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Gegen Verbote und Abstinenzgebote

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2. Alternativer Drogen- und Suchtbericht 2015

2. Alternativer Drogen- und Suchtbericht 2015

Am 18.5. wurde von akzept e.V. Bundesverband für akzeptierende Drogenarbeit und humane Drogenpolitik, der Deutschen AIDS-Hilfe e.V. und JES Bundesverband e.V. der zweite Alternative Drogen- und Suchtbericht der Öffentlichkeit vorgestellt. Schwerpunktthema ist das Betäubungsmittelgesetz (BtMG). Drogenverbote und die Strafverfolgung von Drogenkonsumenten führen zu zahlreichen gesundheitlichen und gesellschaftlichen Problemen. Zugleich werden wirksame Strategien in Prävention und Drogenpolitik weiterhin nicht genutzt. Der Alternative Drogen- und Suchtbericht (ADSB) will helfen, Irrtümer in der Drogenpolitik zu korrigieren und Erkenntnisse der Sucht- und Präventionsforschung in dauerhaft erfolgreiche Maßnahmen zu übersetzen. Wie der Bericht der Bundesregierung, der am 21.5. erscheint, deckt er ein breites Themenspektrum von Tabak bis Heroin ab (siehe Themenübersicht). Zu den Autorinnen und Autoren zählen auch der Vorsitzende der Grünen, Cem Özdemir, und der Polizeipräsident von Münster, Hubert Wimber. Die Print-Fassung des 185 Seiten starken Berichtes ist bei Pabst Publishers erschienen. Der Bericht ist aber auch als PDF online erhältlich, und zwar hier…

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6 Kommentare

  1. Tom Levold sagt:

    In diesem Diskurs werden m.E. zwei Dinge miteinander vermischt, die man getrennt diskutieren muss. Wie bei allen Drogen und Genussmitteln gilt, dass ihr Konsum schädlich sein kann. Was die möglichen Folgen betrifft, stimme ich Lothar Eder zu. Als Supervisor von Suchtkliniken, die Abhängigkeiten von legalen Drogen behandeln, muss ich aber feststellen, dass diese Gefahren bei legalen Drogen ganz genauso vorliegen. Die Frage einer Legalisierung ist in erster Linie eine politische Frage und damit nach einer Wirksamkeit von legislativen & politischen Entscheidungen. Die größte Alkoholiker-Quote in den USA gab es in den Zeiten der Prohibition in den 20er-Jahren des letzten Jahrhunderts, der Gewinner dieser Politik war die organisierte Kriminalität. Mittlerweile sind sich selbst die südamerikanischen Regierungen drüber einig, dass die Drogenkartelle weder politisch noch militärisch zu besiegen sind. Legalisierung (und damit größere öffentliche Kontrolle) der Drogen wird als Möglichkeit gesehen, a) dem illegalen Markt das Wasser abzugraben, b) die Endkonsumenten zu entkriminalisieren, c) ihre Gesundheit durch Qualitätskontrollen zu verbessern. Was ist daran unverantwortlich? Vom Verbot lassen sich Jugendliche definitiv nicht vom Kiffen abhalten. Da braucht es seitens der Gesellschaft andere Signale. Eine Entkriminalisierung wäre eine Voraussetzung für einen offeneren Diskurs.

    • Lothar Eder sagt:

      Es tatsächlich die entscheidende Frage, ob diese zwei Aspekte getrennt oder zusammen erörtert werden müssen. M.E. gilt zweiteres. Ich will hier (als langjähriger Therapeut in der stationären Suchtbehandlung) nicht für eine Bagatellisierung z.B. der Droge Alkohol plädieren. Gleichstellen mit Cannabis kann man sie jedoch keinesfalls. Die gravierenden Schäden, die gerade durch habituellen Cannabismißbrauch in der Pubertät oder der Adoleszenz entstehen (irreversibler Umbau der Amygdala, also der Emotionsverarbeitung sowie psychotische Folgeerkrankungen), sind nicht vergleichbar mit Alkoholfolgeschäden.

