
Systemisches aus Forschung und Praxis: So lautet der Obertitel der beiden letzten Hefte der Zeitschrift für systemische Therapie und Beratung. Vor allem Heft 4/2024 war Arbeiten aus der Forschung gewidmet. Das aktuelle Heft 1/2025 eröffnet mit einem Beitrag über neue Möglichkeiten der systemischen Beratung, die sich aus der digitalen Transformation ergeben. Der Artikel erschien schon in Heft 4/2024, aber offensichtlich so gravierend fehlerhaft, dass er nun noch einmal in der korrigierten Fassung veröffentlicht wurde.
Darüber hinaus bringt Herausgeberin Cornelia Tsirigotis (mit einer Einordnung durch Tom Levold) noch einmal drei Briefe Gregory Batesons, mit denen er seinen Austritt aus dem Verwaltungsrat der Universität von Kalifornien begründete, weil dieser die Atomrüstungsforschung der Universität unterstützte, und die in der Zeitschrift schon einmal 1986 veröffentlicht wurde. Karim Fereidooni, Didaktik-Professor an der Ruhr-Universität Bochum gibt Handlungshinweise für Lehrpersonen für den Umgang mit dem Hamas-Terror und dem Gaza-Krieg. Sehr interessant ist ein Text von Anna Thiemann über die Geschichte von Psychiatrie und Psychotherapie in der DDR.
Erwähnenswert auch noch ein Diskussionsbeitrag einer Arbeitsgruppe um Johannes Herwig-Lempp über das seltsame Phänomen der Triggerwarnungen, die zunehmend auch an Hochschulen eingefordert werden. Er macht darauf aufmerksam, dass „im Kontext der Freiheit der Lehre § 4 HSG LSA – davon auszugehen [ist], dass Studierende mit einer Vielfalt an Lehrmethoden konfrontiert werden und je nach Seminarzielsetzung auch Themen angesprochen werden, die individuell unterschiedlich berühren können. Die Hochschule ist als öffentlicher Ort dabei explizit kein safe space im Sinne eines therapeutischen Schutzraumes“ (!) und führt hierzu ein Zitat von Sarah Elsuni an: „Wissenschaftliche Tätigkeit, hierunter fallen Forschung und Lehre, zeichnet sich zunächst einmal durch das Erfordernis aus, dem wissenschaftlichen Denken und Austausch keine Grenzen zu setzen. Hochschulen als Orte der Wissenschaft müssen immer Orte der offenen, kritischen und kontroversen Auseinandersetzung sein (können)“ (Elsuni, Sarah (2019), Content Warning. (Un) Zumutbares in Wissenschaft und Lehre. In: Eva Berendsen, Saba-Nur Cheema & Meron Mendel (Hg.), Trigger-Warnung. Identitätspolitik zwischen Abwehr, Abschottung und Allianzen, Berlin (Verbrecher Verlag), S. 129 –142). Das müsste in gleicher Weise auch für wissenschaftliche Fachverbände und ihre Publikationen gelten. Betrachtet man die DGSF-internen Auseinandersetzungen um die inhaltliche Unabhängigkeit des Kontext, sind aber Zweifel angebracht, geht es dabei offensichtlich nicht darum, offene, kritische und kontroverse Auseinandersetzungen zu führen, sondern um inhaltliche ideologische Kontrolle.
In Heft 4/2024 findet Cornelia als Herausgeberin der Schwesterzeitschrift des Kontext deutliche Worte, die ich hier gerne wiedergebe:
„Warum machen wir Fachzeitschriften und warum lesen wir sie? Der Titel dieses Heftes mag einen ersten Hinweis geben. Lesen, das erscheint klarer: es bildet, regt an, macht neugierig, lädt zu Fragen ein und gibt (vielleicht) Antworten. Zeitschriften machen, herausgeben, schriftleiten? Mein Leitmotiv für die Arbeit als Schriftleiterin ist, Texte zur Verfügung zu stellen, die (systemischen) PraktikerInnen ebenso wie Menschen im universitären oder Ausbildungsbereich für einen systemischen Diskurs oder für ihre praktische Arbeit hilfreich sein können. Dabei geht es nicht um eine systemische „reine Linie“ (wenn es die denn gibt), sondern um eine Vielfalt von Perspektiven, Meinungen und Positionen. Dazu gehören eine dialogische Haltung, Respekt und Wertschätzung sowohl im Text selbst als auch im Umgang mit anderen Meinungen. So ist immer die Einladung zum Dialog ausgesprochen. Wer eine andere Meinung zu einem Text hat, ist aufgefordert, (s)eine inhaltliche Auseinandersetzung zu beginnen, eine Gegenthese zu formulieren, einen Text zum Thema mit einer anderen Meinung einzureichen oder einen Leserbrief zu schreiben. Eine Grundhaltung von Neugier, Nichtwissen und Multiperspektivität leitet mich beim Zusammenstellen der Zeitschrift genauso wie wertschätzendes Erkunden. Nicht alles, was in der ZSTB steht, muss mir persönlich gefallen oder meiner Meinung entsprechen. Ich stelle zur Verfügung, was ich für einen (systemischen) fachlichen Diskurs für interessant und für PraktikerInnen für anregend halte. Das kann auch ein Stein eines Anstoßes oder eine ins Rollen gebrachte Aufforderung zu einer inhaltlichen Diskussion sein, zu der alle beitragen können, dürfen, sollen. Das ist meine Idee von Veröffentlichen: Einer systemischen fachlichen Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen, einer freiheitlichen Auseinandersetzung verpflichtet. Dafür stehe ich ein. Anlass zu dieser Erklärung sind nicht die Texte dieses Heftes, sondern eine in Teilen der systemischen Szene aufgekommene Fragen nach inhaltlicher Kontrolle und freiheitlichem Umgang mit anderen Meinungen und Wirklichkeitskonstruktionen“.
Alle bibliografischen Angaben und abstracts finden sich hier für 2024 und für 2025 hier.