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Online-Journal für systemische Entwicklungen

Posttraumatische Belastungsstörungen bei Kindern und Jugendlichen

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In der Reihe „Störungen systemisch behandeln“ hat Alexander Korittko im vergangenen Jahr ein Buch über „Posttraumatische Belastungsstörungen bei Kindern und Jugendlichen“ veröffentlicht. Korittko, Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für systemische Therapie, Beratung und Familientherapie DGSF, verfügt über eine über 35-jährige Erfahrung als Mitarbeiter einer Jugend-, Familien- und Erziehungsberatungsstelle in Hannover. Mit der Psychotraumatologie beschäftigt er sich schon lange. Sein aktuelles Buch hat Ilke Crone gelesen und empfiehlt die Lektüre: „Wer mit traumatisierten Kindern und Jugendlichen therapeutisch arbeitet, wird durch dieses Buch sicherlich angeregt, inspiriert und ermutigt! Korittko gelingt in einer sympathisch anschaulichen Sprache eine umfassende Beschreibung der Belastungsstörung – dies und die vielen Beispiele aus der Praxis machen das Lesen zu einem Vergnügen – trotz der Schwere des Themas!“

Ilke Crone, Bremen:

Die Reihe „Störungen systemisch behandeln“ im Carl Auer Verlag hat sich das Ziel gesetzt, SytemikerInnen und Anderen „das große Spektrum theoretisch fundierter und praktikabler systemischer Lösungen für einzelne Störungen zugänglich zu machen“ (S.11).

Korittko macht den LeserInnen mit seinem Buch „Posttraumatische Belastungsstörungen bei Kindern und Jugendlichen“ seine gesamte berufliche und persönliche Erfahrung zum Geschenk und stellt zudem umfangreiches Anwendungsmaterial online zur Verfügung.

In zehn übersichtlich gegliederten Kapiteln werden verschiedenste Aspekte des Themas behandelt – von der Geschichte und Entstehung des Begriffs „Trauma“ über Definitionen und einer Beschreibung der typischen Phänomene und Symptome im ersten Kapitel gelangt der Autor zu einer differenzierten Beschreibung diagnostischer Aspekte. Hierbei finden die Besonderheiten der Belastung bei Kindern und Jugendlichen eine bedeutsame Akzentuierung – Korittko macht mehr als einmal deutlich, wie viel schwerwiegender traumatische Ereignisse auf junge Menschen wirken, wie anders sie auf diese reagieren und wie wichtig eine angemessene therapeutische (und pädagogische) Begleitung für ein gesundes Wachstum sind. Dabei finden sowohl verschiedene Kontexte (innerfamiliär – außerfamiliär) ebenso berücksichtigt wie Resilienz- und Risikofaktoren oder salutogenetische Ansätze. Das dritte Kapitel konzentriert sich auf Erklärungsmodelle und Therapieansätze – von der Neurobiologie, der Psychodynamik und verhaltenstherapeutischen Ansätzen über narrative und körperorientierte Verfahren gelangt Korittko zu einem systemischen Störungsverständnis. In seiner Zusammenfassung konstatiert Korittko zweierlei: „Anstelle von „Trauma first“ gilt heute „Safety first“. Die Heilung liegt nicht in der Aufdeckung in der Vergangenheit, sondern in positiven Erfahrungen in der Gegenwart. (…) Systemische Ansätze betonen besonders intensiv die Prozesse, die zur ressourcenorientierten Selbstwirksamkeit führen, und beziehen zwischenmenschliche Kommunikationsmuster sowie die gegenseitige Beeinflussung von biologischen, psychischen und interaktionellen Prozessen ein.“ (S. 107)

Im zweiten Teil des Buches erläutert der Autor sein systemtheoretisches Verständnis von kindlicher Traumatisierung und seine Vorgehensweise – hierbei werden innerfamiliäre und außerfamiliäre Traumatisierung getrennt behandelt. Besonders lehr- und hilfreich wirken die ausführliche Darstellung hilfreicher Gespräche bei innerfamiliärer Gewalt, die Beharrlichkeit einer wertschätzenden, respektvollen Haltung (gerade auch im Umgang mit „TäterInnen“) sowie ein Modell zum Vorgehen bei sexueller Gewalt in Familien. Diese – häufig tabuisierten und als „nicht-besprechbar“ angesehen – Themen werden anschaulich, nachvollziehbar und gleichermaßen deutlich wie behutsam „entblättert“. Erst wenn die äußere „Sicherheit“ gewährleistet ist, beginnt die konkrete Stabilisierungsarbeit mit den Kindern und Jugendlichen. Korittko stellt ein vielfältiges Repertoire an Interventionen bereit, die systemischen TherapeutInnen an der einen oder anderen Stelle durchaus „bekannt“ vorkommen sollten – Ressourcen, Helfer und Unterstützer, Stärkung der Selbstwirksamkeit u.v.m.