      • Tom Levold sagt:

        Lieber Lothar,
        das Problem, das ich angesprochen habe, ist aber nicht, ob und wie schädlich Cannabis ist, sondern ob eine Kriminalisierung eine Lösung (oder auch nur ein Lösungsbeitrag) des Drogenproblems darstellt. Eine Antwort auf diese Frage müsste m.E. nicht auf die Schädlichkeit von Cannabis hinweisen, sondern auf Erfolge, die dem Verbot bzw. der Kriminalisierung von Drogenkonsum zugerechnet werden könnten. Die gibt es offenkundig nicht. Dass die bisherigen Verfechter eines Drogenkriegs jetzt umdenken, geschieht ja nicht aus einer neu geweckten Sympathie für Drogen, sondern aus Einsicht, dass eine Politik mehr Desselben völlig gescheitert ist. Weder hat sie irgendeine abschreckende Wirkung noch ist sie in der Lage, das Wachstum des internationalen Drogenmarktes zu verhindern. Es geht also darum, ob man aus den bisherigen Erfahrungen lernen und Schlüsse ziehen kann. Das wäre ja eine wichtige Aufgabe von Politik. Eine weitere Frage ist, ob es die Aufgabe von Politik sein kann, selbstzugefügten Schaden von Personen durch Strafbewehrung zu verfolgen – und wie weit das gehen darf. Da kommen wir noch mal in ganz andere Diskurse hinein – die ich nicht minder interessant finde.

        • Lothar Eder sagt:

          Lieber Tom,
          ich will die Diskussion nicht unnötig in die Länge ziehen, mich aber nochmal kurz zu Wort melden. Für mein Verständnis brauchen wir, braucht eine Gesellschaft eine Haltung zu Drogen und diese drückt sich dann in entsprechenden Verboten oder Toleranzen aus. Alkohol und Cannabis sind aus den vorgetragenen Gründen nicht vergleichbar. Für mich sind wie gesagt die Haltungen von Bedeutung und die suchen sich meiner Meinung nach Argumente. In dieser gesamten “Tolerierungsdiskussion” kommt für mich letztendlich eine 68er Haltung zur Geltung, die den Cannabiskonsum augenzwinkernd (“wir haben doch damals auch die eine oder andere Tüte geraucht!”) unter das allgemeine Toleranzgebot stellt. Was haben denn mittel- und lateinamerikanische Drogenkartelle mit mitteleuropäischen Gesetzesstrukturen zu tun? Gar nichts! Daß in Kolumbien und anderen Staaten der Region nichts kontrollierbar ist, daß dort Korruption und Mafia vorherrschen ist doch nichts Neues, das hat mit Drogen zunächst gar nichts zu tun. Sollen wir uns daran orientieren?

  2. Jürgen Wernicke sagt:

    Soll mit der Legalisierung zum Konsum ermutigt werden? Wird Legalisierung zu Mehrkonsum führen? Wie wirken in diesem Zusamenhang Verbote? Welche widersprüchlichen Botschaften verbreitet die Gesellschaft derzeit? Verbot bzw. Erlaubnis bestimmter Substanzen bzw. Verhaltensweisen stehen ja in keinem unkomplizierten Verhältnis zu deren individueller Schädlichkeit. Finanzielle Interessen “des Staates” bzw. einzelner Teile davon spielen da eine erhebliche Rolle. Wie immer die Frage, wer daran verdient (Steuern) und wer zahlt (Sozialkassen…).

    Zwei m.E. stichhaltige Argumente pro Legalisierung sind
    a) die Entkriminalisierung von Konsumenten und
    b) die bessere Möglichkeit der kontrollierten Qualität bei legal verkauftem Stoff.

    Dagegen spricht z.B., ob man tatsächlich mehr Drogen freigeben oder nicht lieber die vorhandenen (Alkohol, Tabak) konsequenter unschädlich machen sollte.

  3. Lothar Eder sagt:

    Dass Hanfbauer Özdemir eine Legalisierung von Cannabis befürwortet, überrascht nicht.
    Von Jugendpsychiatern kommt eine ganz andere Einschätzung. Regelmäßiger Konsum von Cannabis kann zu Psychosen führen, auch zu schwerwiegenden Angststörungen. Ich selbst habe in meiner Praxis einige solcher Patienten gesehen. Sowohl im beruflichen als auch im privaten Umfeld ist meine Erfahrung, daß mit Kiffern nichts anzufangen ist, wenn man auf verläßliche Sozialbeziehungen Wert legt. Dass regelmäßiger Cannabiskonsum zu schwerwiegenden Hirnschädigungen führt (Amygdala) ist vielfach bewiesen (s.z.B. http://www.zeit.de/wissen/gesundheit/2013-12/marihuana-jugendliche-sucht/seite-2). Welches Signal setzt eine Gesellschaft gegenüber Jugendlichen, die ihren Weg erst finden müssen, mit einer Legalisierung von Cannabis? Ich persönlich finde es unverantwortlich.

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