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Gedanken zum 10-jährigen Bestehen der DGSF

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(Der nachfolgende Text ist ursprünglich als Beitrag zum Jubiläum in der Verbandszeitschrift„DGSF-intern” erschienen und wird hier mit freundlicher Genehmigung durch die DGSF veröffentlicht)

Auf die Einladung, ein paar Zeilen zum 10-jährigen Jubiläum der DGSF zu verfassen, habe ich mit Freude, aber auch mit einer gewissen Zurückhaltung reagiert. Welche Perspektive kann und soll ich einnehmen? Zum Zeitpunkt der Fusion von DAF und DFS im Jahre 2000 war ich schon – ziemlich genau – seit 20 Jahren DAF-Mitglied, wenngleich schon länger nicht mehr aktiv im Verband tätig. Ich fusionierte also mit und wurde auch Mitglied in der DGSF, der ich sehr gerne angehöre. Gleichzeitig gehöre ich als Mitbegründer und aktives Mitglied der Systemischen Gesellschaft seit 1993 aber auch zur „Konkurrenz“, die immerhin den Vorschlag von DAF und DFS, mit der SG einen gemeinsamen Verband zu gründen, 1998 abgelehnt hat. Als Mitherausgeber des „Kontext“ bin ich wiederum mit dem Verband auf besondere Weise verbunden, wenngleich aus einem gewissen Abstand heraus. Darüber hinaus verbinden mich freundschaftliche Beziehungen mit einer ganzen Reihe von Kolleginnen und Kollegen aus der DGSF, und das finde ich wunderbar.
Es gibt viele Gründe für mich, der DGSF zu gratulieren. Ihr ist es gelungen, zwei sehr verschiedene Vereine mit deutlich unterschiedlichen Organisationskulturen zu einem tatkräftigen und schlagkräftigen Verband zusammenzuführen und damals vorhandene Vorbehalte und Befürchtungen hinsichtlich möglicher Machtgefälle und Dominanzkonflikte (womit man bei Fusionen ja immer rechnen muss) weitestgehend aufzulösen. Respekt! Ein guter Schritt auf diesem Wege war sicherlich die Wahl eines Gründungs- bzw. Vereinigungsvorstandes, der mit Wilhelm Rotthaus und Friedebert Kröger an der Spitze nicht nur beträchtliche Außenwirkung erzielte (und damit interne Identifikationsgewinne ermöglichte), sondern auch im Binnenverhältnis über jeden Verdacht von Lagerbildung erhaben war und deshalb die Integrationsperspektive überzeugend vertreten konnte.
Auf diese Weise gelang es, nicht nur Verschiedenes zusammenzufügen und das Erreichte zu konsolidieren, sondern darüber hinaus in nur wenigen Jahren die Zahl der Mitglieder auf mittlerweile 3500 fast zu verdreifachen – und dies, obwohl die Systemische Gesellschaft (ursprünglich ein reiner Institute-Verband) ab 1999 ebenfalls eine Einzelmitgliedschaft erlaubte und mittlerweile selbst über 700 Einzelmitglieder hat. Diese Steigerung hat natürlich etwas mit dem Aufwind zu tun, in dem systemische Therapie und Beratung generell seit langem segeln. Andererseits sehe ich darin aber auch das Ergebnis einer intensiven inhaltlichen Profilierung, die es in dieser Klarheit bei den Gründungsverbänden zuvor nicht gegeben hatte. Auch wenn das Wort „Familientherapie“ immer noch den Verbandsnamen schmückt, ist mein Eindruck, dass die Idee der Familientherapie als eigenständiges Verfahren keine Rolle mehr spielt (Wenngleich im Zuge der Bemühungen um die Anerkennung des Wissenschaftlichen Beirates die Kunstfigur der „Systemischen Therapie/Familientherapie“ als Verfahren erfunden wurde). Die Systemische Therapie mit ihren mittlerweile zahlreichen Facetten ist der feste Grund, auf dem die inhaltliche Arbeit des Verbandes ruht. Das Patchwork-Muster sehr disparater Konzepte, Haltungen und berufspolitischer Orientierungen ihrer Mitglieder hatte die DAF gelegentlich fast zerrissen und oftmals gelähmt. Neben den Neuzugängen systemisch ausgebildeter Mitglieder hat auch u.a. der Auszug der psychoanalytischen Paar- und Familientherapeuten, die ihren eigenen Verband gegründet haben, eine inhaltliche Klärung der Grundsätze erleichtert und zu einer konzeptuellen Verdichtung beigetragen.
