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Schon wieder Weihnachten?

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Weihnachten? Im September? Nun, schaut man sich in den Supermärkten dieses Landes um, findet man sich schon seit einigen Tagen zwischen Bergen von Spekulatius, Dominosteinen und Lebkuchen wieder. Der Spätsommer hat sich noch nicht abgemeldet, da klopft schon die Weihnachtsindustrie an die Türen der Konsumenten. Auf absehbare Zeit stellt sich wieder die Frage: „Was schenken wir unseren Kindern?“ Zu dieser Frage haben Gerald Hüther und André Stern „eine Entscheidungshilfe“ vorgelegt, die gerade frisch veröffentlicht worden ist. Wolfgang Traumüller hat sich das Büchlein angeschaut und präsentiert hier seine Überlegungen:

Wolfgang Traumüller: Vom Schenken, Beschenktwerden und fraglichen Dank

Es ist Herbsteszeit, der Sommer scheint vorüber und mit den vom Rhein über die Rebhänge herüber wabernden Nebelschwaden zieht bereits ein leises Wähnen des Christkinds über das Land, in das aus den Fenstern der Discounter schon die ersten Nikoläuse lauernd Schokoladen-Blicke werfen. Wie alle Jahre wieder wird stimulierter Kaufrausch über die Theken und Verkaufstische branden, der Handel unter dem Klingeln seiner Kassen mehr oder weniger zufriedene Gesichter machen und von mancher Kanzel die hilflos-dumme Mär verbreitet werden, weil Gott im Kind sich zum Geschenke mache, schenkten auch wir von dieser unbändigen Freude weiter. Als habe sich nichts verändert seit den Tagen des Paradiesgärtleins und der kargen Lichtlein auf dem kargen Fichtlein, das der Großvater aus dem Schnee in die warme Stube bringt und Kinderaugen groß macht unter einem bewegenden „Stille Nacht“-Gesang. Was noch vor hundert Jahren und mehr die Herzen wärmte, wirkt in unseren coolen Tagen wie in Konsum ersoffener, betulicher Brauchtumskitsch.

Passend zum Anlass, zum Weltkindertag am 20.September und zur Buchmesse legen die Bildungsexperten Gerald Hüther und André Stern ihre Entscheidungshilfe vor: „Was schenken wir unseren Kindern?“

Stern ist Musiker, Komponist, Gitarrenbaumeister, Journalist und Autor, unter anderem des Bestsellers „… und ich war nie in der Schule“ sowie, gemeinsam mit seinem Vater, dem Forscher, Pädagogen und Malort-Gründer Arno Stern, des Buches „Mein Vater mein Freund“, dessen spannendes Werk er fortsetzt.

“Dass Gewaltbereitschaft, Rücksichtslosigkeit und Angeberei transgenerational von Vätern an ihre Söhne weitergegeben werden, ist hinlänglich bekannt und auch recht gut erforscht. Aber dass das auch für so wichtige Fähigkeiten wie Achtsamkeit, Einfühlungsvermögen und Umsicht, ja sogar für Gestaltungslust und Lebensfreude gilt, darüber ist bisher in unserer Gesellschaft kaum nachgedacht, geschweige denn ernsthaft geforscht worden. Deshalb ist dieses Buch von Arno und Andre Stern ein Meilenstein auf dem Weg zu einer zukunftsfähigen Gesellschaft. Es öffnet den Blick für die Bedeutung einer liebevollen, achtsamen und ermutigenden Beziehung zwischen Vätern und Söhnen.“, so Hüther, der in selbigem Geist mit Stern nun ihr aktuelles Büchlein vorlegt, mit dem er auch Gründer und Leiter der Initiative “Männer für morgen” ist.

