systemagazin

Online-Journal für systemische Entwicklungen

systemagazin Adventskalender: Das Fremde

| 2 Kommentare

10adventPeter Fuchs, Soest: Das Fremde

Sie hatte schon während der Schwangerschaft bemerkt, dass zwischen den Beschreibungen des Schwangerschaftsglückes und ihrem Erleben ein Riss verlief.

Einerseits war manches so, wie es ihr gesagt worden war, leichte Übelkeiten beispielweise, aber ausgleichenderweise auch eine hohe soziale Beachtung, die Neigung in der Umwelt etwa, darauf zu warten, dass sie besondere Gelüste entwickele, was sie dann vorsichtshalber tat (sie kaprizierte sich auf Hähnchen und Sauerkrautsalat).

Andererseits war die ganze Angelegenheit, wie sie sich in einem Winkel ihres Kopfes flüchtig eingestand, ziemlich gewöhnlich. Sie wurde von innen her langsam aufgepumpt, sah bald aus (da sie sehr kantig war), als ob sie einen Fußball verschluckt hätte, der mehr und mehr zu einem Medizinball hinüberschwoll. Ihre Eltern und die Schwiegereltern freuten sich, Joseph war ein Überbehüter, alles bestens, und doch war ihr so, dass sie etwas Fremdes ausbrütete, dass sie ein Körper war, in dem etwas ausgebrütet würde, das sie kurioserweise mit einer Unfarbe verband, es war in ihren lose gleitenden Phantasien pechschwarz, außerdem schmierig und unsagbar fremd.

Ja, wenn es so etwas gab wie einen Ekel nach innen, so hatte sie ihn, wie sie sich ungern erinnerte, gehabt, so dass die Geburt, deren Schmerz sie ohne Furcht erwartete, wie eine Befreiung war – weswegen sie dann auch ganz erlöst gestrahlt hatte, als alles überstanden war und Joseph, der selbstverständlich der Geburt beigewohnt hatte, sie geküsst hatte, seinerseits strahlend, weil Zwillinge, das war schon was. Und sie waren keineswegs unfarbig, sondern wunderhübsch, pausbäckig, blauäugig und ganz und gar unproblematisch in den ersten Wochen und Monaten.

Peter Fuchs (Foto: Tom Levold)

Peter Fuchs
(Foto: Tom Levold)

Eine perfekte Mutter, da konnte ihr niemand etwas vorwerfen. Joseph hatte keinerlei Mühen und Ärgernisse mit den Kindern. Vera war immerzu für sie da. Es mangelte den Kindern an nichts, soweit sie es überblicken konnte, wiewohl sie mit einem gleichsam erblassenden Herzen registrierte, dass ihre Mutter eine seltsame Besorgnis signalisierte, irgendwie nicht einverstanden war mit dem, was sie tat, und ihr Vater, der weniger zurückhaltend war, sagte dann auch irgendwann: “Du knubbelst die Kinder ja gar nicht! Kinder muss man doch knubbeln…” Und er nahm die Zwillinge, schmiss sie durch die Lüfte, dass sie quietschten wie Ferkel, die abgestochen werden.

Beinahe war es so nach diesem Vorfall, dass die alte Phantasie des pechschwarz und klebrig in ihr Heranwachsenden in verdünnter Weise wiedergekehrt war, als eine leichte Schwärzung der Luft, wie eine zarte Vergiftung, die es ihr unmöglich machte, die Kinder zu küssen. Sie tat es notgedrungen, doch putzte sie sich heimlich den Mund danach ab. Sie ertappte sich ferner dabei, dass sie nicht wie all die anderen Mütter etwas in den Mund stecken konnte, was die Kleinen schon im Mund gehabt hatten, oder dabei, dass sie es nicht vermochte, aus einem Teller mit ihnen zu essen. Sie hatte dennoch (sie spürte es genau) einen ungeheuer liebevollen Gesichtsausdruck, wenn sie die beiden ansah, ja, sie registrierte sogar etwas wie eine tiefgehende Ergriffenheit, wobei sie, wenn sie diese Rührung zu begreifen versuchte, darauf stieß, dass es die Rührung gegenüber unschuldigen Opfern war, nicht die sentimentale Glückstrunkenheit angesichts gesunder, heranwachsender Kinder.

Sie konnte sich nicht verhehlen, dass sie keinen Zusammenhang zwischen sich und den Zwillingen fühlte. Sie waren in gewisser Weise weit weg, glucksende, prachtvoll genährte, blitzsaubere Kinder, auf die sie aufpasste (es durfte ihnen kein Leid geschehen) und die von Joseph und von allen möglichen Leuten vergöttert wurden. Ja, fast verspürte sie eine gewisse Genugtuung, wenn sie den Riss zwischen sich und den Zwillingen bedachte, der für all die anderen (mit Ausnahme ihrer Eltern, die es aber wohl nicht so ernst gemeint hatten) unsichtbar war, Ausdruck einer geheimen Fremdheit zwischen ihr und den Kindern, die (wie sich von selbst versteht) nicht von den Kindern ausging, von denen sie allem Anschein nach fast wie verrückt geliebt wurde, so sehr, dass man vermeinen konnte, ihr Leben bestünde darin, ihr zu zeigen, wie sehr sie geliebt wurde.

Die Zwillinge taten, was sie konnten, sie entzückten die Umwelt und bemühten sich, niemandem, vor allem aber der Mutter nicht, irgendeinen Schmerz beizufügen, der aber doch die Luft, die sie atmeten, unstörbar bewohnte.

Print Friendly, PDF & Email

2 Kommentare

  1. Sabine Klar sagt:

    Ja, dieser Text dringt beklemmend ein – wunderbar geschrieben!

  2. Lothar Eder sagt:

    Lieber Herr Fuchs, alle Jahre wieder … das ist ein sehr schöner, gut geschriebener und berührender Text, den Sie uns hier zum 3. Advent geschenkt haben, danke und herzliche Grüße, Lothar Eder

Kommentar verfassen

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.