Dies alles war Im Juli 1998 schon zu wünschen, aber noch nicht abzusehen, als Marie-Luise Conen und Jochen Schweitzer (für die DAF), Anni Michelmann und Gisal Wnuk-Gette (für den DFS) sowie Kurt Ludewig und ich (für die SG) in einem Dachzimmer am Institut für medizinische Psychologie der Universität Heidelberg am Rande der ersten Tagung zur Systemischen Forschung zusammensaßen. Zu dem Treffen hatten DFS und DAF mit dem Vorschlag einer Fusion aller drei Verbände eingeladen. Wir lehnten damals wie erwähnt einen Beitritt der SG ab (was auf der Mitgliederversammlung der SG mit einem einstimmigen Votum bestätigt wurde), weil wir die Sorge hatten, dass ein Aufgehen im Großverband mühselig erarbeitete systemische Positionen und damit verbundene Anforderungen an die – institutionelle – Mitgliedschaft womöglich wieder aufgeweicht worden wären. Immerhin war die SG zum damaligen Zeitpunkt ein reines Mitgliedsinstitut.
Unabhängig davon bin ich auch heute noch davon überzeugt, dass diese Entscheidung richtig war. Profile lassen sich leichter schärfen, wenn Unterschiede bestehen oder hergestellt werden können. Aus meiner Sicht war es für beide Verbände von Vorteil, keinen Alleinvertretungsanspruch geltend machen zu können.
Beide Verbände haben früh eine erfolgreiche Strategie gefunden, in den berufspolitischen Auseinandersetzungen um die wissenschaftliche Anerkennung der Systemischen Therapie sowie in der Vertretung der systemischen Sache im In- und Ausland gemeinsame Sache zu machen und dennoch ihre eigene Entwicklung voranzutreiben. Gemeinsam haben wir 2004 im Berliner ICC den wohl größten Psychotherapie-Kongress einer spezifischen therapeutischen Grundorientierung ausgerichtet, was die gemeinsamen Beziehungen nicht nur auf Vorstandsebene vertieft hat.
Die gemeinsamen Bemühungen um die Anerkennung durch den Wissenschaftlichen Beirat hat enorme Ressourcen in inhaltlicher und personeller Hinsicht verbraucht und waren schließlich von Erfolg gekrönt. Mit dem Ergebnis, das aus meiner Sicht sowohl zu wünschen wie auch zu fürchten war, bin ich nicht wirklich glücklich. Die Konzentration der Energie auf dieses Ziel hat m.E. dazu geführt, dass die ohnehin nicht sonderlich ausgeprägte Debattenkultur in unserem Feld weitgehend zum Erliegen gekommen ist (vielleicht auch aus der Sorge heraus, damit den Erfolg der Bemühungen um die Anerkennung der wissenschaftlichen Fundiertheit zu gefährden).
Die Aufgabe der Zukunft für die Systemische Therapie (und die beiden Verbände) scheint mir darin zu bestehen, das Charakteristische des Systemischen Ansatzes gegen Tendenzen zu verteidigen, Systemische Therapie zum Bestandteil einer am medizinischen Modell orientierten, störungsspezifischen Mainstream-Psychotherapie zu machen.
Dazu braucht es einen lebendigen Diskurs und Debatten über Theorien, Ideen, Konzepte ebenso wie über politische Entwicklungen und Strategien. Wesentlich ist darüber hinaus die Erhaltung von Multiprofessionalität und Interdisziplinarität der Systemischen Therapie, die aus meiner Sicht ein Kernaspekt systemischen Denkens und Handelns darstellen. Die DGSF ist aus meiner Sicht mit ihren Fachtagen, den Regional- und Fachgruppen sowie ihren vielfältigen politischen Stellungnahmen und Aktivitäten gut für eine solche Entwicklung gerüstet und in mancher Hinsicht der Systemischen Gesellschaft voraus.
Nach den Jahren der Konsolidierung und der Strategie des „getrennt marschieren und vereint schlagen“ scheint mir allerdings die Zeit gekommen, gründlicher über die Möglichkeiten einer gemeinsamen Zukunft in einem einzigen Fachverband nachzudenken. Inhaltlich wirklich Trennendes vermag ich immer weniger auszumachen. Der Verbrauch an personellen, organisatorischen und finanziellen Ressourcen durch eine Doppelstruktur ist immer weniger zu rechtfertigen. Kulturelle Unterschiede mögen immer noch gewichtig sein, nehmen aber an Bedeutung allmählich ab. Die Gründe für die Existenz zweier Verbände werden also immer schwächer.
Was bleibt, ist vielleicht die Angst vor der Arbeit, dem Misstrauen und den Vorbehalten, die mit einer Fusion einherge
hen (s.o.). Sicher kann ein solches Zusammengehen sich nicht in der Arbeit von Funktionsträgern erschöpfen, die Richtlinien und Satzungen ineinander überführen. Es braucht eine gemeinsame Anstrengung zu Entwicklung von gemeinsamen Visionen, die von einer breiten Gruppe aktiver Mitglieder initiiert und vorangetrieben wird. Es wäre eine Sache, die sich meiner Überzeugung nach lohnt und an der ich mich gerne beteilige.

Tom Levold

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