Hüther, seit langem einer der führenden Neurobiologen und Hirnforscher Deutschlands in Göttingen, auf vielen unserer Fachkonferenzen gern gesehen, bekannt durch zahlreiche Vorträge, Rundfunk- und Fernsehbeiträge, Sachbuch-Bestseller wie „Biologie der Angst“, „Die Macht der inneren Bilder“, „Gebrauchsanleitung für ein menschliches Gehirn“, „Die Evolution der Liebe“, „Raus aus der Demenzfalle“, „Würde.Was uns stark macht als einzelne und als Gesellschaft“ u.v.a., hat sich in den letzten Jahren intensiv auch und insbesondere Fragen einer guten Entwicklung unserer Kinder gewidmet und gründete ein Jahr vor seiner Emeritierung 2016 die Akademie für Potentialentfaltung als gemeinnützige Genossenschaft. Mit ihr erscheint er als einer der wenigen, die aus ihrer Wissenschaft verständlich und für jedermann anwendungsbezogene und gesellschaftsrelevante Konsequenzen für eine nachhaltige Zukunft, insbesondere unserer nachfolgenden Generationen, ziehen. Spektakulär seine ADHS-Experimente auf der Alm, sein Netz von Patenschaften für Jungen, die in den verweiblichten Bildungseinrichtungen unserer Tage immer weniger männliche Vorbilder finden, oder seine Würdekompass-Netze vor Ort! Er versteht sich als „Brückenbauer“ zwischen wissenschaftlichen Erkenntnissen und gesellschaftlicher bzw. individueller Lebenspraxis. Ziel seiner Aktivitäten ist die Schaffung günstigerer Voraussetzungen für die Entfaltung menschlicher Potentiale, indem er immer wieder in bescheiden-sympathischer Weise landauf-landab als Mensch zu Menschen spricht und beispielhafte Projekte ins Leben ruft, die neue Wege durch konsequentes Handeln bahnen.

In acht Kapiteln entfalten die Autoren ihren Wegweiser: Kinderaugen sagen mehr als tausend Worte; Wer das nicht hat, was Kinder brauchen, kann es ihnen auch nicht schenken; Warum wir Kindern Geschenke machen; Weshalb Kinder durch Geschenke verführbar sind; Es gibt auch Kinder, die nicht durch Geschenke verführbar sind; Und es gibt Geschenke, die Kinder davor bewahren, sich verführen zu lassen; Es ist leicht herauszufinden, welche Geschenke Kinder glücklich und damit unverführbar machen; Was es für ein Kind bedeutet, bedingungslos geliebt zu werden. Mit diesen sprechenden Überschriften sind die Wegmarken gesetzt und ist auch der Weg fast schon gewiesen. Daß nämlich Geschenke oft fragwürdige Verführungen sind, die Kindern die Kraft rauben, ihre Begabungen zu entfalten und ihr Leben selbständig und eigenverantwortlich zu gestalten. Um zu lernen, wie das Leben geht, brauchen Kinder vor allem uns, nicht unsere Geschenke, heißt es zurecht im Klappentext. Und er paraphrasiert damit geradezu den alten Reim von Joachim Ringelnatz:

„Sei eingedenk,
daß dein Geschenk
Du selber bist!“

Ebendies ließe sich vom Jesuskindlein auch sagen und die op.cit. hilflose Mär konterkarieren: Wo Gott sich selber schenkt, kann allerlei Tand und Krempel unterm Christbaum dieses nur verstellen und das Licht verdunkeln, das mit ihm in die Welt kam und das die Seinen nicht annahmen. Stroh, das war alles, was die Krippe bot, und ein wenig weiches Stroh alles, was das Christkind braucht. In seinem Licht betrachtet, ließen sich Fäden für goldene Zeiten aller mit allen aus der Krippe spinnen, ohne ein Rumpelstilz zu sein oder ein profitgieriger Neoliberaler zu werden. Das darf ich als Theologe wohl in diesem profanen Kontext des >systemagazins< und seiner Leser auch einmal los werden, in dem sich ja auch weitere vom Fache tummeln.

„So einfach ist das, und doch so schwer… Liebe ist nicht einfach nur Wertschätzung und Respekt, auch nicht bedingungslose Hingabe. … Deshalb ist Liebe kein Gefühl, sondern eine innere Einstellung und Haltung, die Entwicklung ermöglicht. Von der Liebe wird niemand überrumpelt, und sie fällt nicht vom Himmel. Um Liebende oder ein Liebender zu werden, bedarf es einer vom Herzen getragenen, aber auch gleichzeitig bewusst getroffenen Entscheidung. Und wenn es die Liebe ist, die uns hilft, Verwicklungen zu vermeiden und Entwicklung zu ermöglichen, dann kann man nicht lieben, ohne alles dafür zu tun, dass genau das auch wirklich geschieht. Kinder, die auf diese Weise erfahren, was es bedeutet, bedingungslos geliebt zu werden, brauchen dann auch keine Geschenke mehr.“ Das ist die Schlußbotschaft des kleinen Wegweisers, der in jede systemisch- (familien-)therapeutische Praxis, pädagogische Institution, Beratungsstelle und wo immer systemische Kolleginnen und Kollegen tätig sind, gehört, damit nicht nur diese, sondern auch letztlich alle Eltern es vernehmen! Ich habe ihn auch für alle kirchlichen Einrichtungen und Kirchen empfohlen, die von (Neuro-)Biologen am Ende mehr und für den Alltag Griffiges über Liebe lernen können als aus ströhernen Episteln, wie sie von manchen Kanzeln und Kanzleien dröhnen, ohne in der Lage gewesen zu sein, dem Mißbrauch des Nächsten in jeglicher Art auch intra muros ecclesiae Einhalt zu gebieten geschweige denn, ihn zu verhindern. -Diese Tradition der Biologie hat zumindest mit Maturanas und Varelas „Hohem Lied der Liebe“ im „Baum der Erkenntnis“ in den 1980ern schon begonnen.- Den Weg gehen muß an seinem Ort ein jeder selbst.

