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Online-Journal für systemische Entwicklungen

The Art of Reflection

| 1 Kommentar

Tom Andersen

Heute vor 10 Jahren verunglückte Tom Andersen bei einem Spaziergang mit seinem Hund tödlich. Im systemischen Feld war er einer der wichtigen Pioniere, seine Arbeit mit dem reflecting team hat Eingang in unzählige Anwendungsbereiche gefunden und viele Menschen inspiriert, die beruflich mit anderen Menschen arbeiten. Zahllose Arbeiten haben sich mit diesem Ansatz beschäftigt, aber die Mehrzahl davon fokussiert in der Regel mehr auf die Pragmatik des Settings und des Teamprozesses als auf die Frage, was denn eigentlich Reflexion bedeutet – und was eine „gute“ Reflexion von einer problematischen Reflexion oder einer nur positiven Konnotation unterscheidet. In den letzten Jahrzehnten habe ich vielen Reflecting Teams beigewohnt, die bei mir eher gemischte Gefühle hinterlassen haben, weil sie eher Kompliment-Sammlungen glichen als Reflexionen dessen, was im Therapiegespräch (und wie) gesagt wurde. Schaden haben sie wohl nicht angerichtet, aber zeichneten sich oft als eher belanglos aus. Kaethe Weingarten hat sich in einem wunderbaren Artikel für die Family Process im vergangenen Jahr ausführlich mit dieser Frage beschäftigt, was denn eine gute Reflexion ausmacht und von einer „netten Reflexion“ unterscheidet: „Eine nette Reflexion gibt den Leuten zurück, was angenehm zu hören und in ihre Sicht von sich selbst zu integrieren ist; Dies kann dazu führen, dass man sich mehr ,zuhause’ fühlt – oder auch nicht. Gute Reflexionen reflektieren fast immer etwas, das ausreichend anders ist als das, was die Person erwartet, dass eine Gelegenheit erzeugt wird, sich zu erweitern, um die Reflexion zu integrieren. Es ist wichtig, sich nicht durch den Inhalt der Reflexion verwirren zu lassen. Es ist die Kombination aus Inhalt und Prozess, zusätzlich zu dem, was sich später entfaltet, welche uns zu bestimmen erlaubt, ob eine Reflexion gut war, im Sinne von nützlich.“

Kaethe Weingarten

Im abstract heißt es: „There are a great many useful articles on the dynamics and pragmatics of reflecting teams but few articles address what constitutes a good or inept reflection and why. I provide a conceptual model for thinking about what a good reflection does, distinguishing it from a nice reflection. With some further refinements in place, I then illustrate how reflections can be part of any relationship, not just clinical ones. We have opportunities to make them and to recognize when others make them to us. By using examples from my personal life—as a grandmother, daughter, radio listener, cancer survivor, and client—I attempt to ease the personal/professional binary, a project of mine for the last 35 years. In the second part of the article, I address how writing can serve reflection. Although best offered at the moment one is called for, it is never too late for a reflection. Writing allows people to offer reflections after the fact to those who have shared their stories. Sometimes, it is to ourselves we offer those reflections, when the reflector has long since dropped the thread of obligation or interest. I provide an example of working with iconic imagery to unpack meaning so that reflection can eventually take place, allowing integration to proceed, facilitating the strange becoming the familiar.“

Den vollständigen Artikel kann man auf der website von opening open dialogue lesen.

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Ein Kommentar

  1. Danke für diesen Artikel und den Link.
    Seit langen Jahren schon beschäftigt mich dieser Unterschied, der sich durchaus auch allen möglichen “Nettigkeiten” zu verabschieden vermag, um die unsäglichen schuld- und schambesetzten Schweigemauern zu durchbrechen.

    Wobei ich mir mittlerweile nicht mehr so ganz sicher bin, ob das wirklich stimmt.
    “Schaden haben sie wohl nicht angerichtet, aber zeichneten sich oft als eher belanglos aus.”

    Der Austausch von Belanglosigkeiten in Zusammenhang mit Symptom-Verschleppung über zu lange Zeiträume hinweg kann auch tödlich sein. Denn das konservative Nettigkeitsmuster hat auch seine Grenzen,
    zumal in schwer traumatisierten Fällen durch Anhäufung von Nettigkeiten, die Hoffnung und das Vertrauen auf Loslassen der Vergangenheit und auf Heilung schwindet.
    Dies gilt im übrigen ganz speziell auch in der Onkologie und in der Palliativmedizin,

    Je nach Schwere und Dramatik des gesamten Falls, erscheint es dann auch besser,
    frühzeitig den Finger in die Wunde zu legen -und diese auch offen zu halten und zu drainieren,
    um, wie bei einem schwärenden Abszeß , die Heilung,von innen heraus zu ermöglichen.

    Wobei allerdings -in infausten und unheilbaren Fällen, der therapeutische Zentralfokus von “Heilung”
    auf den Möglichkeiten einer vorweggenommenen therapeutischen Trauerbegleitung liegen sollte und auch muß,
    um Patienten (und ihren Angehörigen) zu ermöglichen,
    ihr Haus zu bestellen und zu ordnen, was bleiben soll,
    um dann auch in Ruhe Abschied nehmen und in Frieden gehen zu können.

    Nur Akzeptanz dessen was ist, beinhaltet auch Versöhnung mit dem unabänderlich Negativen
    und eröffnet dann auch eine klare Haltung gegenüber der Angst eines Lebens zum Tode hin,
    das hoffentlich in einen solchen oder ähnlich erlösenden und in die Sonne schauenden
    Rückblick zu münden vermag, wie

    “Ihr glücklichen Augen, was je ihr gesehn
    und sei’s wie es wolle,
    es war doch so schön!” Pause.
    (Goethe, FAUST II, 11300 – 11304, Lynkeus,

    Nettigkeiten gehen vorüber bzw. verschwinden bereits in der Pause.
    Gute Reflexionen dagegen haben Bestand.
    Sie dürfen folglich jedoch weder erschlagen noch allzu säumig werden.
    sondern sollten beizeiten ermuntern,
    sich dem unabänderlich Tragischen sich auch in Würde zu stellen zu können.

    Das gehört nun einmal zur Dramaturgie eines individuellen Schicksals innerhalb eines unfassbar
    großen Rahmens.
    Das Nicht-Beliebige und Nicht-Belanglose gehört zum Wesentlichen in der Kunst
    und findet sich auch immer wieder in Hülle und Fülle, in der Kunst.

    Primum nil nocere ist kein Placebo, aber auch kein Nocebo.
    sondern eine Notwendigkeit, Möglichkeitsräume so zu entfalten,
    daß sie auch Sinn machen, im Gesamtzusammenhang.

    Und nicht vergessen,
    -neben allen verpassten Chancen –
    steht auch immer dieser Satz:

    “Das einzig Furchtbare in der Welt ist die Langeweile.
    Das ist die Sünde für die es keine Vergebung gibt” (Oscar Wilde)

    In diesem Sinne, auch weiterhin, fröhliches Schaffen!

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