Außerfamiliäre Traumatisierungen werden zunächst differenziert in: gemeinsam erlitten (Autounfall, Hausbrand), direkt und indirekt betroffen (das Ereignis selbst und der Erhalt der Nachricht) und parallele Traumata (unterschiedliche Orte und gemeinsame Betroffenheit (Krieg, Bürgerkrieg, Naturkatastrophen). Im systemischen Sinne ist hier das gesamte familiäre System der „traumatisierte Patient“ und es gilt unter anderem die zirkulären, hinderlichen Muster der Reaktivierung innerhalb der Familie behutsam aufzulösen. Wie dies in Familiengesprächen aber auch mit jedem Einzelnen gelingen kann und wie (unterschiedlich) angemessen getrauert werden darf, erläutert Korittko mitfühlend und verständlich. Dieser Teil schließt mit der spezifischen Betrachtung traumatisierender Erfahrungen bei minderjährigen unbegleiteten Flüchtlingen, Pflegekindern und institutionellen Traumatisierungen. Zum Schluss widmet sich der Autor traumapädagogischen Ansätzen als sinnstiftende und hilfreiche Unterstützung therapeutischer Interventionen sowie dem Einsatz von Medikamenten. Vor dem Ende ist noch nicht (ganz) Schluss – der Anhang enthält viele wertvolle Hinweise auf weiterführende Literatur und hilfreiche Internetadressen.

Fazit: Wer mit traumatisierten Kindern und Jugendlichen therapeutisch arbeitet, wird durch dieses Buch sicherlich angeregt, inspiriert und ermutigt! Korittko gelingt in einer sympathisch anschaulichen Sprache eine umfassende Beschreibung der Belastungsstörung – dies und die vielen Beispiele aus der Praxis machen das Lesen zu einem Vergnügen – trotz der Schwere des Themas!

(Mit freundlicher Genehmigung aus Praxis der Kinderpsychologie und Kinderpsychiatrie  2/2017)

 

 

Zur website des Autors

Kapitel 1 als Leseprobe

Inhaltsverzeichnis als PDF

 

 

Alexander Korittko (2016): Posttraumatische Belastungsstörungen bei Kindern und Jugendlichen. Heidelberg (Carl-Auer)

Mit einem Vorwort von Dorothea Weinberg und einem Geleitwort von Gerald Hüther

287 Seiten, Kartoniert
Preis: 34,95 €
ISBN: 978-3-8497-0114-7

Verlagsinformation:

Niemand zeigt sich alleine gestört oder auffällig. Kinder und Jugendliche, die ein einmaliges oder wiederholtes Ereignis erlebt haben, das ihre Bewältigungsmöglichkeiten überforderte, haben Eltern, Ersatzeltern oder sonstige Bezugspersonen, die ebenfalls von diesem Ereignis betroffen sind. Dieser Blick auf den Kontext ist eine wichtige Grundlage für hilfreiches psychotherapeutisches Handeln. Alexander Korittko, einer der profiliertesten systemischen Therapeuten in Fällen von posttraumatischen Belastungsstörungen bei Kindern und Jugendlichen, schildert auf der Grundlage seiner umfangreichen Erfahrungen detailliert und mit vielen Fallbeispielen, wie Therapeuten – nicht nur solche mit einer speziellen Weiterbildung – Kindern und Jugendlichen dabei helfen können, die durch ihr Trauma bzw. ihre Traumata bedingten Einschränkungen zu überwinden, und welche Klippen sie dabei umschiffen müssen. Eine gewinnbringende Lektüre für alle, die mit Kindern und Jugendlichen sowie ihren Bezugspersonen arbeiten! Ergänzendes Material zur Unterstützung dieser Arbeit steht online zum Download bereit. „Umfassend, mit einem liebevollen Blick auf die betroffenen Kinder und Jugendlichen, so einfach in der Beschreibung und gleichzeitig so präzise wie möglich, praxisrelevant auf der Grundlage langjähriger Erfahrung – das macht dieses Buch für mich besonders wertvoll. Sie sollten es lesen und in Ihrer Nähe griffbereit halten, wenn Sie jemand sind, der traumatisierte Kinder und Jugendliche kompetent zu begleiten versucht.“Prof. Dr. Gerald Hüther

Über den Autor:

Alexander Korittko, Diplom-Sozialarbeiter; Paar- und Familientherapeut (DGSF), systemischer Lehrtherapeut und Lehrsupervisor, 37-jährige Tätigkeit in einer kommunalen Jugend-, Familien- und Erziehungsberatungsstelle, Mitbegründer des Zentrums für Psychotraumatologie und Traumatherapie Niedersachsen (ZPTN), Fort- und Weiterbilder in psychosozialen Berufsfeldern; Arbeitsschwerpunkt: Trauma- und Bindungsstörungen im Kindes- und Jugendalter.

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