Ich kann Greta Thunbergs verzerrte Gesichtszüge bei ihrer gestrigen Rede vor dem UN-Klimagipfel in New York, am 23.9.2019, dem Erscheinungsdatum des Büchleins, nicht vergessen, in denen sich über ihren Tränen Wut, Enttäuschung und Empörung spiegelten, weil sie für ihre ganze Generation und folgenden die unerbetenen Geschenke ablehnte, die die Erwachsenenwelt ihnen -verpackt in schöne Reden- zumutet, es an Taten mangeln lässt und einer globalisierten Profitgier huldigt, die dem blauen Planeten den Garaus zu machen drohen. Ebensowenig das spottfinstere Gesicht Donald Trumps, dem der UNO-Generalsekretär António Guterres samt anderen kein Rederecht einräumte, weil sie es an klarem politischen Planen und Handeln vermissen lassen und der „Ver-Puffung“ unseres Planeten den Weg bahnen. „Wie konntet ihr es wagen, meine Träume und meine Kindheit zu stehlen mit euren leeren Worten? Wir stehen am Anfang eines Massenaussterbens, und alles, worüber ihr reden könnt, ist Geld und die Märchen von einem für immer anhaltenden wirtschaftlichen Wachstum.“, warf die 16jährige Schülerin den rund 60 Staats- und Regierungschefs aus aller Welt an die Köpfe. „Wir werden euch nicht davonkommen lassen … Die Welt wacht auf und Veränderung ist auf dem Weg, ob Sie es wollen oder nicht.”

Das markiert den akuten politische Kontext unseres allzu oft korrumpierenden Geschenkemachens, in dem mehr als der Baum brennt! Was schenken wir – uns und unseren Kindern?! Eine Frage von hoher Brisanz!

Gerald Hüther & André Stern (2019): Was schenken wir unseren Kindern?
Eine Entscheidungshilfe
. München (Penguin/Random House)

Hardcover, Pappband
80 Seiten
ISBN: 978-3-328-60119-7
Preis: 10,00 €

Verlagsinformation:

Kinder brauchen uns, nicht unsere Geschenke. Leuchtende Kinderaugen, tiefes Glück und Verbundenheit – ist es das, was uns beim Schenken so gut gefällt? Woher wissen wir, was unsere Kinder wirklich brauchen und welches Geschenk sie sogar ein Leben lang begleiten kann? Als führende Entwicklungsforscher und Bildungsexperten laden Gerald Hüther und André Stern zum Umdenken ein: Die meisten Geschenke sind nichts anderes als fragwürdige Verführungen. Sie rauben Kindern die Kraft, die in ihnen angelegten Talente und Begabungen zu entfalten und ihr Leben selbständig und eigenverantwortlich zu gestalten. Um zu lernen, wie das Leben geht, brauchen Kinder uns, nicht unsere Geschenke.

Über die Autoren:

Gerald Hüther ist einer der bekanntesten Hirnforscher Deutschlands. Er hat zahlreiche Bestseller über Entwicklung und Potentialentfaltung geschrieben, hält Vorträge, berät Politiker und Unternehmen und ist häufiger Gesprächsgast in Rundfunk und Fernsehen. 2016 gründete er die Akademie für Potentialentfaltung. Er versteht sich als Brückenbauer zwischen wissenschaftlichen Erkenntnissen und gesellschaftlicher bzw. individueller Lebenspraxis. Mehr über Gerald Hüther erfahren Sie unter www.gerald-huether.de.

André Stern, Sohn des Forschers und Pädagogen Arno Stern, in Paris geboren und aufgewachsen, Musiker und Bestsellerautor, ist ein international gefragter Referent. Er leitet das Institut Arno Stern und ist einer der Protagonisten in Erwin Wagenhofers Film »Alphabet«. Mehr über André Stern erfahren Sie unter www.andrestern.com.

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