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Walter Schwertl zum 70.

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Walter Schwertl (Foto: istup-ffm.de)

Heute feiert Walter Schwertl seinen 70. Geburtstag – und systemagazin gratuliert von Herzen. Ich habe Walter vor über 35 Jahren auf einer DAF-Tagung in Erlangen kennengelernt und verbinde einige wichtige Erfahrungen in meiner systemischen Entwicklung mit ihm. Viel früher als viele Andere hat Walter Schwertl systemisches Denken im Business-Coaching vorangebracht und gilt als einer der renommiertesten Vertreter dieses Feldes. Thomas Webers, Business-Coach und Wirtschaftspsychologe, hat zu Walter Schwertls 70. Geburtstag für das systemagazin eine schöne Würdigung geschrieben.

Lieber Walter, ich wünsche Dir alles Gute zum Geburtstag, Glück, Gesundheit und weitere produktive Schaffensjahre!

Tom Levold

 

Thomas Webers, Bonn:

Als er 1965 in Frankfurt am Main eintraf, mit Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis sowie einem Pappkarton mit Habseligkeiten, lagen schwere Jahre hinter ihm. Obwohl in armen Verhältnissen in Österreich aufgewachsen, hatte er es doch auf ein Elitegymnasium der katholischen Kirche geschafft. Allerdings warf man ihn nach einem Jahr gleich wieder raus: Das von ihm geschriebene Theaterstück empfand die Schulleitung als skandalös. In Folge avancierte Schwertl zum grandiosen Schulverweigerer, der aber die Auszeichnung „bester Schulaufsatz Österreichs“ errang. Nun musste er sich durchbeißen. Mit 14 Jahren begann er die Lehre als Süßspeisenkoch. Eine ungeliebte und auch letztlich erfolglose Tätigkeit für zehn Jahre. In der Freizeit begann er mit dem Boxtraining. Und es blieb der Traum von einem anderen Leben als Psychoanalytiker.

Diese neue Phase begann nun Mitte der 1960er Jahre in Frankfurt am Main. Tagsüber ging er arbeiten, abends aufs Gymnasium, nachts wurde gelernt: Zweiter Bildungsweg, die Ochsentour. Dann das Studium Mitte der 1970er Jahre – zunächst Sozialarbeit, dann Psychologie. In diesen Jahren begann er, sich intensiv mit der Familientherapie zu beschäftigen. Als ihn der Berufsstart als Diplom-Psychologe in eine Familienberatungsstelle führte, hatte er schon die Deutsche Arbeitsgemeinschaft für Familientherapie (DAF) mit gegründet und gehörte deren Bundesvorstand an. 1981 etablierte er sein eigenes Institut für systemische Theorie und Praxis (ISTUP), eines der ersten systemischen Institute in der Bundesrepublik, das bis heute erfolgreich tätig ist. In den Jahren darauf intensivierte er in der persönlichen Auseinandersetzung mit dem Bielefelder Soziologen und Systemtheoretiker Niklas Luhmann, dem Münsteraner Philosophen und Kommunikationswissenschaftler Siegfried S. Schmidt sowie mit der sog. Heidelberger Schule seine Position. Es ist sicher nicht vermessen, Walter Schwertl als einen Pionier der Familientherapie in Deutschland zu bezeichnen.

Doch er war auch immer ein Kritiker der Familientherapieszene und wandte sich in der Folge dem Business-Bereich zu. Auf dem Coaching-Kongress der Hochschule für angewandtes Management (HAM) im Jahr 2015 in Erding erzählt Schwertl als Teilnehmer der Podiumsdiskussion „Zwischen Vertraulichkeit und Firmeninteressen“ rückblickend ein Beispiel für seine Kritik. Vor mehr als 30 Jahren sei er in der Praxis mit der Angewohnheit konfrontiert worden, Teamsupervisionen ohne Führungskräfte durchzuführen. Die Teilnehmer klagten in den Supervisionen bitter über ihre Vorgesetzten. Zugleich galt die Prämisse, es dürfe hiervon nichts nach außen dringen. Solche paradoxen Problemkonstruktionen aufrecht zu erhalten, lehnte Schwertl in der Folge ab. Er gründete bald eine eigene Unternehmensberatung, Schwertl & Partner Beratergruppe Frankfurt, mit den Spezialitäten systemisches Business-Coaching und Organisationsentwicklung.

