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Wachsame Sorge – Wie Eltern ihren Kindern ein guter Anker sind

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Von Haim Omer ist mittlerweile eine ganze Reihe von Büchern und Artikeln zum Thema „gewaltloser Widerstand von Eltern“ im Umgang mit ihren Kindern erschienen (z.T. in Co-Autorenschaft mit Arist von Schlippe). Nun ist im Verlag Vandenhoeck & Ruprecht ein neuer Band erschienen, in dem Omer sein Konzept noch einmal erweitert. Ilke Crone hat das Buch gelesen und empfiehlt die Lektüre.

Ilke Crone, Bremen:

Das Modell des gewaltlosen Widerstandes in der Erziehung, der elterlichen und professionellen Präsenz und der Neuen Autorität gewinnt seit nunmehr 15 Jahren auch in Deutschland zunehmend an Bedeutung. Die „Stimme“ der Erwachsenen im Umgang mit besonders herausforderndem Verhalten von Kindern und Jugendlichen zu stärken, scheint nicht nur im familiären Kontext wirksam, sondern erreicht auch andere Erziehungssysteme wie Kindergarten und Schule.

In „Wachsame Sorge“ widmet sich der Autor besonderen Problemstellungen in Familien, die sich in der Praxis bislang meist nur wenig überzeugend beantworten ließen und häufig ratlose Eltern – manchmal auch hilflose Elterncoaches – zurückließen. Wie sollen Eltern reagieren, wenn das Kind lügt? Wie können Eltern die Wahl der Freunde des Kindes beeinflussen? Wie begrenzen Eltern wirkungsvoll den übermäßigen Medienkonsum ihrer Kinder? Wie können Eltern ihre fast erwachsenen Kinder darin unterstützen, so etwas wie Selbstfürsorge zu entwickeln?

Anhand vieler anschaulicher Beispiele macht Haim Omer vor allem zwei Dinge deutlich: Eltern können ihre Kinder nicht kontrollieren – sie haben keinen direktiv steuernden Einfluss auf deren Verhalten – eher das Gegenteil ist der Fall: je massiver Eltern den „Gehorsam“ ihrer Kinder einfordern oder versuchen ihr Kind zu kontrollieren, desto größer wird die Gefahr, das Kind aus den Augen zu verlieren. Gleichzeitig ermutigt der Autor in sehr anschaulicher und überzeugender Weise Eltern dazu, ihre Werte zu vertreten. Die elterliche Sorge betrachtet Haim Omer als Verpflichtung und Berechtigung. Wie Eltern dies in deeskalierender Weise kommunizieren können, erfahren sie ebenfalls aus diesem Buch.

Auch die „wachsame Sorge“ als flexibler Prozess mit den Stufen „offene Aufmerksamkeit“, „fokussierte Aufmerksamkeit“ und „einseitige Schutzmaßnahmen“ wird begleitet von Deeskalationsstrategien, Unterstützernetzwerken, Selbstkontrolle und Gesten der Beziehung.
Im letzten Kapitel „Was noch und bis wann?“ gibt Haim Omer einen Ausblick auf weitere und zukünftige Herausforderungen – so gilt es seiner Ansicht nach, den Themen „wachsame Sorge im Kleinkindalter, in der Schule oder in Fragen der Sexualität, des Essvorhaltens oder in Fällen von chronischen Erkrankungen“ (S. 241) eine ebensolche Aufmerksamkeit zukommen zu lassen wie den angesprochenen Themen in diesem Buch.

Mit „Wachsame Sorge“ erweitert Haim Omer das Konzept des gewaltlosen Widerstands um einen weiteren und wichtigen Aspekt. Lesenswert und anregend vor allem für diejenigen, die sich bereits mit „Autorität durch Beziehung“ und „Stärke statt Macht“ beschäftigt haben.

(mit freundlicher Genehmigung aus systhema 3/2015)

links

 

 

Inhaltsverzeichnis und Leseprobe

info

 

 

Haim Omer: Wachsame Sorge. Wie Eltern ihren Kindern ein guter Anker sind. Mit einem Vorwort von Arist von Schlippe

Göttingen 2015 (Vandenhoeck & Ruprecht)

246 S., kartoniert
ISBN 978-3-525-40251-1
Preis: 25,00 €

Verlagsinformation:

Mit »Wachsame Sorge« präsentiert Haim Omer die nächste Stufe seines Konzepts für einen entwicklungsförderlichen Umgang von Eltern mit ihren Kindern. Ausgehend von den Grundsätzen der »elterlichen Präsenz«, dem Modell der »Neuen Autorität« sowie der bindungsrelevanten Ankerfunktion geht es in diesem Buch um die grundlegende elterliche Haltung, auf der eine aktive und respektvolle Teilhabe am Leben ihres Kindes basiert. »Wachsame Sorge« wird in der Umsetzung als ein abgestuftes Vorgehen verstanden, das von »offener« über »fokussierte Aufmerksamkeit« mit Blick auf das Alltagsleben bis hin zu Maßnahmen reicht, die den Handlungsspielraum des (meist) Jugendlichen unmissverständlich begrenzen. In den allermeisten Fällen ist es aus Elternsicht nicht notwendig, in diesem Sinne alle Register zu ziehen. Anhand einer Vielzahl instruktiver Beispiele zu verschiedensten Problemkonstellationen, wie dem Umgang mit Geld, dem Konsum von Suchtmitteln, Internetgebrauch und Autofahren, wird deutlich, welche Handlungsoptionen Eltern haben, um ihre eigene Position zu festigen – ganz und gar zum Wohl ihres Kindes auf dessen Weg zu mehr Selbstfürsorge.

