denn das gegenseitige Verdächtigungsspiel mit damit ja nicht ausgehebelt, sondern nur professionalisiert“ (In: Experteneinstellung: benutzerdefiniert #twitteraffäre)

2. April 2011
von Tom Levold
Keine Kommentare

“Grenzen – Systeme – Kulturen”: Marokko 2011

“Eine systemische Fachtagung in Marokko? Als der Workshop-Kongress„Grenzen – Systeme – Kulturen” vor einem Jahr das erste Mal stattfand, reagierte ich skeptisch. Für eine Woche in die Wüste Marokkos zu fliegen, um dort auf Fachkolleginnen und -kollegen aus dem deutschsprachigen Raum zu treffen und Vorträge zu hören, die ich genauso in Mitteleuropa geboten bekäme, anstatt etwas vom Land mitzubekommen, erschien mir nicht ganz einleuchtend. Die durchweg positiven bis begeisterten Rückmeldungen einiger Teilnehmer danach ließen meine Vorbehalte jedoch bröckeln und machten mich neugierig. Das Programm von diesem Jahr gab schliesslich den Ausschlag, sodass ich mich im Januar kurzentschlossen für den 2. Workshop Kongress in Zagora/ Marokko vom 20.- 25.02.2011 mit dem Schwerpunktthema„Krisenintervention und Persönlichkeitsentwicklung” anmeldete“ So beginnt ein farbiger Tagungsbericht, den Elisabeth Schmidt, Psychologin beim Kinder- und Jugendpsychiatrischen Dienst Graubünden in Chur, für systemagazin erstellt hat, und der schon ein bisschen den Mund wässrig machen kann – auf die kommende Tagung in 2012.
Zum vollständigen Text…

1. April 2011
von Tom Levold
Keine Kommentare

Psychotherapie-roboter marktreif!

Nach den Erfolgen, die japanische Techniker bei der Entwicklung von Pflege-Robotern für die Betreuung von Demenzkranken verzeichnen konnten, wurden heute bekannt, dass in Osaka erstmals ein Psychotherapie-Roboter der Öffentlichkeit vorgestellt wurde, der noch im Sommer auf den Markt gebracht werden soll. Diese bahnbrechende Innovation macht den Erfindern zufolge den Einsatz von menschlichen Psychotherapeuten überflüssig und hebt damit die zahlreichen Nachteile bestehender Psychotherapie-Verfahren auf. Vor allem von Vertretern der evidenzbasierten Psychotherapie wurde die Neuentwicklung einhellig begrüßt.„Endlich haben wir eine verlässliche Alternative zu Verfahren, die aufgrund der Anwendung durch Menschen immer schon fehleranfällig waren”, heißt es in einer Verlautbarung der„Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN)“. Mit Hilfe der Psychotherapie-Roboter könne evidenzbasierte Therapie nun endlich manualgetreu durchgeführt werden, ohne dass persönliche Störvariablen den Therapieverlauf beeinträchtigen. Bislang funktionierte manualgesteuerte Psychotherapie nur mit Studenten, da ausgebildete Therapeuten meist dazu neigen, eigene Ansichten über Nutzen und Zweck therapeutischer Vorgehensweisen zu entwickeln. Psychotherapieforschung könne nun ein bislang ungeahntes Niveau erreichen, da nicht nur die Standardisierung von Interventionen, sondern erstmals auch Doppel-Blind-Versuche in der Psychotherapieforschung möglich wären. Zudem würden durch den Wegfall der Psychotherapieausbildung enorme gesellschaftliche Kosten eingespart. Die Roboter sollen ohne jede Selbsterfahrung über hervorragende Fähigkeiten zur Spannungsregulation und Affektabstimmung verfügen. Verschiedene Programme für Psychoanalyse, Verhaltenstherapie, Systemische Therapie und Gesprächstherapie sind frei einstellbar, darüber hinaus können Parameter wie Strukturierungsgrad, Abstinenz, Nähe-Distanz etc. vorgegeben werden. Ein WLAN-Modul ermöglicht die sofortige Übermittlung von Anträgen, Berichten und Gutachten an die entsprechenden Adressaten im Gesundheitswesen. Der Gemeinsame Bundesausschuss soll bereits überlegt haben, den Einsatz von Psychotherapie-Robotern in den deutschen Psychotherapie-Richtlinien zu verankern.