Dass seine Kritik an Usancen der sog. systemischen Szene nicht nur zutreffend waren, sondern auch heute noch aktuell und berechtigt sind, mag der Umstand belegen, dass seine Episode noch für einen kleinen Eklat auf dem Kongress im Jahr 2015 sorgte: Aus dem Publikum wurde der Verfasser dieser Zeilen, seines Zeichens Moderator der Podiumsdiskussion, anschließend hart angegangen: Was mich denn da geritten hätte, einen solch ahnungslosen und gehässigen Vertreter aufs Podium einzuladen. – Menschen aus ihrer Problemtrance zu wecken, ist für diese oftmals unangenehm und schmerzhaft. Schwertl hat sich im Laufe der Jahre nicht nur Freunde, sondern mit Sicherheit auch etliche Feinde gemacht. Sein bissiger Kommentar angesichts solcher Entwicklungen lautet lakonisch: „Wenn Sie einen Freund suchen, schaffen Sie sich einen Hund an.“

Schwertl, der in den 1980er-Jahren noch promovierte, gehört seit jenen Jahren zu den profiliertesten Vertretern des Systemischen im Coaching. Ein wunderschönes Beispiel seines konzeptionellen Denkens liefert der 2010 im Coaching-Magazin erschienene Dialog mit Siegfried J. Schmidt mit dem Titel „Über die Kunst des Beobachtungsmanagements“. Gemeinsam entwickeln die beiden dort eine Vorstellung davon, was ein Coach macht, wenn er coacht: „Ich orientiere Orientierung“. Ein Satz, der so unscheinbar und trivial daher kommt, aber von tiefer Reflexion des eigenen Arbeitens zeugt, weil zu den Bedingungen seiner Möglichkeit gehört, erzieherisches Besserwissertum, gar Manipulation oder Psychotherapie sowie Expertenberatung auszuschließen.

Schwertl gehört zu den Gründern des Deutschen Bundesverbands Coaching (DBVC). Heute ist er Vorsitzender des Sachverständigenrats dieses Verbands, der unabhängigen Anlaufstelle für unzufriedene Coaching-Kunden. Zu seinen unzähligen Veröffentlichungen gehört primär sein Buch „Kommunikative Kompetenz im Business-Coaching. Reflexionen über eine oft missverstandene Dienstleistung“ (2016). Das Ringen um den angemessenen Ausdruck und das gegenseitige Verstehen ist sein Lebensthema. Er blieb unbequem und hat sich im Laufe der Jahre weiter gegen Trivialisierungen systemischen Denkens in der Beratung abgesetzt. „Sind wir nicht alle etwas systemisch?“, lästert er zuletzt in einer Glosse in „Training aktuell“ (2016), und beklagt, dass der Begriff „systemisch“ inzwischen völlig ausgehöhlt und sinnentleert sei. „Zu oft wurde er für Marketing-Geblubber missbraucht oder zur Tarnung von mangelndem Wissen.“

Dann gibt es da noch die weniger bekannten Seiten Schwertls: Die Liebe zur Literatur – Bachmann, Bernhard, Böll, um nur einige zu nennen – und zum Theater, aber auch zu Spanien und dem Flamenco sowie zu den Alpen. Seit vielen Jahren schreibt er nicht nur Fachliteratur, sondern auch Romane, Gedichte und Theaterstücke.

Worüber ich mit ihm noch einmal gerne fachsimpeln würde? Über den Roman „Des Mauren letzter Seufzer“ von Salman Rushdie. Die Frage der indischen Wurzeln des Flamenco (hörenswert: Anoushka Shankar) hat uns schon einmal beschäftigt.

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Ein Kommentar

  1. Arist sagt:

    Lieber Walter, herzliche Glückwünsche zu Deinem besonderen Geburtstag. Ich denke gern an unsere gemeinsame Zeit in den Gründerjahren der SG zurück. Alles Gute für das neue Jahrzehnt Dein Ariz

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