Inhalt:

Vorwort
Was ist wachsame Sorge?
Wachsame Sorge als flexibler Vorgang
Offene Aufmerksamkeit
Fokussierte Aufmerksamkeit
Einseitige Schutzmaßnahmen
Wachsame Sorge, Kontrolle und Unabhängigkeit
Privatsphäre, Vertrauen und Spionieren
Die Ankerfunktion der Eltern
Ziel dieses Buches
Aufsicht im Alltag: Begleitung und Nähe
In Zusammenarbeit mit Tal Fisher
Eltern-Kind-Kontakt im Alltag
Elterliche Fürsorge als Netzwerk: das Einbeziehen von Familie, Freunden, Lehrern und anderen Eltern
Die Zusammenarbeit des Elternpaars
Andere Menschen mit einbeziehen
Der Dialog zwischen Eltern und Kind
Moral predigen oder Freundschaft pflegen – zwei unerwünschte Extrem
Aufmerksamkeit, Zugänglichkeit und Selbstkontrolle
Elterliche Mitteilungen – wie sprechen, ohne Widerstand zu provozieren?
Problematische Geschehnisse vorhersehen und besprechen
Der Umgang mit dem Widerstand des Kindes
Die vergebliche Erwartung einer einschneidenden Veränderung
Die langfristige wachsame Sorge
Die Erfahrung der Konfrontation und des Bruchs zwischen Eltern und Kind
Wie finden Eltern den Weg zurück zu ihrem Kind?
Suiziddrohungen
Die Angst, das Kind könnte die Eltern hassen
Lügen
Auswirkungen von Lügen auf die Entwicklung des Kindes
Der erfolglose Versuch, Lügen gänzlich zu unterbinden
Sich auf Konfrontationen vorbereiten und die Selbstkontrolle festigen
Selbstüberzeugung und Ausstrahlung ruhiger Bestimmtheit .
Wie bereiten Eltern sich auf Notfälle vor?
Das Unterstützungsnetz
Wie wählen Eltern geeignete Helfer aus?
Wie Helfer kontaktieren?
Was dem Helfer sagen und welche Art von Unterstützung erfragen?
Die Drohung des Kindes, von zu Hause wegzulaufen
Haim Omer, Wachsame Sorge
Die Verstärkung der wachsamen Sorge – Präsenz und Begleitung
Lügen und ihre Folgen – im Allgemeinen und in zwischenmenschlichen Beziehungen
Folgen eines Vertrauensbruchs
Die Auswirkungen des Vertrauensbruchs auf das Verhältnis mit der Umwelt
Eine Wiedergutmachung des durch Lügen angerichteten Schadens
Freunde
Wer sind die Freunde meines Kindes?
Elterliche Handlungsweisen im Fall von gefährlichen Aktivitäten
Das Miteinbeziehen von Familie und Freunden
Die Bedeutung der Freundschaften für das Kind anerkennen und gleichzeitig eine entschiedene Haltung zur Verringerung der Gefahren einnehmen
Telefonrunden und Treffen am Aufenthaltsort der Freunde des Kindes
Die Veränderung des Gleichgewichts und ihre Auswirkungen
Geld
Wie mit Kindern über Geld sprechen?
Den Forderungen des Kindes widerstehen
Diskussionen zu Ausgaben
Das Überwinden schädlicher Verhaltensweisen des Kindes im Umgang mit Geld
Eine Welt der Versuchungen
Zigaretten, Alkohol und Drogen
Computer, Smartphone und andere Bildschirme
Die Gefahren des Internets – eine kurze Anleitung für Eltern
Der übermäßige Internetgebrauch und die virtuelle Welt als Zufluchtsort
Sichere Computernutzung: Vorschlag zu einer Vereinbarung zwischen Eltern und Kind
Der Übergang zu einseitigen Schutzmaßnahmen
Die Begrenzung der Nutzungsstunden des Computers
Die Kündigung des Internet-Services
Fahranfänger
Die Zeit des begleiteten Autofahrens
Die Zeremonie der Schlüsselübergabe
Bei der Ankunft am Ziel und um Mitternacht eineSMS schreiben
Das Unterschreiben einer Vereinbarung
Befürchtungen, in die Privatsphäre einzudringen
Warnzeichen
Die Einschränkung der Fahrprivilegien
Was noch und bis wann?
Literatur

Über den Autor:

Prof. Dr. phil. Haim Omer ist Lehrstuhlinhaber für Klinische Psychologie an der Universität Tel Aviv. Er wurde 1949 in Brasilien geboren, promovierte in Psychologie an der Hebrew University in Jerusalem (Ph. D.). Seit 1998 ist er Professor für Psychologie an der Tel Aviv University.

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