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Entsozialpädagogisierung der Jugendhilfe?

| 2 Kommentare

Holger Ziegler (Foto: Uni Bielefeld)

Holger Ziegler (Foto: Uni Bielefeld)

Das SGB VIII soll reformiert werden, Entwürfe zur Reform liegen vor und sind aus gutem Grund strittig, laufen sie doch auf nichts anderes hinaus als auf eine stillschweigende Änderung der grundlegenden Arbeitsphilosophie der Kinder- und Jugendhilfe und der Hilfen zur Erziehung. Holger Ziegler, Professor für Soziale Arbeit an der erziehungswissenschaftlichen Fakultät der Universität Bielefeld, hat diese Entwicklung, die gleichzeitig mit einer Medikalisierung von Problembeschreibungen in der sozialpädagogischen Praxis einhergehen würde, in einer klugen und lesenswerten Analyse untersucht. Dabei würden in Zukunft Leistungen nur noch nach einer medizinanalogen individuellen Diagnosestellung im Rahmen der Jugendhilfe gewährt und finanziert. Er schreibt: „Standardisierte Diagnose- und Klassifikationsinstrumente sind immer dann problematisch, wenn sich ihre notwendigerweise selektive Aufmerksamkeit nicht nur klar definierte und spezifisch begrenzte Symptomatologien richtet, sondern diffuse, ambige, deutungs- und interpretationsbedürftige Praktiken und Situationen erfasst werden sollen. Soziale Arbeit, die sich dem Gegenstand nach mit Lebensführungspraktiken von Akteur_innen beschäftigt und entsprechend nicht für ein eng umgrenztes Spektrum von spezifischen Problemen zuständig ist, setzt im Gegensatz zu spezialisierten helfenden Berufen gerade keine eingegrenzte diagnostische Semantiken voraus.“ und: „Der Entwurf ist nun offensichtlich von der Idee beseelt, dass es für die Kinder- und Jugendhilfe – erfreulich, dass diese nicht in Kinder- und Jugendentwicklungsdienst umbenannt werden soll – den Einsatz von systematischen Arbeitsprozessen und standardisierte Arbeitsmittel braucht. Selbst wenn man dies akzeptieren würde, ist fraglich ob eine ‚sozialer‘ gemachte, medizinische Diagnostik, die zwar auf Teilhabe, aber eben nur mit Blick auf gesundheitliche oder gesundheitsbezogene Domänen abhebt und die weder in der Lage ist sozio-ökonomische zu erfassen noch personenbezogenen Kontextfaktoren näher definieren und klassifizieren wirklich tauglich ist für eine sozialpädagogische Ermittlung des individuellen Bedarf des Kindes, des Jugendlichen oder des jungen Volljährigen ist.“

Der Autor schließt mit der optimistischen Bemerkung: „Aus fachlicher Sicht ist der Entwurf ‚below the threshold‘. Aber es Grund zur Hoffnung: Es ist nicht erwartbar, dass dieser Entwurf je Gesetz wird.“ Das wollen wir mal hoffen. Jedenfalls ein guter Grund, die Frage der Fallkonstruktion und Diagnostik in der Jugendhilfe auch auf der Tagung „Was ist der Fall? Und was steckt dahinter?“ im Mai 2017 in Heidelberg gründlich zu diskutieren. Den ganzen Text von Holger Ziegler können Sie hier lesen…

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2 Kommentare

  1. Jürgen Wernicke sagt:

    Inhaltlich: sollen jetzt die Kinder von Anfang an für ihre eigene Entwicklung verantwortlich gemacht werden? Die Eltern aus ihrer Verantwortung entlassen? Das scheint mir eine fatale, aber ganz zeitgeistig-scheinheilige Pseudoübertragung von Verantwortlichkeit, wobei die Gleichmacherei jetzt als Inklusion (Gleichbehandlung aller) getarnt wird. Das erinnert mich an eine Psychodiagnostik-kritische Karikatur, die ich in den Achtzigern oder Neunzigern in einem Psychologie-Lehrbuch sah: Der Versuchsleiter erklärt den Probanden (u. a. einem Vogel, einem Goldfisch im Glas, einem Affen, einem Elefanten und einem Krokodil): “Um allen eine faire Chance zu geben, lautet die Aufgabe für alle genau gleich: Klettern Sie auf diesen Baum.”

  2. Jürgen Wernicke sagt:

    Spannender Text, leider viele Rechtschreibfehler und Sätze, die anders enden als sie begonnen haben. Wer hat hier redigiert? So etwas wirkt auf mich immer etwas Glaubwürdigkeits-reduzierend, schade.

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